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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

Am Fenster.
I.
Die Ersatzmittel des Glases. – Sein Nutzen für den Chemiker. – Erklärung der Durchsichtigkeit. – Blinde Scheiben. – Die Chladni’schen Klangfiguren. – Das Glas als Wärmeleiter. – Die optischen Erscheinungen am Fenster. – Die Lampe auf der Straße. – Die brennenden Fenster bei Sonnenuntergang. – Erscheinungen am bethauten Fenster. – Farbenspiele.

In den schönen Jahreszeiten lernt man den Werth des Fensters nicht lebendig fühlen. Da werden ja die Flügel desselben ausgehoben, um den freien Lufthauch zugleich mit den Düften von Flieder, Linden- oder Rebenblüthen hereinzulassen, und die Glasscheibe erscheint als eine unnütze und lästige Polizei, da ein Gazegitter hinreicht, die lästigen Vagabunden, die Fliegen, abzuhalten.

Im Herbste dagegen, wenn durch die aufgerissenen Fensterflügel der brausende Windstoß hereintobt und die Kerze zu verlöschen droht, sowie im Winter, wenn draußen der Schnee unter den Wagenrädern quiekt und kreischt, daß das bloße Anhören uns eine Gänsehaut zuzieht, das ist die rechte Zeit, die Aufmerksamkeit auf das Fenster, diesen treuen Wächter der Nordländer, der uns lästige Zudringliche abhält und nur die erwünschten Gäste hereinläßt, zu lenken, um dessen Eigenschaften und die physischen Prozesse, die an ihm vorgehen, zu studiren.

Um den Werth des Glases für die Wohnlichkeit unserer Zimmer recht zu erkennen, versuche man nur, Ersatzmittel für dasselbe ausfindig zu machen; dann werden die herrlichen Eigenschaften dieses köstlichen Stoffes recht in die Augen springen.

Zuerst ist das Glas der Luft vollkommen undurchdringlich, weshalb es vom Chemiker zum Kerker für Luftarten gewählt wird, wenn er dieselben, wie Dionysius zu Syrakus mit seinen menschlichen Gefangenen gethan haben soll, in ihrem Gefängnisse belauschen will. Zwar könnten Metallplatten eine eben so luftdichte Scheidewand abgeben; aber sie vermögen das Glas mit nichten zu ersetzen, denn sie würden, so dünn man sie auch hämmerte oder walzte, das Licht nur äußerst kümmerlich einlassen. Legt man ein Stückchen des dünnsten Blattgoldes auf ein behauchtes Glas und blickt durch dasselbe nach der Sonne, so gewahrt man nur einen trüben grünen Schein, aber nicht einmal das Bild dieses hellsten aller Körper auf der Welt. Von den Dingen auf der Straße würden uns also auch die dünnsten Metallplättchen, die von jedem Luftstoße zerrissen werden, nicht eine Spur erkennen lassen.

Das Glas ist zwar nicht vollkommen durchsichtig (denn durch sehr dicke Glasmassen oder durch viele auf einander liegende Glasplatten sieht man nicht deutlich mehr), aber doch so durchsichtig, wie man es für ein Fenster nur wünschen kann. Zugleich läßt sich dieses, durch den erfinderischen Menschengeist ersonnene Produkt aus Sand und Asche durch kein durchsichtiges Mineral, welches die Natur fertig liefert, ersetzen. Denn was hilft es, daß der Diamant höchst durchsichtig ist, da er so äußerst selten und nicht in Tafeln spaltbar ist; was nützt der häufigere prächtige wasserhelle Bergkrystall, da er nur in Säulen, nicht in Plattenform vorkommt; was fruchtet das in durchsichtigen ziemlich großen Tafeln vorkommende Marienglas (Gyps), da es so wenig haltbar ist? Wo eine durchsichtige Scheidewand nöthig ist, müssen wir immer zum Glase greifen.

Die meisten Menschen nehmen die Durchsichtigkeit rein sinnlich wahr, ohne sich nach dem „wie“ des merkwürdigen Vorganges zu fragen. Welche Erklärung hat man einem Forschlustigen zu geben, der darüber Auskunft verlangt? Durch Versuche, welche sich leider nur durch sehr umständliche Auseinandersetzungen anschaulich machen lassen, ist erwiesen, daß das Licht aus den wellenartigen Schwingungen eines äußerst feinen, unwägbaren Stoffes entsteht, den man Aether genannt hat. In ihm werden durch leuchtende Körper – wie in der Luft durch eine tönende Glocke – Erzitterungen erregt, welche auch die benachbarten Aethertheilchen durch Stoß in Erzitterung bringen, bis endlich unser Sehnerv die Brandung dieser unendlich feinen Wellen als Licht spürt. Es ist diese Ansicht nicht etwa eine leere Vermuthung, sondern sichere allen Thatsachen entsprechende Hypothese; denn obgleich man von der stofflichen Beschaffenheit dieses Aethers nichts weiß, kann man doch dessen Wellen messen und zählen und aus der Wellentheorie alle Lichterscheinungen mathematisch herleiten. Die Durchsichtigkeit des Glases läßt sich demzufolge nur so erklären, daß zwischen den kleinsten Theilchen des Glases, obgleich keine Luft zwischen ihnen durchschlüpfen kann, doch Zwischenräume sein müssen, in denen sich Aether befindet. Ist nun der Aether außerhalb des Zimmers durch die Sonne oder durch eine Straßenlaterne erschüttert, so pflanzt sich der Stoß seiner Wellen auf den im Glase befindlichen Aether und von da aus weiter bis in das Auge fort. Die Fenstertafel gleicht also einer netzartigen Scheidewand, welche die Lufttheilchen, gleichsam die größeren Fischlein einsperrt, aber den feinen Aether, der dem Wasser vergleichbar ist, hindurchläßt.

