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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

Krieges, dessen Nemesis sich jetzt zum ersten Male im Großen durch den Kriegszug gegen Persien offenbaren wird.

Indien und die Oberlandpost lassen der englischen Diplomatie keine Wahl. Sie muß sehen, wie sie ihren Dost Mohamed noch einmal retten und den persischen Angriff auf Herat, hinter welchem noch mehr steckt, zurückschlagen helfe. Der Schach von Persien belagert Herat, die ziemlich selbstständige, aber zu Dost Mahomed’s Lande Afghanistan gehörige Festung an der persisch-afghanischen Grenze. Er that dies schon einmal 1851, wurde aber damals diplomatisch gezwungen, den oft wieder aufgenommenen Plan aufzugeben, wenigstens zu verschieben. Die Umstände, die dazu führten, sind folgende:

Am 4. Juni 1851 starb der specielle Beherrscher Herats, Yar Mahomed, und hinterließ den Thron seinem Sohne Syed Mahomed. Yar Mahomed war eins der größten Scheusale selbst im Oriente. So wie er todt war, jubelte Alles in Freude auf und eine Menge Racen und Fürsten, die Yar Mahomed ausgeplündert u. s. w. machten Anspruch auf seinen Thron, Fürsten von Kandahar, Dost Mahomed, nicht zum Erben eingesetzte Söhne Yar Mahomed’s, Männer von seinen Töchtern, die er bis zu Tausend hinterlassen haben soll, und andere Herren. Die Fürsten von Kandahar trieben den Thronerben Syed Mahomed leicht zum Tempel hinaus. Um sich aber zu halten gegen eine wilde Schaar anderer Thron-Prätendenten, fühlten sie sich zu schwach und baten daher den Schach von Persien um Beistand. Dieser schickte mit der größten Bereitwilligkeit 12,000 Mann, die aber bald und seitdem mit kurzen Unterbrechungen stets darauf ausgingen, Herat für ihren Schach, dem es früher gehörte, wieder zu gewinnen. Um diese Zeit schickte Rußland eine große Truppenmasse an die Nordküste des kaspischen Meeres. Von da an marschirten sie landeinwärts auf Herat und hielten sich irgendwo, man sagt, vielfach versteckt zwischen Indien und Persien auf. Die Invasion Indiens von Rußland war früher ein verlachter Aberglaube, jetzt glaubt man immer ernstlicher daran. Herat ist jetzt wieder erobert von Persien. Herat heißt unter den Völkern dort: Schlüssel oder Thor Indiens. Dieser Titel ist kein poetischer, sondern ein strategischer. Herat ist die beste Basis zu einer Kriegsoperation gegen Indien, dessen Grenzen nicht weit davon anfangen und auch sonst vorzüglich geeignet zur Unterhaltung einer Armee in den sonst unwirthlichen Gegenden. Das dazwischen liegende Land ist Afghanistan, dessen Beherrscher Dost Mahomed allen Grund hat, die Engländer zu hassen. Sie trieben ihn erst in die Arme Rußlands und Persiens und erklärten ihm dann 1838 den Krieg. Dies gab den berüchtigten afghanischen Krieg, in welchem die ganze englische Armee auf ihrem Rückzuge von Kabul bis auf den letzten Mann vernichtet ward, in welchem Schrecken und Meutereien vorkamen, wie man sie sonst in der Geschichte selten finden wird. Persien stand, wie jetzt, vor Herat. Dost Mahomed hatte eben so großes Interesse gegen diese Belagerung, wie die Engländer und strebte daher nach der Freundschaft Englands. Dieses aber erklärte Krieg gegen ihn, jagte ihn vom Throne, setzte dafür einen Schwächling darauf, verlor 7 Millionen Pfund dabei und mehr als 10,000 Mann Truppen und setzte dann Dost Mahomed wieder auf seinen Thron, wo er noch herrscht, alt und knorrig, fest und grimmig gegen England. Wer an diesem unglaublichen Inhalte des afghanischen Krieges zweifelt, den müssen wir auf das zweibändige Werk von John William Kaye: „Geschichte des Krieges in Afghanistan“ u. s. w. verweisen. Es enthält die größte Schmach der englischen Diplomatie aller Zeiten. England zieht jetzt in den Ketten der Nemesis dieses Krieges in den persischen Meerbusen, um den „Schlüssel zu Indien“ nicht zu verlieren. Mit einigem gesunden Menschenverstande wäre es 1838 dahin gezogen, statt gegen Dost Mahomed. Jetzt kommen sie mindestens achtzehn Jahre zu spät mit Dost Mahomed zwischen sich, in dessen Lande sie 7 Millionen Pfund Sterling und 10,000 Menschenleben vergeudeten, blos um ihn ab- und dann wieder einzusetzen und 1856 endlich das „Mißverständniß“ gut zu machen. Die Flotte wird inzwischen noch weniger im Kampfe um Herat thun können, als neuerdings vor Sebastopol oder Kronstadt.

