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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

es wagen durften, unsere Rückfahrt nach der Wesermündung auszuführen. Einige Mal, während wir da lagen, zeigte sich in der Ferne der „Geiser“ und jedesmal, wenn er erschien, lichteten unsere Schiffe sofort die Anker, um ihn zu verfolgen; er kehrte jedoch jedesmal, wenn er uns bemerkte, um und steuerte nach Helgoland zu. Von den dänischen Fregatten sahen wir nie wieder eine Spur. Bis zum Herbst blieben wir so unthätig liegen; dann trat der Waffenstillstand ein. Unterdeß war die „Hansa“ aus England angekommen und die „Bremen“ fertig geworden. Unser Kapitain wurde nach England gesandt, um eine der Dampfkorvetten, den „königlichen Ernst August“ abzuholen, deren Kommando er übernehmen sollte.

Ich trennte mich mit wahrem Schmerze von ihm, und wurde auf die „Hansa“ versetzt, die unter dem Lieutenant-Kommandant P. stand, welcher früher in der belgischen Marine gedient, und nun in der deutschen Dienst genommen hatte. Die „Hansa“ war ein gar schönes, ganz neues Schiff, das einige Fahrten zwischen New-York und England gemacht hatte und nun für die deutsche Marine zu einem Kriegsschiffe umgebaut worden war. Für ihre sehr bedeutende Größe hatte sie eine verhältnißmäßig nur schwache Bewaffnung, nämlich drei 136pfündige und acht 68pfündige Bombenkanonen. Außerdem war an ihr sehr zu tadeln, daß man das Verdeck nicht übersehen konnte, da man in der Mitte Alles verbaut hatte, um die sehr hohe Maschine zu decken.

Auf diesem Schiffe blieb ich bis zum Anfange des Jahres 1850, zu welcher Zeit ich auf das Schulschiff der Seejunker, die Fregatte „Deutschland“, geschickt wurde, die unter dem Lieutenant-Kommandant T., einem Belgier, stand. Was ich dort sah, lernte und erlebte, was ich gezwungen mit ansehen mußte bis zum traurigen Ende der deutschen Flotte – das Alles erzähle ich den Lesern in den spätern Artikeln.




Die Gemsjagd.
Von Fr. Gerstäcker.[1]

Die Gemsjagd! – welchen eigenen Zauber das Wort allein schon auf mich ausübt! Kaum nehme ich die Feder in die Hand, und lasse die Erinnerung zurückschweifen zu jenem wilden fröhlichen Leben, so tauchen auch schon die grimmen Berge in all’ ihrer Pracht und Herrlichkeit empor. Wieder sehe ich jene schroffen Kuppen und Joche, jene Schluchten und Wände hoch über mir emporragen – unter mir in schwindelnder Tiefe liegen – wieder höre ich in weiter Ferne das Donnern der Lawinen, das Prasseln der aufgescheuchten Gemsen auf dem lockeren Geröll der Reißen, und wie mit einem jähen Schlag steht plötzlich jene wunderbare Welt in ihrer ganzen Pracht und Größe bewältigend um mich her.

Das Herz fängt mir an zu schlagen, als ob ich noch einmal da draußen, halb in einen Laatschenbusch hineingeklemmt, auf überhängender, vorspringender Felsenspitze klebte, und kaum athmend, mit der gespannten Büchse in der Hand, in ängstlicher, fast peinlicher Lust, die Sinne zum Zerspringen angestrafft, des flüchtigen Wildes harrte – und Alles wird lebendig um mich her:

In den gelblich schimmernden Lärchentannen, die tief unter mir ihre halbtrockenen Spitzen heraufstrecken, rauscht und murmelt der Wind, schüttelt und schaukelt die elastischen zähen Zweige der Krummholzkiefer und fegt den Staub aus den trockenen Ritzen und Spalten der weiten Klamm, die sich neben mir, mit ihren gähnenden Schluchten und Spalten, tief in den Berg hineingefressen hat. Dort drüben balgt sich ein Schwarm schreiender munterer Alpendohlen, und still darüber hin, in stummer gewaltiger Majestät, zieht ein einzelner Jochgeier seine luftige Bahn.

