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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

John Cabell Bredenridge, zukünftiger Vizepräsident der Vereinigten Staaten.


dicht über dem Schaffot und die Augen Zipser’s waren unbeweglich wie ein paar Fixsterne auf Georg gerichtet.

„Ich kann den Streich nicht führen,“ stotterte der entsetzte junge Mann, „denn nicht die Kindesmörderin, eine Andere, eine Unschuldige sitzt vor mir auf dem Schemel!“

„Wer ist es?“ fragte der Geistliche.

„Sabine Zipser,“ lallte Georg, „die Tochter des Mannes, der dort auf seinem Rosse zu uns herüberblickt!“

Dies Zögern des Nachrichters machte die harrende Menge unruhig. Ein dumpfes Murmeln rollte rund um die Richtstätte, wie ein bewegtes Meer wogte die Menschenmasse ruhelos hin und her. Die Gerichtspersonen drangen mit ernsten Ermahnungen in Georg, daß er thue, was seines Amtes sei und ein Ende mache.

So gedrängt faßte der erschrockene Mann noch einmal all’ seinen Muth zusammen, wie er aber das Schwert zum tödtlichen Streiche erhob, sah er zwei Personen vor sich sitzen, die Beide Sabine’s Züge trugen. Er senkte den Mordstahl, kehrte sich um und sprach, beide Hände über seine getäuschten Augen legend, zu einer der anwesenden Gerichtspersonen: „Ich bin geblendet! Rufen Sie den Alten dort unten, er wird das Urtheil vollziehen!“

Man hatte keine Zeit zu langer Berathung. Die Stunde war beinahe abgelaufen, Eile war nöthig. Ein schnell abgeschickter Gerichtsdiener rief den gefürchteten Mann herbei, der diesem Rufe unverweilt Folge leistete. Als Zipser die Plattform des Gemäuers betrat, entfernten sich die krächzenden Raben und verschwanden schnell den Augen der verwunderten Menge. Bereit, das Urtheil zu vollstrecken, wollte ihm Georg das Schwert reichen. Zipser wies es kalt zurück, seinen flatternden Mantel lüftend.

„Nicht Dein Schwert, das meinige hat geklungen,“ sprach er laut genug, daß die zunächst Stehenden ihn hören konnten, „mit meinem Schwerte will ich richten!“

Noch während er sprach, funkelte der breite Stahl im heißen Sonnenlicht, ein blitzartiger Schimmer zuckte durch die Luft – das Urtheil war vollstreckt. Stolz wandte sich der alte Nachrichter zu den Gerichtspersonen, entblößte sein weißes Haupt und richtete an sie die übliche Frage: „ob er recht gerichtet habe?“ Als er die ebenfalls übliche Antwort: „Du hast gerichtet, wie es Urtheil und Recht mit sich gebracht,“ vernommen hatte, schlug er den Mantel wieder über das gereinigte Schwert, trat zu dem bleich gewordenen Georg und sagte zu diesem:

„Willst Du frei werden und Deiner Sinne mächtig, so komme zu mir. Meine Thüre wird geöffnet sein.“

Damit grüßte er das Gericht und verließ das Schaffot. Wenige Minuten darauf saß er wieder zu Rosse und sprengte in Galopp zwischen den moorbraunen Tümpeln über das dürre Land seiner Wohnung zu.

Diesmal folgte Georg der Einladung des greisen Mannes. Er fand ihn allein in seinem Cabinet, zwischen seinen verständig aussehenden Katzen und den gravitätisch herumwandelnden Raben. Das Gespräch zwischen beiden Männern war kurz aber ernst. Georg bekannte sein Unrecht und bat den Vater, sein Fürsprecher bei Sabine zu sein.

„Nicht meine Künste, die nur in der Einbildung existiren,“ sagte Zipser, „Dein böses Gewissen hat Dir die Sehkraft geraubt. Ich selbst und meine gehorsamen Raben waren nur Helfershelfer. Das sei eingedenk von jetzt an bis an’s Ende, und nun geh’ und sprich mit Sabine.“

Am Abend dieses Tages, der für Georg unter so traurigen Auspizien begonnen hatte, war große Freude im Hause des geheimnißreichen Nachrichters. Tags darauf wurde die Verlobung Georg’s mit Sabine öffentlich bekannt gemacht. Schon einen Monat später ward das junge Paar getraut; Sabine erblühte in neuer Jugendfrische und man hat nie gehört, daß Georg über Mangel an Liebe oder gar über Kälte und Gleichgültigkeit seiner glücklichen Frau Klage geführt habe. Der alte Zipser lebte noch lange Jahre. Wer seinen Rath begehrte, dem half er in seiner wunderlichen Weise, die Raben aber schaffte er unmittelbar nach der Hochzeit seiner Tochter auf besonderes Bitten des ihm völlig ergebenen und innig dankbaren Schwiegersohnes für immer ab.



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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 681. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_681.jpg&oldid=- (Version vom 21.3.2017)