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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

jedem Staate so viele, als dieser Abgeordnete zu dem Congreß (in den Senat und das Repräsentantenhaus – erste und zweite Kammer –) zu senden hat, in dem Staate New-York z. B. 35. Diese Wahlmännerwahl ist jetzt (am 4. November) erfolgt und man spricht von der bereits erfolgten Präsidentenwahl nur, weil man nach der Zahl der Wahlmänner aus den verschiedenen Parteien mit Sicherheit schließen kann, welcher Parteicandidat ernannt werden wird. Die Wahlmänner kommen im Anfang des Decembers und zwar die eines jeden Staates in der Hauptstadt desselben zusammen, um die Abstimmung über den Präsidenten vorzunehmen. Das Protokoll über diese Abstimmung unterschreiben Alle, worauf es an den Präsidenten des Senats eingesandt wird, denn der Congreß muß um diese Zeit versammelt sein. Der Präsident des Senats eröffnet die ihm zugesandten Protokolle im Beisein des Senats und der Repräsentanten und es werden die Stimmen gezählt, welche die verschiedenen Candidaten erhielten. Wer die meisten Stimmen hat, ist Präsident; doch muß diese Stimmenzahl größer sein, als die der Hälfte der Wahlmänner. Haben zwei gleich viel Stimmen, so entscheidet sofort das Repräsentantenhaus durch Kugelung unter ihnen. Hat keiner die Mehrheit, so wählt ebenso dieses Haus den Präsidenten unter den drei Personen, welche die meisten Stimmen hatten. Wer nächst dem Präsidenten die meisten Stimmen hat, ist Vicepräsident.

Das weiße Haus.

Zu diesen beiden hohen Aemtern können nur Bürger der Vereinigten Staaten gewählt werden, welche mindestens 35 Jahre alt und seit 14 Jahren ansässig gewesen sind. Am 4. März treten sie ihre Posten mit einem feierlichen Schwure an.

Uebrigens ist die Macht, welche in die Hände des Präsidenten gelegt ist, groß, weniger beschränkt, also größer als die der Königin von England, denn er ist Oberbefehlshaber der gesammten Land- und Seemacht der Republik, auch der Milizen jedes einzelnen Staates, sobald sie für die Republik einberufen werden; er vollzieht alle Gesetze; das Cabinet, welches aus den Secretairen (Ministern), dem Oberpostmeister und dem Oberstaatsanwalt besteht, ist in keiner Weise für die Handlungen des Präsidenten verantwortlich, die Minister sind nichts als seine Secretaire, sie führen nur aus, was er befiehlt, und machen sie sich eines Vergehens schuldig, so trägt der Präsident allein die Verantwortlichkeit; er schließt und kündigt Verträge, und der Senat hat nur das Zustimmungsrecht; er kann, ohne einen Grund anzugeben, jeden Offizier entlassen; er kann Staatsländereien zum Kauf aussetzen oder vom Markt zurückziehen; er kann die Gelder, deren Verwendung der Congreß angewiesen hat, zurückhalten; er besitzt das Begnadigungsrecht; er kann den Congreß zu außerordentlichen Sitzungen berufen, sowie denselben, in gewissen Fällen, vertagen; jeder Beschluß des Congresses muß seine Zustimmung haben, bevor er Gesetzkraft erhält; er kann seine Zustimmung versagen (sein Veto einlegen), und ein solcher Congreßbeschluß, den der Präsident nicht genehmigt, wird erst dann zum Gesetz, wenn bei nochmaliger Vorlage zwei Drittel der Mitglieder für ihn stimmen.

Die Amtsdauer des Präsidenten beträgt vier Jahre; der Staat zahlt ihm als Gehalt 100000 Dollars – jährlich 25000 – gibt ihm aber später keine Pension. Seine Amtswohnung ist das sogenannte weiße Haus in der Bundeshauptstadt Washington, in welcher auch der Congreß – in dem Kapitol – seine Sitzungen hält. Es bilden diese beiden Gebäude die Endpunkte Washingtons an zwei entgegengesetzten Seiten, und jedes liegt auf einem Hügel.

Das jetzt stehende Präsidentenhaus wurde im Jahre 1815, nachdem das frühere im Jahre vorher von den Engländern vollständig niedergebrannt worden war, mit einem Aufwande von 100000 Dollars erbaut und macht im Ganzen keineswegs einen großartigen Eindruck. Es gibt in Europa viele Paläste und Schlösser von Privatpersonen, die um vieles größer und prächtiger sind; aber die Gründer der amerikanischen Constitution wollten auch nicht, daß der erste Beamte der Republik in Glanz und Pracht lebe, sie verlegten sogar sein Haus absichtlich an das Ende der Stadt, mitten in einen Garten, damit er so viel als möglich ungestört sei und auch nicht von zu vielen Besuchen belästiget werde. Das von weißem Sandstein aufgeführte Gebäude hat eine Länge von 166 Fuß und eine Tiefe von 85 Fuß mit einem halbkreisförmigen Porticus an der Südfronte. Bis zum Amtsantritte des jetzigen Präsidenten Pierce sah es im Innern fast armselig aus; mit einen Aufwande von 30000 Dollars hat man aber manche zweckmäßige Veränderung und vielfache Verschönerungen angebracht, auch ein ziemlich kostbares Meublement gekauft, so daß die Hauptzimmer elegant und geschmackvoll aussehen, wie es unsere Zeit erfordert. In den ersten Zeiten der Republik war das weniger nöthig und die Frau des zweiten Präsidenten (Adams) scheute sich nicht, den Hauptsaal des Gebäudes zum Aufhängen von Hemden u. s. w. jedesmal zu benutzen, wenn sie große Wäsche hatte. Jetzt ist es herkömmlich, daß der Präsident alle Freitage sein Haus öffnet, die Hauptfestlichkeit darin aber ist „die Cour“ am 1. Januar jedes Jahres, denn an diesem Tage empfängt der Präsident als Souverain die

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 685. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_685.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)