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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

Nein – es war nur Augentäuschung. In grimmer stolzer Majestät stehen sie dort, und bieten den Jahrhunderten die Stirn. Ob sie Orkane umrasen, ob der Föhn durch ihre Schluchten tobt, und die Lawinen von ihrem Nacken niederdonnern, das Entsetzen in die Thäler wirft – oder ob kosende Frühlingslüfte ihre Hänge und Wände mit Blüthen decken, was kümmert’s sie. Geschlechter gehn und kommen und vergehn auf’s neu, und starr und trotzig recken sie die Häupter nach wie vor dem blauen Aethermeer entgegen.

Da hinein – an jenen Wänden hinauf, jene Schluchten mit ihren eingerissenen Klammen und schwindelnden Abgründen kreuzend, bald auf, bald nieder, jetzt ein Laatschendickicht durchdringend, jetzt über rollendes Gestein mit flüchtigem Fuße hinüberspringend, liegt unsere Bahn, und wirklich nur der, der selbst die Jagdlust – die Leidenschaft der Jagd kennt und mitfühlen mag, wird auch begreifen können, wie Menschen mit zäher Ausdauer, allen Strapatzen, allen Gefahren trotzend, in diese Berge klettern können, das scheue flüchtige Wild, die Gemse, zu erlegen.

Wenn auch manches Märchen über diese Art Jagd erzählt ist, das den gemüthlichen Leser im flachen Lande unnöthigerweise mit Schaudern und Entsetzen erfüllte – wenn er auch nicht z. B. zu glauben braucht, daß sich der Gemsjäger die Schuhe und Strümpfe auszieht und die nackten Sohlen aufschneidet, um mit seinem eigenen Blute an den glatten Hängen und Gletschern zu kleben, bieten doch die schroffen Wände in Wirklichkeit der gefährlichen Plätze genug, die Jagd eben interessant zu machen.

Wo Weg und Steg aufhört, wo der niederbrechende Fels mit seinen Trümmern die Hänge überstreut und wild Geröll ins Thal gerissen hat; wo hier und da an glatten Wänden nur kleine grasbewachsene Streifen oder vorstehende Steine dem Fuß gestatten, zweifelhaften Halt zu finden; wo überhängende Laatschen dem aufklimmenden Jäger freundlich die zähen Arme niederhalten – mit einem Worte, wo irgend nur ein Anhaltspunkt sich bietet, vorwärts zu kommen, und der Kletternde, den Blick nicht rückwärts wendend, oft Stellen ersteigt, die er nie wieder an demselben Platze zurückpassiren könnte, sucht er sich die Bahn. Nur erst die Höhe muß gewonnen, das Wild gefunden werden, das ist der einzige Gedanke, der ihn treibt, und nach beendeter Jagd gibt es dann Stellen genug, wo man in’s Thal zurückklettern kann.

Oft mag er stundenweit auf grasigen, nicht allzusteilen Lannen rasch und bequem aufwärts steigen. Oft bietet ihm gerade das niedergebrochene, fest liegende Gestein vollkommen sichern Anhalt. Wo noch Bäume wachsen, kann er dabei leicht alle etwa gefährlichen Stellen umgehen. Sie selber oder ihre Wurzeln verstatten ihm guten, oft bequemen Grund, darauf zu fußen. Selbst wo die Krummholzkiefer, die sogenannte Laatsche, wächst, hat er wohl beschwerlichen, aber immer noch verhältnißmäßig sicheren Weg aufwärts, denn deren zähe, elastische Zweige brechen nicht, und ihre Wurzeln klammern selbst in dem lockersten Boden mit erstaunlicher Festigkeit. Ein fingerdicker niederhängender Zweig trägt das Gewicht eines Mannes.

Nur da, wo Lawinen oder niederstürzende Bergwasser Spalten und Schluchten zwischen sie hineingerissen haben, was der Bergjäger dort Klammen nennt, beginnt die Gefahr des Kletterns, und nicht allein ein sicherer Fuß, nein auch ein sicherer Blick gehört dazu, die Stellen auszuwählen, wo ein Ueber- oder Aufgang möglich ist.

Der Gemsjäger ist hierzu schon durch seine Schuhe und seinen Stock ausgerüstet, und seine ganze Tracht nicht allein der Jagd selber, sondern auch dem Terrain, auf dem er sich befindet, angepaßt – praktisch und malerisch zugleich.

Auf dem Kopf trägt er den bekannten Tyroler Hut, mit einigen nach rückwärts gebogenen Spielhahnfedern, dem Stoß eines Schnee-, Hasel- oder Steinhuhns und manchmal einen Gemsbart. Der Hals ist frei, und das weiße Hemd wird durch ein schwarz oder buntseidenes Tuch locker zusammengehalten. Vortrefflich unter den Hut paßt aber die graue Joppe mit dem grünen Kragen – die Joppe eigentlich gewöhnlich etwas zu dunkel für die Berge, weil die lichteren Farben viel besser mit dem Wettergrau der Steine verschmelzen. Unter diesen reichen dann die schwarzen Lederhosen nur bis zum oberen Rand des Knie’s, das sie bloß lassen, während unter dem Knie der dickwollene, weiß gewebte, grüne oder graue Strumpf beginnt. Die Füße stecken in mächtigen Bergschuhen, von festem, wenig geschmeidigem Leder, das den Fuß kräftig zusammenhält, während die darunter eingeschlagenen Nägel nur beim bloßen Anblick einem, mit Hühneraugen geplagten Menschenkinde Entsetzen einflößen müßten.

