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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Lebensbilder aus dem englischen Parlamente.

V.
Drummond, der Erzengel. Ergebnisse und Schlußfolgerungen.

Die parlamentarischen Herren, welche wir bis jetzt persönlich vorgeführt haben, sind alle Parade-Pferde. Der große Haufen der andern Auserwählten besteht aus Mittelmäßigkeit, wenn nicht schlimmeren Ingredienzien. Auch diese hervorragenden Persönlichkeiten sind nur einäugige Könige unter Blinden. Es ist kein großer Mann, kein großer Redner unter ihnen. Wo Talent und Genie gar nicht mit concurriren können und nur Geld, Rang und Verbindungen die Wahlen beherrschen, ist dies nicht anders möglich. Einige von diesen persönlich vorgestellten Größen würden vielleicht manches Große und Gute gethan und durchgeführt haben, wenn sie nicht stets darauf beschränkt gewesen wären, es parlamentarisch, vermittelst der Stimmen von Privat- und Kliken- und Goldklang-Interessen und der Dummheit obendrein zu versuchen. Mit der Dummheit aber kämpfen, nach Schiller, Götter selbst vergebens, besonders wenn sie reich ist. Freilich nicht alle Reichen sind dumm, wiewohl sie nach dem Ausspruche des Heilandes alle schwerer in’s Himmelreich kommen, als ein Kameel durch ein Nadelöhr. Wenn sie nämlich klug und weise sind, benutzen sie diese Talente gern nur als Diener ihrer Habe, ihrer speciellen Geld- und Ranginteressen. Das Parlament erfreute sich lange zweier Muster dieser Art von Reichen unter Reichen, des Capitains Sipthorp und des Banquiers und Erzengels Mr. Drummond. Seitdem ersterer aber endlich gestorben ist, führt Mr. Drummond noch allein die Peitsche und Geißel und schüttelt er die Schellenkappe der Originalität unter den Hunderten von auserwählten Dutzendmenschen. Mr. Drummond ist vielleicht allein ein origineller, alter Kauz unter den Gesetzfabrikanten Englands. So oft sich der alte, trockene, schattenhafte, kahle, nur noch mit Backenbart bis über die Ohren hinaus umborstete Siebenziger erhebt, setzt sich Jeder in die Position den Horchens, wenn er auch den ganzen Abend hindurch keinem Worte eines Redners Aufmerksamkeit schenkte, denn Jeder weiß, daß er nur etwas Originelles, Burleskes, bitter Malitiöses und mitunter auch blitzartig Schlagendes hören wird, also etwas, wovon in beiden Häusern sonst keine Silbe zu erhaschen ist. So ungeheuer alt, so ungeheuer reich und dabei so witzig und scharf und eigen. Was kann es Wunderbareres im englischen Parlamente geben?

Drummond, der Erzengel.

Mr. Drummond stammt aus einer alten schottischen Patrizierfamilie, die sich durch ihren jacobitischen Royalismus für die Stuart’s auszeichnete und dafür manche Verfolgungen erlitt. Sein Vater etablirte sich in der City von London als Banquier und heirathete eine Tochter Lord Melville’s, des Collegen und Freundes von William Pitt. So ward der jetzige Drummond „mit einem silbernen Löffel im Munde“ und einem Passe partout für die höchsten Kreise 1786 geboren und danach erzogen, so daß durch alle seine originellen Ein- und Ausfälle stets als Grundton Überschätzung des Reichthums und Ranges und Verachtung der ohne silbernen Löffel und ohne Stammbaum Geborenen hindurchging. Da ihm die christliche Lehre als solche, die höchst unrespectabel von Liebe zu den Armen, von einem gemeinschaftlichen himmlischen Vater und den Menschen im Allgemeinen als Kindern Gottes spricht, dabei sehr im Wege war, gründete er eine besondere Religion für die Reichen. Wenigstens ist er der eigentliche Schöpfer, Bauherr und Erzengel der religiösen Sekte, die ihren Namen von Eduard Irving ableitet. Die Irvingianer hielten ihre ersten Versammlungen 1826 im Schlosse Drummond’s, Albury Park, Surrey bei London, um über mehrere bis jetzt noch nicht in Erfüllung gegangene Prophezeihungen der Offenbarung Johannis u. s. w. zu discuriren. Daraus ging die Sekte der Irvingianer hervor, die in ihren Tempeln einen Reichthum und Luxus entwickelt, wie niemals die katholische Kirche in ihrer größten Blüthe. Wir wissen nicht, was die Irvingianer eigentlich glauben. Darauf kommt’s hier auch gar nicht an. Genug daß ihnen Drummond die originellste und luxuriöseste aller Kirchen mit Engelswohnungen am Gordon Square in London baute und er selbst Erzengel aller Engel und Chef der ganzen Sekte ist. Als Erzengel blieb er auch Banquier und wurde er seit 1847 als Vertreter eines Surrey-Stadttheiles von London Mitglied des Unterhauses, seit Sipthorp’s Tode auch dessen alleiniger Lustigmacher. Aber er rührt nicht blos das Zwerchfell, er bringt auch Galle zum Kochen, daß sie überläuft, wie z. B. 1851 den Irländern, als er das Innere von deren Nonnenklöstern mit kunstbaren Strichen und Streichen öffentlich ausmalte, besonders am 5. Mai 1853, als er in einer Discussion über Corruption und Bestechung bei Wahlen den Einkauf von Stimmen als nothwendige Institution in Schutz nahm und Alle, die dagegen sprachen, als freche Heuchler denuncirte. „Es gibt blos zwei Wege, die Menschen zu regieren,“ sagte er, „brutale Gewalt und Selbstinteresse. Nennt letzteres Corruption, Bestechung oder wie ihr wollt. Es ist unsere Regierungsform und herrscht vom Palaste der Königin an durch das Oberhaus, durch das Unterhaus, durch alle Lebens- und Verwaltungszweige hindurch. Das Unterhaus ist der große Aemter- und Stellenmarkt, wo Einlaßkarten für alle Bureau’s und fette Situationen ge- und verkauft werden.“ – Darauf wandte er sich persönlich an einen Collegen, der einen ihm unangenehmen Antrag gegen das Ministerium, das ihm keine Anstellung gegeben, loslassen wollte und sagte: „Dieser Antrag ist das Gequieke eines Ferkels, weil es keine „Brust“ von der Muttersau bekommen.“ –

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 712. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_712.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)