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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

vor der unglücklichen Katastrophe von 1806, gestorben war. Die Generalin lebte seitdem in diesem Schlosse.

Sie lebte hier sehr zurückgezogen und einsam. Manches trug hierzu bei. Ihr Mann hatte ihr kein anderes Vermögen hinterlassen, als das Gut Harthausen; wie wohl erhalten dieses nun war, so war es doch nur klein und gab geringe Einkünfte. Die Wittwenpension, die die Generalin von der preußischen Regierung bezog, war seit dem unglücklichen Jahre 1806 um die Hälfte heruntergesetzt worden. Andererseits hatte die Generalin nur ein Kind, einen Sohn, den bis vor kurzer Zeit seine Pflicht und das Schicksal stets entfernt von ihr gehalten hatten. So hatte sie auf Schloß Harthausen allein gelebt, blos in Gesellschaft einer Nichte, Emma von Rixleben, einer Tochter ihres verstorbenen Schwagers, der als Rittmeister, gleichfalls in preußischen Diensten, vor mehreren Jahren gestorben war. Sie hatte die Waise schon als kleines Kind zu sich genommen.

Seit einigen Wochen lebte auch ihr Sohn bei ihr. Hermann von Rixleben hatte, wie sein Vater, sich der militairischen Laufbahn gewidmet. Schon in seinem vierzehnten Jahre war er, nach der damaligen militairischen Adelssitte, als Junker in ein Regiment eingetreten. Er hatte sich bald durch Kenntnisse, Diensteifer und vielfältig bewiesenen großen Muth ausgezeichnet. Ein fester, großherziger Charakter hatte ihn überall beliebt gemacht. Im Jahre 1806 befand er sich, erst sechsundzwanzig Jahre alt, bereits mit dem Range eines Stabskapitains in der Generaladjutantur. Nach der Schlacht bei Jena kam er in das Hauptquartier des Königs. Er blieb hier während der Schlachten von Eylau und Friedland. Er zeichnete sich auch in diesen aus, sowohl durch seine militairischen Kenntnisse, wie durch seine kaltblütige Umsicht und eine allgemein bewunderte persönliche Tapferkeit. Der König belohnte ihn durch die Ernennung zum Major und durch Verleihung des Ordens pour le mérite; das letztere bekanntlich eine überhaupt sehr seltene Auszeichnung in der preußischen Armee; das Erstere eine seltene Auszeichnung für einen jungen Mann von kaum achtundzwanzig Jahren. Nach dem Tilsiter Frieden mußte er dem Könige nach Memel folgen. Hier konnte er indeß nicht lange bleiben.

Der junge, lebhafte Offizier, tief ergriffen von dem Unglücke seines Königs und seiner Königin, in deren unmittelbarer Umgebung er lebte, nicht minder grollend über das Elend, in dem sein Vaterland unter der fremden Gewaltherrschaft seufzte, hatte sich öfters ohne Scheu und Hehl über das französische Regiment und den französischen Kaiser insbesondere auf eine Weise ausgesprochen, die allerdings für seine Stellung unvorsichtig war, und die, durch Spione hinterbracht, von dem Kaiser Napoleon als eine staatsverrätherische aufgefaßt wurde. Die Folge war, daß von Seiten Frankreichs an die preußische Regierung das Verlangen gestellt wurde, den Major von Rixleben auszuliefern, damit er vor ein französisches Kriegsgericht gestellt und erschossen werde. Es war das damals so der Gebrauch der Franzosen in Deutschland. Ob es gesetzlich und recht war, darauf kam es dem Stärkeren gegenüber dem Schwächeren nicht an, damals nicht, wie auch später nicht.

Daß er nicht ausgeliefert wurde, verstand sich von selbst. Er flüchtete nach Rußland. Als ein treuer und ausgezeichneter Diener seines Königs fand er dort anfangs eine wohlwollende Aufnahme. Aber der Haß des französischen Kaisers verfolgte ihn bald auch dahin, und die russische Freundschaft mit Preußen war von jeher die politische Freundschaft des Stärkeren gegen den Schwächeren, Freundschaftsdienste stets verlangend, selten erwiedernd, wenn es convenirt, die ganze Freundschaft verleugnend, wenn sie nicht mehr convenirt. Der Major von Rixleben wurde zwar auch von russischer Seite nicht ausgeliefert, aber er wurde desavouirt und seinem Schicksale überlassen. So war er ein verlassener Flüchtling in Rußland.

