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Gase sofort auf dem Scheiterhaufen mit zerstört, dessen vielfarbige leckende Flamme sie bilden; was davon entweicht, hat die unschädlichere Form von Kohlensäure, Ammoniak und den verschiedenen im Ruß befindlichen brenzlichen Stoffen, wovon unten gleich mehr. Auch werden diese Stoffe hier von der erhitzten Luft nach oben geführt; sie können sich nicht in die Erde sickern und verbreiten sich nicht in der zum Aufenthalte des Menschen dienenden untersten Schicht der Atmosphäre (dem Boden des Luftmeeres, welches wir bewohnen).

Von der ökonomischen, finanziellen Seite betrachtet, ist das jetzt allgemein übliche „Zur-Erde-Bestatten“ eine der unverantwortlichsten Stoffverschwendungen, welche im Stoffkreislauf der Erde vorkommen. Denn gerade die Bestandtheile und Zersetzungsstoffe der thierischen Leichen: die stickstoffigen Gase, die Kohlensäure, die phosphorsauren Erden (Knochensalze), sind die unentbehrlichen Nahrungsstoffe für die Pflanzenwelt überhaupt und für die Nutzpflanzen insbesondere, namentlich für die Körnerfrüchte. Während wir mit enormen Kosten von den Gegenfüßlern her um die halbe Erde herum den Guano einführen, bleibt das eben so stickstoff- und phosphatenreiche Material der menschlichen und thierischen Körper unbenutzt tief in den Gruben liegen, oder entwickelt sich nur langsam und spärlich aus der Erde der Kirchhöfe, um einen nutzenlosen Pflanzenwuchs zu düngen. Dem Einwand, daß heutzutage das zu den Scheiterhaufen zu verwendende Holz gar nicht mehr zu bezahlen sein würde, begegnen wir zunächst damit, daß die Kosten für Särge, Aufputzung der Leiche und nichtswürdige Allotrien (z. B. Citronen für lachende Leichenweiber) nachweisbar bei allen Wohlhabenden und selbst dem unteren Bürgerstande Angehörigen, weit mehr betragen, als ein paar Klaftern Brennholz kosten würden. Außerdem bietet die neuere Wissenschaft und Technik ausreichende Brennstoffe und Verbrennungsweisen dar, wobei alles Holz erspart wird und aus den Verbrennungsprodukten noch viel werthvollere Stoffe, als die bloßen Düngemittel, gewonnen werden können. Diese in’s Werk zu setzen und so einen durch bloße Gewohnheit und Indolenz bisher noch verzögerten Fortschritt der Staatsökonomie und der öffentlichen Gesundheitspflege zu machen, scheint uns eine der nächsten Aufgaben unserer Zeit.

Wir denken uns diese moderne Leichenverbrennung etwa in folgender Weise verwirklicht:

Aus Steinkohlengas (oder sobald die Technik die elektrische Zerlegung des Wassers im Großen zu betreiben gelehrt haben wird, aus purem Wasserstoffgas) wird mit Beimischung eines Stromes atmosphärischer Luft (durch Gasometer, beziehentlich Luftpumpe oder Riesenblasebälge) eine mächtige, verzehrende Stichflamme (a) erzeugt. Diese strömt in einen gewölbten Raum, über die auf einen Rost oder Blech (wahrscheinlich von Platin herzustellen!) ausgestreckte, allenfalls in ein Gewebe von unverbrennlicher Asbestleinwand eingehüllte Leiche. Zur Beleuchtung und damit die Leidtragenden mit eigenen Augen Zeugen des Bestattungs- (d. i. Verbrennungs-) Prozesses sein, auch sich von der Identität der Asche überzeugen können, ist der Raum an mehreren Stellen mit Fenstern aus einem dicken und schwer schmelzbarem Glase versehen. Die Verbrennungsprodukte, unter denen sich mehrere für Industrie und Handel wichtige Stoffe (besonders Blausäure, Ammoniumsalze, brennbare Fette nach Art des Photogen und Paraffin) befinden, werden theils durch Abzugsrohre (b) aufgesaugt, und in kältere Räume zum Auffangen übergeführt, theils auch wohl in Gefäßen (c), welche man (z. B. mit Schwefelsäure gefüllt) am Boden der Verbrennungskammer aufstellt, absorbirt und concentrirt.

Da der Verbrennungsprozeß hierbei auf eine ganz reinliche und gesunde Weise vor den Augen der Angehörigen vor sich geht, denen es auch frei steht, die Asche des Bestatteten zu sich zu nehmen (außerdem wird sie, wie es die Naturgesetze verlangen, dem Acker zurückerstattet): so mag wohl Niemand behaupten, daß diese Bestattungsweise unästhetischer sei, als die jetzige, welche den Körper einem scheußlichen Wurmfraße und Moder anheimgibt. Auch das religiöse Bedürfniß wird dabei seine volle Befriedigung finden, indem die Angehörigen an den Fenstern der Verbrennungskapelle singen, beten und geistlichen Zuspruch, oder die Abschieds- und Ehrenreden ihrer Freunde hören können. Blumenschmuck und dergleichen ist ohnedies nicht ausgeschlossen. – Bald würde auch die Kunst sich dieses Gegenstandes bemächtigen, und z. B. durch geschickte Anwendung der sauerstoffreichen z. B. Zündsalze, den Hergang vereinfachen und ihm alles für ungeübte Augen Schreckende benehmen.

