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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

er das Tuch wegnahm, sah Herr Lukas, daß sein Geschenk derselbe Cornelius Schuyt war, dessen Besitz ihm so sehr am Herzen gelegen. Wie der Maler darauf Herrn Müller umarmt und geküßt und an sein Herz gedrückt – das hat Herr Müller dann später noch oft und mit vieler Freude erzählt.

„Ruhig!“ rief plötzlich Herr Müller und riß die Fenster auf, als der Schlag der zwölften Stunde von dem Nikolaithurm herabdröhnte. Die Geigen und Flöten verstummten – die Tänzer hielten mitten im Tanze inne – und Alle standen, wie der Macht eines Zauberwortes gehorchend, lauschend und unbeweglich da wie ein lebendes Bild. Unmittelbar nach dem letzten Schlage begannen die Glocken auf sämmtlichen Thürmen der Stadt zu läuten und Alle falteten andächtig die Hände, denn jedem Einzelnen schienen diese Glockentöne von seinen innigsten und geheimsten Hoffnungen zu sprechen; dem Wirthe des heiteren Festes aber klangen sie wie die Stimmen unsichtbarer Engel in der Luft, frohlockend über das neue Jahr und über das neue Leben, mit welchem er beschlossen hatte, es zu beginnen.

Als das Geläute verstummte, wurden die Fenster wieder geschlossen, die Tänzer klatschten in die Hände, die Geigen und Flöten spielten wieder auf und Alles war wieder Leben und Bewegung. Und als endlich die Musik verstummt war, und alle Tänzer und Tänzerinnen das Haus verlassen hatten, da stand Herr Müller allein noch am geöffneten Fenster und sah hinauf nach den flinkernden Sternlein am Himmel, und hatte die Hände gefaltet. Wenn wir recht gehört, war es ein still Gebet, was er sprach und seine letzten Worte: „Herr Gott, wie’ dank ich dir!“ kamen so recht aus erleichtertem Herzen.




Der Taubenthurm.
Eine Novelle aus der Criminalpraxis.
(Schluß.)

Von Moorhagen schauete ungebeugt auf das blutige Messer. Seine Stirn bewölkte sich nicht und seine Augen strahlten in friedlicher Majestät, als er dann dem mißtrauenden Freunde in die Augen sah.

„Erforschen Sie diesen Umstand, mein Herr – mir ist er unerklärlich, da ich seit Jahren dies Messerchen in meinen Westentaschen zu tragen pflege, um bei vorkommenden Gelegenheiten es zur Hand zu haben.“

„Und Sie gestehen zu, daß es unbestreitbar Ihr Messer ist?“ fragte der Rath. Von Moorhagen zögerte. Ein Blitz fuhr aus seinen Augen.

„Ich müßte zu einer bestimmten Erklärung darüber das Messer genau und ohne die häßlichen Blutflecke sehen,“ warf er schnell hin.

„Das ist eine Recognition späterer Zeit,“ entschied der Rath kurz und legte das corpus delicti sorgsam bei Seite.

„Wenn meine Bitte Gewicht erlangen kann, bei den seltsam gravirenden Zufällen,“ begann von Moorhagen wieder, „so verschieben Sie jeden öffentlichen Akt der Gerechtigkeit bis zu dem Momente, wo Sie mich meiner Frau gegenüber stellen können.“

„Das wäre gegen jede Form der Criminaljustiz,“ unterbrach der Rath ihn barsch, „solche Vorschläge sind nicht zu berücksichtigen.“

„Gut, so thun Sie, was Ihre Pflicht heischt,“ fuhr von Moorhagen nun wild und heftig heraus. – „Vielleicht kommt die Stunde, wo Sie mit Qual dieser Minute gedenken, in welcher Sie durch übereilte Handlungsweise einen ehrlichen Menschen zur Verzweiflung brachten – denn, es sei Ihnen hiermit eröffnet – in’s Gefängniß geht ein von Moorhagen nicht!“

Es ist etwas Eigenthümliches um die edle Persönlichkeit eines Mannes. Der Rath fühlte wieder die Unmöglichkeit, daß dieser Mann aus niedrigen Beweggründen zum Mörder hätte herabsinken können. Der Impuls des Augenblickes entschied jetzt zu Gunsten Richard’s.

„Es fällt mir gar nicht ein, mich Ihrer Person auf diese Weise zu versichern,“ sagte er plötzlich umgewandelt. „Morgen früh vernehme ich Frau Leopoldine von Moorhagen, dann werde ich Sie vorladen lassen.“

„Das läßt Sie Gott sprechen,“ flüsterte der Edelmann mit erleichtertem Athem, und schob unbemerkt das kleine geladene Terzerol, das er seit der eingetretenen Katastrophe in seiner Brusttasche trug, zurück in seine Verhüllung. Sein Entschluß schien fest zu stehen: lieber sein Leben zu enden, als sich den Qualen und Beschimpfungen einer gerichtlichen Untersuchung bloßzustellen.

