Seite:Die Gartenlaube (1857) 021.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

Das rutschende Dorf Tschappina.

Das Gebiet der Tschappiner Erdrutsche.

Vor einiger Zeit brachten mehrere Zeitungen folgende Nachricht: „Das Dorf Tschappina ob Thusis ist in Zeit von sechs Jahren mit Boden und den darauf stehenden Gebäulichkeiten eine halbe Stunde weit fortgerutscht und dennoch fortwährend benutzt und bewohnt geblieben.

In dieser Mittheilung sind zwar Wirklichkeit und Uebertreibung so stark gemischt, daß ein mit der eigentlichen Sachlage Vertrauter ungewiß bleibt, ob es sich dabei um Scherz oder Ernst handle, und er beinahe in Versuchung geräth einen berichtigenden Artikel zu schreiben.

Die geehrten Leser sollen jedoch nicht mit einer Polemik behelligt werden, welche eben so trocken als langweilig ausfallen könnte. Dagegen mögen dieselben gestatten, daß jene Nachricht Anlaß zu einer Wanderung an Ort und Stelle gibt, welche wir der Feder eines dortigen, mit den Verhältnissen vertrauten Predigers verdanken.

Von Chur kommend, gelangen wir nach dem freundlichen, von der schönsten Burgruine Graubündens überragten, aber auch durch Feuer und Wasser schwer heimgesuchten Marktflecken Thusis, von welchem Tschappina nur zwei Stunden entfernt liegt und zwar 3000 Fuß höher als jener. Der Anstieg des Berges wird dem Fuße schon beim Ausgange aus Thusis fühlbar, und indem wir mit jeder Viertelstunde um etwa 375 Fuß über das Meer uns erheben, befinden wir uns bei der Kirche von Tschappina schon 5075 Fuß über demselben. Auf unserer Wanderung dahin überschreiten wir die Grenze der Obstregion, wo den nackten Häusern mit ihren steinbeschwerten Schindeldächern die trauliche Bekleidung und Umgebung der belaubten Fruchtträger gänzlich fehlt, und haben die Grenze der Waldregion vor uns, auf welcher noch einzelne Zwergtannen von ungewisser Heimathsangehörigkeit umherirren. Wir gehen weiter und ergötzen uns noch einmal an den Getreidefeldern des römischen Urmein oder Romain, nicht als ob diese besonders üppig und den Augen eine Weide wären, sondern weil wir hier im Begriff stehen, auch über die Getreideregion uns zu erheben. Wir werfen noch einen Blick auf die zahlreichen Alphütten und Ställe des Heinzenberges, hören noch einmal auf die Jodler der Hirten und die Glocken der grasenden Kühe, und gelangen nach Tschappina!

Aus dem Unterdorfe führt uns der Weg nach der höher

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 21. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_021.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2017)