Der Vorschlag ist ganz einfach. Jeder chemisch Gebildete begreift seine Ausführbarkeit und auch seine praktische Wichtigkeit. Es handelt sich nur darum, daß die Sache im Großen auf eine leicht zu handhabende Weise ausgeführt werde, am besten in einer der großen Hauptstädte Europa’s, wo täglich Dutzende von Leichen, welche Niemand reklamirt, auf Gemeindekosten bestattet werden müssen. Vielleicht geben die praktischen Engländer, denen ohnedies die Kirchhöfe Londons als unaufhörliche Gift- und Pestquellen schon lange Sorgen machen, das erste Beispiel einer für das Wohl der Menschheit so wichtigen Neuerung!

Herrmann Richter.




Die französischen Tugendpreise.


„Tugendpreise!“ ruft wohl Mancher, „welch’ ein empörender Gedanke! Die keusche Tugend aus ihrem heiligen Dunkel an das grelle Tageslicht zerren, eine frivole Komödie mit ihr aufführen und zuletzt sie gar noch mit Geld ablohnen! Hat die Tugend einen Preis? Geht sie etwa auf Gewinn aus? Wer, der nur etwas gesundes Gefühl sich bewahrt hat, nur einige Scheu vor dem Göttlichen, nur eine Ahnung von dem wahren Wesen der Tugend in sich trägt, kann sie auf solche Art entwürdigen wollen? Das ist ja das wirksamste Mittel, alle echte Tugend im Volke auszurotten, denn man verdreht dadurch gänzlich alle seine Begriffe, und hält ihm statt ihrer eine schamlose heuchlerische Fratze als das Ideal der Vortrefflichkeit vor, dem er nachstreben soll, und zwar nachstreben, um vielleicht in der Tugendlotterie einen Preis von so und soviel hundert oder tausend Francs zu erhaschen und öffentlich genannt und gepriesen zu werden! Denn es fühlt doch wohl ein Jeder, daß kein wirklich Tugendhafter, Keiner, der das Bewußtsein einer wahrhaften Edelthat in sich trägt, hingehen wird, um seine eigene Vortrefflichkeit den Preisrichtern anzurühmen und eine baare Belohnung dafür zu verlangen! Somit also wird durch diese pompöse Farce, zu der sich sogar eine „Akademie der moralischen Wissenschaften“ hergibt, unter dem heiligsten Namen nur die frevelhafteste Gaunerei aufgemuntert und zur öffentlichen Bewunderung und Nacheiferung emporgehalten. Das ist aber wieder echt französische Komödie, nichts als Komödie, auch das Reinste und Edelste muß zu einer Komödie herabgezogen werden!“

Gemach! gemach! – Wenn auch nicht zu leugnen ist, daß der Gedanke, der Tugend öffentliche Geldpreise zu ertheilen, auf den ersten Blick etwas sehr Verletzendes hat, so läßt sich der Sache doch vielleicht auch eine Seite abgewinnen, von der aus jener Widerwille sich nicht nur mildern, sondern wohl gar in sein Gegentheil umwandeln dürfte. Unser imaginärer Gegner hat in seinem ganz löblichen Eifer die triftigsten und meistgehörten Einwürfe gegen die schöne Stiftung des edlen Monthyon herausgepoltert; um sie nun in der Kürze zu beantworten und zu widerlegen, können wir nicht besser thun, als die Sache ganz einfach für sich selbst reden zu lassen.

Der Ursprung dieser Tugendpreise ist wohl vielen unserer Leser schon bekannt. Der reiche französische Baron von Monthyon hinterließ nach einem ungewöhnlich langen, ganz nur der Linderung menschlichen Elendes und der Förderung alles Guten gewidmeten Leben, als er 1820 starb, sein großes Vermögen verschiedenen wohlthätigen Anstalten, und bestimmte einen Theil davon zur Vermehrung des Kapitals, welches er bereits 1782 der Akademie der moralischen Wissenschaften zu dem Zwecke anvertraut hatte, daß sie von den Zinsen desselben alljährlich eine Anzahl Preise an solche Personen ertheilen solle, die sich durch eine Reihe edler und aufopfernder Handlungen besonders ausgezeichnet haben. Wir heben das Wort „Reihe“ ausdrücklich hervor, denn der weise Stifter dachte richtig, daß eine vereinzelte That des Muthes, der Menschenliebe und Aufopferung, vielleicht nur einem augenblicklichen Impulse entsprungen, noch keineswegs wirkliche Tugend begründe,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 670. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_670.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)