O komm! – fort, fort aus dem flachen Land. – Dort hinten ragen schon die starren, lichtübergossenen Joche aus dem duft’gen Nebel auf, der wie ein Schleier auf den Bergen liegt; neben uns rauscht und funkelt die blaue Isar, und trägt den flüssigen, wie mit leuchtendem Silber übergossenen Bergkrystall zum niederen Land hinab. Die kleinen zierlichen reinlichen Häuser mit ihren steinbeschwerten Dächern, hölzernen Veranda’s, bunten Heiligenbildern und Außenwerken von gespaltenen Winterscheiten werden häufiger, freundlich grüßende Gesichter mit spitzen, federgeschmückten Hüten darüber, das unvermeidliche „Regendach“ unter dem Arme, begegnen uns, und jetzt rasselt der Wagen über das Pflaster des Bergstädtchens Tölz die lange Straße hinab, die wie eine Bildergallerie an beiden Seiten alle möglichen „Schildereien“ aus der biblischen Geschichte und christlichen Sage zeigt. – Den Hang nieder geht’s durch eine plankenbelegte mit blauen Hemmschuhspuren gestreifte Gasse über die Isar hinüber, die hier ärgerlich schäumt, weil sie da urplötzlich in ein Wehr gedrängt und Mühlen treiben soll, das freie Kind der Berge und jetzt – o wie uns das Herz da weit wird und die Brust noch einmal so leicht in der reinen Luft zu athmen scheint, strecken die alten lieben Berge die Arme aus, uns zu begrüßen, und enger, tiefer wird das Thal mit jeder Meile, grüner der Fluß, an dem wir aufwärts ziehen, reiner der Himmel, schmäler der Weg, dem der leichte Wagen folgt. Schon nickt die Krummholzkiefer, der Laatschenbusch, wie sie der Tyroler nennt, uns von den nächsten Hängen ein freundliches Willkommen zu und läutende, trefflich genährte Heerden – die Lieblingsthiere mit riesigen Glocken um den Hals – Schafheerden der Bergamasker Raçe mit herunterhängenden Ohren – und Hirten, schwer mit allerlei Alpengeräth bepackt, begegnen uns in der Straße. Es ist Oktober, und Hirten wie Heerden weichen dem nächst zu erwartenden Schneefall aus, der die höchsten Kuppen des Gebirges schon dann und wann einmal auf ein paar Tage mit seinem weißen Mantel überwirft, – nur als ob er sehen wollte, ob ihnen die alten Kleider vom vorigen Jahre noch passen – und sie sitzen wie angegossen.

Es ist Herbst, und die Hirten „drin im Gebirg“ haben selbst die letzten „Unterleger“ verlassen, ihre Thalwohnungen aufzusuchen und ihre Heerden vor Lawinensturz und Wintersturm in Sicherheit zu bringen.

In den Bergen wird’s jetzt leer, da Vieh und Heerden thalab gezogen, und wunderhübsch schildert Tschudi das in seiner Alpenwelt:

„Weißt Du doch selber, Alpenwanderer,“ sagt er, „was für ein schwermüthig drückender Ton im Herbst über diesen Felsen liegt, wenn Menschen und Heerden, Pferde und Hund, und Feuer, Brot und Salz sich in’s Thal zurückgezogen. Wenn Du an der verlassenen und verrammelten Hütte vorübersteigst, und Alles immer einsamer und einsamer wird, wie wenn der alte Geist des Gebirges den majestätischen Mantel seines furchtbaren Ernstes über sein ganzes Revier hinschlüge. Kein befreundeter Athemzug weht Dich meilenweit an, kein heimischer Ton – nur das Krächzen des hungrigen Raubvogels, das Pfeifen des schnell verschwindenden Murmelthiers mischt sich in das Dröhnen der Gletscher und das monotone Rauschen des kalten Eiswassers. Die kahlgeweideten Gründe, in denen die kleinen Gruppen der giftigen Kräuter mit frischen Graskränzen, welche das Vieh nicht berührte, sich auszeichnen, haben die letzten anmuthigen Tinten des Idylls verloren. Der schwarze Salamander und die träge Alpenkröte nehmen wieder Besitz von den verschlammenden Tränkbetten der Rinder, und die verspäteten Bergfalter schweben mit halbzerrissenen und abgebleichten Flügeln durch das Revier, aus dem die beweglichen Unken in trostlosen Chören die sömmerlichen Jodelgesänge der Hirten wie spottend zu wiederholen scheinen.“

Nicht wahr, wie schade, daß der Jäger gerade in diese Berge einzieht, wenn sie der Hirt mit seinen idyllischen Heerden verläßt, und der Jäger bedauert das gewiß –

„Gott sei Dank, daß das langweilige Vieh mit seinem Gebimmel endlich abzieht,“ murmelt er vergnügt vor sich hin, „jetzt bekommen die Berge doch endlich eine Ruh, und man braucht


  1. Wir entnehmen diese Skizze einem unter der Presse befindlichen Prachtwerke des obengenannten Verfassers, auf das wir im Voraus unsere Leser aufmerksam machen wollen. Dasselbe wird in der Verlagshandlung der Gartenlaube erscheinen, und mit vielen Holzschnitten und Kunstlithograhieen verziert werden, deren Ausführung den besten Künstlern anvertraut ist. Die in unserer heutigen Nummer abgedruckten Abbildungen, die in dem Werke selbst natürlich in ganz anderer Ausführung erscheinen werden, mögen einen kleinen Beweis von der Wahrheit und künstlerischen Auffassung der artistischen Beilagen geben.
    D. Redakt.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 11. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_011.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2017)