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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Arktische Entdeckungen und Erlebnisse.

Der große Amerikaner in kleiner, gedrungener Körperform, Dr. Elisha Kent Kane, ein Mann von 34 Jahren, seit seinem vierzehnten Jahre fast immer unterwegs zu Wasser und zu Lande, besonders kühn und tapfer zu Fuße, unter allen Breiten- und Längengraden messend, forschend, entdeckend, in China, unter den Menschenfressern der Philippinen, auf und in[1] noch nie besuchten Kratern feuerspeiender Berge herumstöbernd, zwischen nie untersuchten Felsengebirgen Indiens geologisirend und mineralisirend, Wüsten durchwandernd, durch die Reiche afrikanischer Könige und Sklavenhändler reisend, als Offizier der amerikanischen Armee in Mexico in der Schlacht bei Nopaluka verwundet, als Gesandter des Präsidenten Polk an den General Scott die „Cactusrepublik“ durchstöbernd, und das berühmteste Gebirgsungeheuer Mexico’s, den Popocatopell messend, aus dem vermessenen Golf von Mexico die erste amerikanische „Grinnell-[2]Expedition“ zur Aufsuchung Franklin’s als erster Wundarzt curirend und beschreibend, nachher Haupt und Seele der jetzt von ihm in zwei Prachtbänden erschienenen zweiten „Grinnell-Expedition“ zur Aufsuchung Franklin’s, jetzt in London, um noch eine dritte Expedition zu Stande zu bringen, da er Franklin noch nicht aufgegeben – dieser kleine Dr. Kane ist ein merkwürdiger Charakter, ein mit Wissenschaft erdumgürtendes Musterbild Amerika’s, wohl der kühnste Reisende dieses Jahrhunderts und einer der bedeutendsten Entdecker und Forscher, der Columbus einer neuen arktischen Welt. Er hat nicht nur eine große weitere Ausdehnung des amerikanischen Festlandes entdeckt, eine große Flußmündung und neue Gebirgszüge im Norden Grönlands, dessen Küsten und ganze Ausdehnung vom äußersten Norden her er vermaß, wie Niemand vor ihm, sondern auch vom nördlichsten Punkte aus, den je ein arktisches Schiff erreichte (78° 41’) hinter Wassern, Eisalpen und Landstrecken absoluten Todes und ewigen, dick eingefrornen Starrens eine neue, wärmere Welt, in der sich unter weicheren Winden wieder pflanzliches und thierisches Leben einstellten, und das längst geahnte, gehoffte und prophezeite Polarmeer, mit einer ermittelten eislosen Ausdehnung von 4200 englischen, d. h. beinahe 1000 geographischen Meilen. Diese wärmeren Winde hinter Land und Wasser absoluter Lebensunfähigkeit können auf Inseln jenes vom Gestade aus gesehenen, in seinen Grenzen noch unbekannten Polarmeeres auch noch Franklin und die Seinigen und deren Saaten umwehen und reifen. Und der Nordpol mag vielleicht etwas Wahrheit von jener alten nordischen Mythologie bergen, welche nicht nur ein Paradies dahin versetzte, sondern auch eine feenhaft prächtige Einfahrt in das von lachendem Leben glühende Innere der Erde. Etwas von jenem lachenden Leben vermuthet wohl auch der wissenschaftliche Kopf Dr. Kane’s, der trotz einer ernsten Erkrankung die Hoffnung nicht aufgibt, daß er noch eine Expedition zu Stande bringe, öder sich wenigstens dem wieder von England vorbereiteten Aufsuchungsgeschwader anschließen könne.

Dr. Elisha Kent Kane.

Wir können uns hier nicht darauf einlassen, ein Bild von der ganzen geschilderten Expedition Dr. Kane’s zu geben, und bemerken nur noch, daß er, im äußersten, bis jetzt erreichten Norden, ganzer 21 Monate in neun Fuß dickes Eis eingefroren, mit seinen achtzehn Mann und seinen Hunden über 3000 englische Meilen Entdeckungs- und Forschungsreisen machte, und endlich die unerhörteste Heldenthat ausführte, aus dem ewig festgefrornen Schiffe mit einem einzigen Gespann Hunden über 1300 Meilen Eisgebirge, Eissümpfe und Eismeere nach der nördlichsten Kolonie Grönlands zurückzukehren, ohne einen Mann zu verlieren. In der grönländischen Kolonie wurden sie eines Tages von dem Sternen- und Streifenbanner Amerika’s von einem Dampfschiffe aus begrüßt,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 697. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_697.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)
  1. Er ließ sich von einem überhängenden Felsen mit einem Seile 100 Fuß tief in den Krater des Vulcans Zall hinab, drang dann noch 600 Fuß tiefer in denselben hinein, und durchforschte diese furchtbare Unterwelt so genau, daß er, obwohl bewußtlos herausgezogen, nachher eine klare Skizze von der Gestaltung derselben entwerfen konnte. Solcher tollkühnen Wagnisse im Interesse der Wissenschaft ist sein buntes Leben überhaupt ziemlich voll.
  2. Beide amerikanische Expeditionen zur Aufsuchung Franklin’s gingen aus der Anregung und aus den Mitteln eines Privatmannes, Grinnell, hervor, welche die Regierung und andere reiche Amerikaner, eben so Dr. Kane aus eigenen Mitteln unterstützten. Die Schilderung dieser zweiten Expedition von Dr. Kane ist zugleich in typographischer, artistischer und buchhändlerischer Beziehung eins der glänzendsten Unternehmungen. Das Publikum subscribirte auf 30000, der Congreß auf 15000 Exemplaxe.