Es sind das auch nicht etwa gewöhnliche Nägel. Nach innen scharf abschneidend, nach außen aber mit breitem Griff die Sohle fassend und schützend, bilden sie einen wirklichen scharfen eisernen Rand um den Schuh herum, und ahmen dadurch die ähnlich eingeschnittenen Schalen der Gemse nach. Ohne diese Schuhe würde nicht einmal der, von kleinauf an diese Berge gewohnte Jäger im Stande sein, an den steilen platten Graslannen und schroffen Hängen, die oft nur zollbreite Vorsprünge auf ihrer starren Fläche bieten, fortzukommen. Mit solchem scharfen Eisenrand schneidet man aber fest in die Wände ein, und wenn der Kopf nicht schwindelt, läuft man mit einiger Uebung sicher über nicht eben ganz senkrechte Hänge hin.

Dazu aber braucht man, außer den Schuhen noch ein anderes, höchst nöthiges Instrument, und zwar den Bergstock. Dieser, von etwa sechs Fuß Länge, mit oder ohne eisernem Stachel, gewöhnlich nur roh aus einer Haselstaude geschnitten und getrocknet, bietet dem Bergwanderer die Hauptstütze und Hülfe. Ohne den Stock wäre er nur wenig nütze da oben.

Noch darf ich den Bergsack nicht unerwähnt lassen. Er ist, wie Alles, was der Alpenjäger braucht und mit sich trägt, so einfach, leicht und praktisch wie nur irgend möglich eingerichtet. Er besteht aus einem grünleinenen Sack, der hinten mit einem starken aber dünnen Seil auf- und zugeschnürt werden kann, und auf dem Rücken, wo er keine Bewegung hindert, mit zwei ledernen oder gurtenen Achselbändern getragen wird. Birgt der Jäger nun seinen Proviant, seine Steigeisen, Munition und vielleicht die Regenjoppe mit etwas Wäsche darin, so nimmt er, zusammengefaltet, wenig Raum ein, läßt sich aber soweit ausbreiten, noch mit Leichtigkeit den größten Gemsbock darin aufzunehmen. Die „Gams“ wird dann so zusammengelegt, daß Kopf und Läufe ineinandergeschoben oben auf kommen und nur die äußersten Spitzen der Läufe mit den Krickeln (Hörner der Gemse) zum Schlitz herausschauen.

Einen außerordentlichen Vortheil bietet diese Tracht der nur bis zum Knie reichenden Hosen besonders beim Bergaufsteigen. Lange Hosen würden das Knie bei jedem Schritt reiben und spannen, und dadurch das Bein weit eher ermüden, während dasselbe so frei und unbehindert bleibt, und keinem Druck unterworfen, den Körper leicht und kräftig aufwärts trägt.

Der Stock ist beim Aufsteigen weit weniger nützlich, als beim Bergabklettern, obgleich man sich auch oft mit ihm heben und auf ihn stützen kann. Beim Aufsteigen müssen die Hände fast so viel mithelfen als die Füße, und das Gewehr auf den Rücken gehängt, an jedem Busch sich anklammernd, in jede enge Spalte sich einklemmend, jetzt einen vorspringenden Stein, jetzt eine Wurzel, jetzt einen einzelnen Alpenrosen- oder Grasbüschel benutzend, hebt sich der Steigende daran empor. Auch nicht gut ist es, viel zurück zu schauen. Beim Niedersehen in die Tiefe faßt uns leicht Schwindel an, und die Sinne braucht man dort droben alle zusammen und in guter Ordnung, damit der Fuß nicht etwa strauchele. Nur immer vorwärts, Freund, dort oben hast Du wieder festen sicheren Boden, und erst den hohen Rand erreicht, von dem der Blick die Schluchten weit übersieht, magst Du die scheue Gemse auch berücken.

Da rasselt’s da drüben an der Wand, Steine rollen und kleine dunkle Punkte, nicht größer wie Ameisen, springen blitzesschnell über die lichten Wände hin.

Mit dem Fernrohr, nach Büchse und Bergstock das wichtigste Instrument für den Gemsenjäger, suchen die Schützen indessen das Terrain, das sie übersehen können, ab – unerwartet kann ihnen überhaupt hier kein Wild kommen, denn der steinige, rauhe Boden verräth es schon auf größere Entfernung. Da drüben ist ein dunkler Punkt an der nämlichen Wand, über der der erste Treiber sichtbar wurde – richtig es ist ein alter Bock, der sich hier unter einen Felsvorsprung gestellt hat, nach unten hin aufmerksam die springenden Gemsen betrachtet, nach oben ganz erstaunt hinaufhorcht, woher auf einmal all’ die großen dicken Steine kommen, von denen er freilich, grad wo er steht, wenig zu fürchten hat.

Dort und da wird es jetzt lebendig. Ueber den tiefen Thalgrund des weiten Felsenkessels springt das stärkste Rudel gerade dort hinauf, wo ein Jäger, die Büchse im Anschlag, fest hinter einen hohen Stein gedrückt steht. Näher und immer näher

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 14. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_014.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)