Dabei lebte er in einer fast völligen Abgeschiedenheit. Eingegrenzt in die Gouvernementsstadt Twer, erhielt er von Allem, was sich in der Welt zutrug, keine andere Kunde, als die ihm russische Zeitungen brachten. Kein Brief gelangte zu ihm. Freilich war auch kein Brief übergekommen, den er absandte. Wohin französische Hände unmittelbar reichen konnten, waren zu damaliger Zeit in allen Postbureaux schwarze Kabinette eingerichtet. Anderswo waren, wo es nur irgend darauf ankam, bestochene französische Spione. Rußland war wahrlich davon nicht ausgenommen. So blieb er in seiner Einsamkeit ohne alle Kunde von den Seinigen in Deutschland, wie diese ohne Kunde von ihm geblieben waren. Erst gegen das Ende des Jahres 1809 war es ihm gelungen, auf Umwegen einen Brief, in dem er seine ganze traurige Lage schilderte, in die Hände Friedrich Wilhelm’s III. gelangen zu lassen. Das Herz des Königs war tief betrübt über das harte Schicksal seines treuen Dieners. Er leitete sofort Schritte ein, es zu mildern. Sie führten zu einem glücklichen Resultate. Im März 1810 durfte der Major von Rixleben aus seiner Verbannung nach Deutschland zurückkehren, freilich unter sehr beschränkenden Bedingungen. Er durfte nicht wieder in den preußischen Dienst treten, nicht einmal die preußischen Staaten berühren, und mußte seinen Aufenthalt auf dem Gute seiner Mutter, Harthausen, nehmen, das er nicht weiter als in einem Umkreise von zwei Meilen verlassen durfte. Die benachbarte Stadt Holzminden war ihm unbedingt verboten.

Er lebte seitdem auf dem Gute der Mutter, aber nur unter der strengsten polizeilichen Aufsicht. Die Regierung des Königreichs Westphalen war, wie eine der humansten, so jedenfalls die urbanste der Napoleonischen Regierungen. Der Herr von Rixleben wurde daher unmittelbar persönlich von der Polizei wenig belästigt. Desto strenger bewachten diese jeden seiner Schritte. Gensd’armen und Polizeiagenten umgaben und umschwärmten das Gut Harthausen, bei Tag und bei Nacht, offen in ihrer Uniform, versteckt unter allerlei Bekleidung. Höhere Beamte von Kassel, die früher von der Generalin von Rixleben und dem Gute Harthausen kaum Notiz genommen hatten, kamen jetzt oft dorthin, freilich nur gelegentlich, auf einer Geschäftsreise verirrt oder von dem schlechten Wetter übereilt, auch wohl um der Frau Generalin ihre Verehrung zu bezeugen, oder unter irgend einem anderen Vorwande. Ueber ihre eigentliche Absicht war Niemand im Zweifel.

Der Herr von Rixleben hatte im Winter von 1806 auf 1807 in Königsberg in Preußen, wo er sich damals im Hauptquartier des Königs aufhielt, die Tochter eines an der dortigen Universität lehrenden Professors kennen gelernt. Maria Andreä zählte damals achtzehn Jahre. Wie durch große Schönheit, so war sie auch ausgezeichnet durch Reichthum und Bildung des Geistes, Sanftmuth des Herzens und Anmuth ihres ganzen Wesens. Die Herzen des liebenswürdigen jungen Mädchens und des gefeierten jungen Offiziers hatten sich bald gefunden. Sie schlugen bald in einer Liebe zusammen, die für dieses Leben nur der Tod lösen konnte. Im Sommer 1807, vor der Schlacht von Friedland, hatten sie sich zum letzten Male gesehen. Der Herr von Rixleben mußte dem Könige nach Tilsit, dann nach Memel folgen und von da kurz nachher nach Rußland flüchten. Bis dahin hatten sie fleißig mit einander korrespondirt. Von da an waren die Briefe gegenseitig nicht mehr übergekommen, nur mit Ausnahme eines einzigen.

Der Professor Andreä war erst seit dem Jahre 1805 in Königsberg; er hatte vorher an der Universität Erlangen gelehrt. Das rauhe, nordische Klima Königsbergs sagte dem schwächlichen Gelehrten nicht zu. Er nahm zu Ostern des Jahres 1808 mit Freuden einen Ruf an die Universität Würzburg an. Das Schreiben, in welchem Marie Andreä diese Nachricht ihrem Verlobten meldete, hatte er noch erhalten. Dies war seine letzte Nachricht von ihr.

Die erste Zeile, die er nach seiner Rückkehr aus Rußland schrieb, war an seine Verlobte nach Würzburg gerichtet. Mit welcher Angst harrte er auf die Antwort. Sie kam, war aber schmerzlich für ihn und doch so beglückend. Die Geliebte lebte und liebte ihn noch. Auch sie hatte eine traurige, mitunter schreckliche Zeit verlebt; ihr Vater war gestorben, ihre Mutter war schon längst todt, ein früher Auszehrungstod hatte sie fortgerafft. Der Vater hatte ihr kein Vermögen hinterlassen; sie stand nach seinem Tode allein und hülflos da, und mußte sich durch Unterricht und weibliche Arbeiten für Andere kümmerlich ernähren. Dabei war sie öfters kränklich. Hatten Leiden, zu sehr angestrengtes Arbeiten und mancherlei Entbehrungen ihren Körper geschwächt oder hatte die Krankheit der Mutter sich auf sie fortgeerbt?

(Fortsetzung folgt.)



 

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