Es ist vielleicht aufgefallen, daß das Glas, dieser wegen seiner Zerbrechlichkeit zum Sprüchworte dienende Stoff, vorhin haltbar genannt wurde. Und doch verdient das luftdichte, durchsichtige Glas auch diesen Ehrentitel mit Recht. Man vergleiche nur die gebräuchlichen durchsichtigen Surrogate des Glases, z. B. das Marienglas (Blättergyps) mit dem echten Glase, und man wird seine Vorzüge auch in dieser Hinsicht anerkennen müssen. Der Blättergyps, aus welchem in Sibirien Fensterscheiben gemacht werden, ist so weich, daß er vom Fingernagel geritzt wird. Wollten also die Sibirier ihre Fenster so fleißig abwischen, wie es unsere reinlichen Hausfrauen thun, so würden sie ihre Fensterscheiben bald matt und wund reiben. Wie hart ist dagegen das Glas! Will sich ein Miethsmann in seinem Fenster verewigen, so muß er seinen Namenszug mit dem härtesten Körper der Welt, mit einem Diamant, oder in Ermangelung eines solchen, wenigstens mit dem harten Feuerstein einschneiden.

Außerdem ist das Glas in hohem Grade wetterfest. Eine gute Scheibe widersteht den Einflüssen der Luft und des Wassers, welche selbst den härtesten Felsen beständig zernagen, mit großer Zähigkeit, obgleich das Glas im Wasser nicht ganz unlöslich ist. Schlechtes Glas freilich, zumal in Stallfenstern, trägt sich merklich ab und wird „blind.“ Die blinden Scheiben, welche milchartig trübe sind, und von gewissen Standpunkten aus prächtige Regenbogenfarben zeigen, sind in der Art verändert, daß der auflöslichere Bestandtheil des Glases, das Kali oder Natron, weggespült ist, während der andere Bestandtheil, die Kieselsäure, in Form dünner Plättchen zurückbleibt und das Licht auf ähnliche Art in Farben zerlegt, wie es in der dünnen Hülle der Seifenblasen geschieht. Eine Gypstafel würde, da diese aus Kalk und Schwefelsäure bestehende Verbindung viel leichter im Wasser löslich ist, als das Glas, gar bald durch die Verwitterung verzehrt werden.

Spröde ist freilich das Glas, darum ist es leicht zerschellt, und bricht durch einen Stoß nicht blos an der getroffenen Stelle, sondern es splittert in sternförmigen Sprüngen weit über den unmittelbar verwundeten Punkt hinaus, wenn es nicht von einem so raschen Stoße durchbohrt wird, daß die an die Wunde angrenzenden Glastheilchen nicht Zeit fanden, sich an die Bewegung anzuschließen. Wohl mancher Leser hat schon gesehen, daß eine aus der Nähe durch eine Glasscheibe in gerader Richtung geschossene Pistolenkugel ein scharfrandiges, wie ausgebohrtes Loch durchriß, ohne die Scheibe sonst zu verletzen. Wegen der Sprödigkeit des Glases braucht mancher sparsame und Feuersgefahr fürchtende Hausvater zur Umkleidung der Stalllaternen dünngeschabtes Horn, welches in alter Zeit wohl auch die Stubenfenster bekleiden mußte; deshalb soll man zu Kajütenfenstern auf Kriegsschiffen, wo das Glas durch Sturzwellen und Kanonendonner zu sehr gefährdet sein würde, Glimmertafeln wählen. Aber stets büßt man an Durchsichtigkeit ein, was man an Haltbarkeit gewinnt. Jeder durchsichtige, feste Körper, auch der Edelstein, ist nun einmal spröde. Bricht doch selbst das Wasser, wenn es vom Froste zu einer Glasdecke über dem Teiche erhärtet ist, und von einem niederfallenden Schlittschuhläufer einen derben Stoß bekömmt, mit sternförmigen Sprüngen; wird doch selbst der Diamant, das klassische Sinnbild der Festigkeit, durch einen kräftigen Stoß im Stahlmörser zertrümmert.

Uebrigens ist das Glas bei aller Sprödigkeit elastisch genug, um nicht nur kleine Biegungen wieder auszugleichen, sondern auch, wie das Fell der Trommel, überaus rasche Schwingungen auszuführen, welche die Luft zu Tonwellen anregen. Fährt man mit dem fest aufgestemmten Finger über eine feuchte Fensterscheibe, so gibt sie durch quiekende Töne gleichsam ihr Mißbehagen kund; durchrollt ein Kanonenschuß oder der Donner die Luft, so zittert und bebt sie, wie Espenlaub, und äußert gleichsam ihre Furcht durch Klirren. Seine größte Elasticität und zugleich seine höhere musikalische Begabung zeigt aber das Glas beim Anklingen der Pokale oder vollends in der Glasharmonika, der man mit einem Korkhämmerchen süße, nervendurchschauernde Töne entlockt. Will man die beim Tönen entstehenden Schwingungen des Glases sichtbar

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 24. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_024.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)