Kein Mensch dachte an einen solchen Vorsatz, als Theodore.

Sie kannte allein den Charakter Richard’s bis zum Grunde und wußte, was dort gähren und zum Ausbruche kommen mußte nach den eingetretenen Vorfällen. Sie erwartete nach der Enthüllung der Thäterschaft des unglücklichen Mannes jeden Augenblick die Nachricht seines Todes. Was sie bei dieser Erwartung empfand, ist unmöglich zu analysiren, wenn wir sagen, daß Richard seit ihrer Jugend der Gegenstand einer abgöttisch heißen Liebe gewesen war, die sich mit der lauen Erwiederung von Seiten des jungen Mannes vollständig begnügte. In den letzten Wochen hatte das arme Mädchen zu ihrem Entzücken eine wärmere Empfindung, als jemals in dem Busen Richard’s entflammen gesehen, sie war beseligt durch die Anerkennung ihrer Vorzüge, und hingerissen durch die Hoffnung auf Glück.

Was mußte sie an dem Morgen fühlen, als der Arzt und der Criminalbeamte das stille Landhaus verließen, wo durch deren Anwesenheit das ganze Ungewitter des Unheils hüllenlos hervorzubrechen drohete! Still verrichtete sie ihr Amt als Krankenwärterin bei der Frau, die den Keim des Unglückes gesäet hatte, und gefaßt unterzog sie sich den kleinen Dienstleistungen bei ihren Pflegeeltern. Aber als sie endlich in ihrem Zimmerchen allein war, da überließ sie sich fast willenlos dem Ausbruche ihrer grenzenlosen Verzweiflung.

Ihre Gebete um Rettung des theuren Lebens, das sie von allen Seiten bedroht sah, wechselten mit dem inbrünstigsten Flehen, dem Manne nur ein schnelles und gnadenreiches Ende zu geben, wenn er seine Hand zum Schlusse seines Daseins selbst bewaffnen sollte.

Gott wollte ihr aber gründlich beistehen, ohne daß sie ihre Hoffnungen auf irdisches Glück zu begraben brauchte.

Die Dienerschaft im Landhause an unbedingten Respekt gewohnt, hatte wohl die innere Zerrissenheit in den Verhältnissen des jungen Herrn, wie sie Richard zu nennen pflegte, längst zu bemerken Gelegenheit gehabt und ihre Aufmerksamkeit darauf gesteigert, ohne der Herrschaft das Geringste davon merken zu lassen. Auch bei diesem letzten blutig endenden Vorfalle hatte die alte Köchin mit dem Hausmädchen und dem Hausburschen stille und geheime Konferenzen gehabt, in welchen das Ereigniß gehörig und von allen Seiten beleuchtet und besprochen worden war. Diese drei Menschen wußten aber besser Bescheid, als alle Anderen und als die alte treue Köchin ihr gutes Fräulein so herzzerschneidend weinen und jammern hörte, da hielt sie sich für befugt, als Trösterin bei ihr einzutreten.

Theodore fuhr erschreckt in die Höhe, als sie der alten Frau Martin Stimme neben sich vernahm, die ganz theilnehmend fragte: „ob es denn so schlimm mit der jungen gnädigen Frau stände, daß sie so herzbrechend weine?“

Fräulein Theodore, ihrer Würde als Herrschaft eingedenk, trocknete schnell besonnen ihre Thränen und entgegnete: „sie wisse es nicht, glaube aber nicht, daß es mit Frau Poldine etwas zu sagen habe. Was wird das aber ändern, Frau Martin,“ flüsterte sie beklommen und überwältigt von dem Bedürfniß, ihr Herzeleid, das sie vor den alten Pflegeeltern im Zaume halten mußte, einmal auszusprechen.

Frau Martin sah sie sehr verwundert an. „Nun, dann sehe ich aber doch keinen Grund, liebes Fräulein, daß Sie sich so entsetzlich härmen?“ sprach sie fragend.

„Sie verstehen das nicht,“ entgegnete das Fräulein. „Die Verwundung ist und bleibt tödtlich und die Verantwortung und – – und die Bestrafung“ stieß sie gewaltsam hervor, schwieg aber dann von neuen Thränen übermannt.

„Ei, so lassen Sie die Gnädige doch immerhin bestrafen, ein Denkzettel wär’ ihr ganz gesund für alle ihre Sünden. Das ist

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 706. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_706.jpg&oldid=- (Version vom 21.3.2017)