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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

kenne, und daher auch nicht weiß, bei wem eine solche Unterstützung am besten angewendet ist.“

„Mein werther Herr von Schönberg,“ entgegnete der alte Geizhals, dem bei den Worten des jungen Mannes sehr unbehaglich zu Muthe ward, „ich würde es als eine große Gefälligkeit von Ihnen betrachten, wenn Sie mich mit einem solchen Auftrage verschonten. Unterstützung der Armen ist ganz gegen meine Grundsätze. Ich bin in der ganzen Stadt als ein Mann bekannt, der das Seine zu Rathe hält, und nicht unter die Bettelleute wirft. Was müßte man nun von mir denken, wenn ich auf einmal in der Stadt herumliefe und Geld austheilte! Da könnte ich am Ende noch gar auf meine alten Tage in den Ruf eines wohlthätigen Mannes kommen – einen Ruf, von welchem ich mich bis jetzt, Gott sei Dank, frei zu erhalten gewußt habe.“

Herr von Schönberg lachte, zog aber gleich darauf eine etwas verdrießliche Miene.

„Mein lieber Herr, Müller,“ sagte er, „was Sie da äußern, glaube ich Ihnen aufs Wort, aber es ist mir doch fatal, wenn ich nun erst noch lange nach Jemandem anders suchen soll, der meine Spenden besorgt. Ich hatte ganz gewiß darauf gerechnet, daß Sie mir diesen Gefallen thun würden.“

Herr Müller sah, daß der junge Erbe sich zum Fortgehen anschickte, und fürchtete in seiner Habgier schon, der für die Zukunft in Aussicht gestellten Geschäfte verlustig zu gehen, wenn er dem eigensinnigen jungen Manne nicht den Willen thäte.

„Nun gut,“ sagte er, „wenn Sie es durchaus wollen, so sei es. Wie viel befehlen Sie, daß ich austheile?“

„Nehmen Sie etwa hundert Speciesthaler,“ antwortete der sogleich wieder begütigte junge Erbe, „und geben Sie davon nach Ihrem Ermessen armen Familien drei bis vier, einzelnen Personen aber nur einen. In ein paar Tagen werde ich mir erlauben, Sie wieder zu besuchen, und hoffe dann von Ihnen zu hören, daß die Austheiluug meiner Spenden Ihnen mehr Vergnügen gemacht hat, als Sie jetzt davon zu erwarten scheinen. Gute Nacht!“

„Da sieht man’s“ sagte Herr Müller, nachdem er seine Thür sorgfältig wieder verschlossen und der junge Mann das Haus verlassen hatte, „da sieht man’s, was das Geld solchen jungen Sausewinden nützt, die in ihrem Leben nicht erfahren haben, wie sauer ein Thaler zu verdienen ist. Wenn’s der junge Herr so anfängt, so wird er mit seinem Erbe nicht lange feil halten.“

(Schluß folgt.)




Der Taubenthurm.
Eine Novelle aus der Criminalpraxis.
(Fortsetzung.)

Der Criminalrath fixirte ihn scharf. „Und das sagen Sie mir, von Moorhagen?“

„Warum sollt’ ich das nicht? In wenig Tagen weiß es gewiß die ganze Stadt.“

„Glauben Sie, daß man Sie ungestraft ziehen lassen wird?“

„Gewiß nicht, doch sind das Geldstrafen; ich gebe mein Lehn ab und verkaufe das Wenige, was an Ländereien mein ist; freilich ohne Verluste wird es nicht abgehen, allein das sei meine letzte Strafe für den unseligen Streich –.“

„Er ist wahnsinnig geworden,“ dachte der Rath und lehnte sich bekümmert zurück. „Er ist jedenfalls wahnsinnig oder er muß glauben, seine Frau nach Belieben todtstechen zu dürfen.“ – Einen Augenblick sann er unschlüssig nach, dann beschloß er, haarscharf auf den Delinquenten einzugehen, um die Wirkung auf seinen umdüsterten Geist zu erproben.

„Sie wissen also, daß Ihre Frau noch lebt?“ fragte er drohend.

Richard sprang auf. „Criminalrath, Sie peinigen mich!“ rief er aufgeregt. „Leider, leider lebt sie und wird auch so leicht nicht sterben. Solche Geschöpfe sind wie die Schlangen, sie sterben nicht am eigenen Gifte, das sie für ihre Zwecke zu sammeln pflegen.“

„Aber Ihre Frau wird wieder gesund werden, von Moorhagen, sie wird als Anklägerin wider Sie auftreten, sie wird Sie des Mordes zeihen,“ sprach der Beamte mit starker kraftvoller Stimme.