Herat, um uns diesen fernen, aber politisch jetzt sehr nahe liegenden Zankapfel etwas genauer anzusehen, liegt in einem reichen Thale voller Getreidefelder, Weingärten und Blumen. Die Umgegend, in welcher alle Straßen von und nach Indien zusammenlaufen, ist üppig fruchtbar und wird nur die „Kornkammer Central-Asiens“ genannt. Herat ist einer der wichtigsten Centralpunkte asiatischen Handels und so reich an Bodenertrag und Handelsgewinn, daß es zehn Mal so viel Soldaten ernähren kann, als jetzt darin und darum stehen. Aber die Schönheit und Pracht der Stadt, wie aller orientalischen Städte, ist blos auswendig. Drum herum Alles lachendes, üppiges, blühendes Leben, innerhalb zwischen engen Straßen lauter Gebirgszüge uralter, stets mit frischer Fäulniß bedeckter Schmutzhaufen, bestehend aus dem Kehricht, den Küchenabfällen, Leichen und Excrementen vieler Generationen. Selbst für den Abfluß des Regens und viel schlimmerer Flüssigkeiten ist nicht im Geringsten gesorgt. Daher zwischen den Schmutzgebirgen unzählige Thäler voller Jauche.

Und mit welchem Plan und Pomp ist die Stadt gebaut! Von allen Seiten stark und strategisch genial befestigt und durch tiefe Gräben und bombenfeste Erdwälle uneinnehmbar gemacht, war sie schon zur Zeit des Perserangriffs 1838 so verfallen, daß sie nach dem Urthelle von Sachverständigen schon binnen vierundzwanzig Stunden hätte fallen müssen, wenn die Perser Ernst gemacht hätten und nicht von dem Glauben, daß sie uneinnehmbar sei, zurückgehalten worden wären. Die Stadt bildet ein regelmäßiges Viereck, jede Seite etwas über eine englische Meile lang und in der Richtung der vier Hauptlinien des Kompasses gebaut. Die Straßen laufen, den Außenseiten entsprechend, in regelmäßigen Linien, von den zwei Hauptstraßen, die sich in der Mitte durchschneiden, in vier regelmäßige Viertel getheilt. Aber die Art, wie die Straßen gebaut wurden, gab mit dem üppigsten orientalischen Glanze oben zugleich überall durchlaufenden Grund zum Verfalle unten. Die untern Geschosse bestehen aus verfaulten, von Kehricht und aufgehäuften Unrath zum Theil schon verstopften Läden, ehemals prächtigen offenen Bazars, mit hervorspringenden Dächern und Bogen, deren Thürmchen und Zinnen aber noch lügnerisch in der Sonne glänzen und von orientalischem Pompe fabeln, während unten Häuser und Menschen Fäulniß, Tod und Verderben aus- und einathmen und nur die lachenden, gesunden Umgebungen das Wunder erklären, daß die etwa 45,000 Einwohner nicht längst alle von der Pest hingerafft wurden. Sie bestehen aus einem seltsamen Gemisch von Indiern, Armeniern, Juden u. s. w., die sich zwar stets durch Tod aus der Luft und eine Zeit lang durch ein eigenthümliches Geschäft des Stadtkommandanten verringerten, sich aber immer wieder durch Einwanderung, wozu die vortheilhafte Lage als Handelsplatz verführte, ergänzten.

Die Regierung Kamrae’s, den die Perser 1851 entfernen wollten, war eine der scheußlichsten, die je ein Volk ausgehalten. Sein Kommandant und erster Minister von Herat bekam nur einen geringen Gehalt, den er aber durch geschäftsmäßiges Einfangen und Verkauf von Leuten zu erhöhen wußte. Die Bewohner von Herat wagten sich nur im äußersten Nothfalle verstohlen über die Straße, und huschten dann blaß und hager vorsichtig von Versteck zu Versteck. Häuser und Läden wurden schon vor Sonnenuntergang geschlossen und verbarrikadirt, und die Stille der Abende und Nächte nur durch das gräßliche Geheul Abgefaßter und Eingefangener unterbrochen. Es war wie im Königreiche Dahomey, wo der Sklavenhandel ein königliches Privilegium ist, und von allen „gesetzlichen“ Mitteln unterstützt und gegen Konkurrenz geschützt wird.

Unter den als Sklaven verkauften Heratern waren einige Perser. Dies gab dem Schach Veranlassung, gegen Herat zu ziehen, um wo möglich die ihm früher gehörende beste Stadt seines Reiches wieder zu gewinnen. Auch nahm er den Heiligenschein eines religiösen Beschützers an. Die Perser bekennen sich größtentheils zu der Schiiten-, die Afghanen zu der Sunnitensekte des Muhamedanismus, die sich gegenseitig zerfleischen, wie wilde Thiere im wüthendsten Hunger. Die regierenden Klassen und Soldaten von Herat waren größtentheils Sunniten, die Bürger und Einwohner Herats Schiiten oder Schiiahs. Letztere als die Unterliegenden zu beschützen, schien dem Schach von Persien ein guter Vorwand, der denn auch stark mit hervorgehoben ward. Seine Armee ward größentheils von freiwillig gesandten russischen Offizieren und Ingenieurs befehligt. Außerdem handelte der Schach im Vertrauen auf weitere russische Unterstützung für die Eroberung von Khiva, Khorassan u. s. w. Da Persien bereits so ziemlich in den Rang einer russischen Provinz gekommen ist, würde der Schach diese Eroberungen rein für Rußland machen, dem sein Land doch früher oder später zufallen wird. Die Engländer wissen das,

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