Der junge Edelmann blieb vor ihm stehen und starrte ihm in’s Gesicht.

„Meine Frau,“ stammelte er, „mich? Des Mordes? O, wäre es möglich, daß sie ihre Verrücktheit so weit triebe? Das müßte sie aber doch beweisen, Criminalrath?“

Der Beamte nahm das Messerchen hervor, schlug es langsam aus seiner blutigen Hülle und hielt es mit den Worten: „Hier ein corpus delicti, das den Thäter verräth, das Sie als den Thäter gravirt!“

Richard sah auf das Messerchen nieder, welches der Rath festhielt; er las den fein eingegrabenen Namen „Richard v. Moorhagen,“ schüttelte ganz verwirrt mit dem Kopfe und fuhr mit der Hand in seine Westentasche.

„Wie kommen Sie denn in aller Welt zu meinem Messer?“ fragte er, als er sich überzeugt hatte, daß wirklich sein Messer aus der Tasche verschwunden und in einem ominösen Zustande vor seine Augen zurückgebracht war.

„Dieses Messer fand man bei der blutigen Leiche Ihrer Frau?“

„Blutige Leiche?“ stotterte der junge Mann. „Ich verstehe und begreife nichts, bester Herr –“

„So will ich es Ihnen verständlich machen,“ sprach der Rath nun hart und trocken, denn er hatte die vollständige Ueberzeugung gewonnen, einen leichtfertigen Mörder vor sich zu sehen, der seine That durch den Charakter seiner Gattin zu beschönigen suchte.

„Sie sind um sieben Uhr in dem Landhause ihres Onkels eingetroffen.“ Richard nickte und horchte athemlos gespannt auf diese Auseinandersetzung. „Sie haben eine Unterredung mit Ihrer Frau gehabt,“ fuhr der Rath fort. Richard stieß einen tiefen, tiefen Seufzer aus. „Die Unterredung verlor sich in einen furchtbaren Zank. Sie verließen Ihre Frau im höchsten Zorne und als Fräulein Dora unmittelbar nach Ihrem stürmischen Abgange das Zimmer Ihrer Frau betrat, da fand sie diese als blutige Leiche am Boden. Sie werden einsehen, daß Ihnen alles Leugnen der That nichts hilft, da Sie dieses Messer, womit ersichtlich die Schnitte im Halse vollführt sind, zurückgelassen haben; was Sie zur Milderung Ihres Vergehens sich selbst vorzusprechen belieben, das hält gegen die Gesetze nicht Stich!“

Von Moorhagen hatte den letzten Theil der Auseinandersetzung mit ganz wiedergewonnener Fassung angehört und seine hohe schlanke Gestalt, die vorher wie geknickt erschien, würdig in Haltung gebracht. Ein Lächeln sonderbarer Art zuckte über sein männlich hübsches Antlitz als er erwiederte: „Und ich scheine Ihnen wirklich der Mann, zu dem man sich solcher That versehen kann?“

„Nein, von Moorhagen,“ entgegnete der Beamte fest. „Ich zweifelte, ich würde noch zweifeln, wenn Ihr Betragen, Ihre Verstörtheit mir nicht Gründe zum Verdacht an die Hand gegeben hätten.“

Richard sah ihn freundlich an. „Zweifeln Sie immerhin, bester Herr, zweifeln Sie so lange, bis es klar und unumstößlich gewiß vor Ihren Augen steht: Richard von Moorhagen ist ein elender Mensch, der seine Hand gegen seine schwache Frau ausstreckte, um sie zu morden! Aber, so lange Sie dies nicht bewiesen vor sich sehen, mein Herr, so lange bitte ich, mich als einen Ehrenmann zu betrachten, der Ihnen sein Ehrenwort gibt, daß er nichts von der Verwundung der Frau Leopoldine von Moorhagen weiß, daß er nicht begreift, wie sein Messer bei der Leiche gefunden werden konnte und daß er nicht mit einem Gedanken das Leben dieser Dame gefährdet hat! Diese Erklärung gebe ich dem Beamten, Herr Criminalrath, und ich verlange, daß sie den Eingang zu dem Untersuchungsprozesse bildet, der wahrscheinlich über mich verhängt werden wird. Uebrigens ersuche ich Sie, wenn Ihre Beamtenpflicht es erlaubt, jeden Schritt dazu zu vertagen bis Frau Leopoldine im Stande ist, selbst Auskunft über den Vorfall zu geben. Nicht wahr, Sie sagten vorhin, Leopoldine würde wieder gesund werden?“


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