Seite:Die Gartenlaube (1856) 666.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

mußte, dessen Phantasie in den Regionen einer düstern Geisterwelt schwelgte, den immer Ahnungen geheimer Schrecknisse verfolgten, die in sein Leben treten würden, der Doppelgänger und Schauergestalten aller Gattungen wirklich um sich sah, wenn er sie schrieb, und deshalb so ergreifend wahr in seinen Schilderungen wirkt, weil er identisch mit ihnen wurde.

Während dieser an seine Spukgestalten glaubte und eine sich marternde Einbildungskraft ihn zerstörte – klagte Jener über die fieberhafte Glut, die sein Leben so schnell aufrieb.

„Wir Beide, Hoffmann, kranken an einer Wunde,“ sagte einst Devrient in einer fast schrecklichen Aufregung – „uns haben sie in’s Hirn gehauen.“

„Oder in’s Herz,“ fügte der Leidensgefährte leise hinzu und mochte dabei jenes Verhältnisses gedenken, das seines Mißverhältnisses wegen die Blüthe seiner Jugendkraft für immer abgestreift hatte – dem er zwar die vertraute Bekanntschaft mit der Tiefe des menschlichen Herzens verdankte – aber auch jene Zerrissenheit seiner Seele, deren Spuren bis an seinen Tod noch kenntlich waren. [1]

Hoffmann, der zu Berlin als Kammergerichtsrath starb, und dem seine Freunde ein Denkmal setzten, auf dem zu lesen: „Ausgezeichnet im Amte, als Dichter, als Tondichter und Maler“ – der nach und nach im Zerfall mit sich selbst sich einer ungewöhnlichen Lustigkeit hingab, die fast in’s Possenhafte ausartete – der wenige Zeit vor seinem Scheiden dem eintretenden Freunde Hitzig zurief, als ihm zur Heilung der Rückenmarksschwindsucht das Rückgrat gebrannt war: „Riechen Sie nicht noch den Bratengeruch?“ diese Chamäleons-Natur, genannt Hoffmann, in dessen Brust, mehr als in der jedes andern Menschen, zwei Seelen wohnten, von denen die eine dem Himmel zuflog, die andere, mit „herber Liebeslust“ an der Erde hing, der ferner wenig Notiz davon nahm, als die unglückliche Schlacht bei Jena mit tödtlichen Streichen sein Vaterland traf, aber bei dem Tode seines berühmten Katers „Murr“ Thränen des tiefsten Schmerzes vergießen konnte, – ihn wollen wir auch kennen lernen in seinem Lebenselemente, in der Weinstube – wo er mit seinem Freunde und Zeitgenossen Ludwig bis spät nach Mitternacht bei schäumendem Champagner saß, umgeben von einem Kreise staunender Hörer und begeisterter Bewunderer.

Während der Wein im Glase seine Perlen warf, sprudelten diese beiden engverschwisterten Naturen ihren Geist hervor und entluden die elektrischen Funken ihres Witzes in gegenseitiger Berührung. Dort, in jener Ecke, welche noch heute mit seinem Bildnisse geziert ist, saß – es sind kaum vierunddreißig Jahre her – der geniale Schauspieler mit dem scharfgezeichneten Gesicht, das in seiner dunkeln Färbung und in seinem kühnen Schnitt den südlichen Franzosen nicht verleugnen konnte. Mit den feuerwerfenden Augen hing er an den nervös zuckenden Lippen Hoffmann’s, der irgend ein keckes Capricio seiner Erfindung oder eine skurile Erzählung zum Besten gab. Dann ließ Devrient aus der tiefen Brust sein hohles Lachen ertönen, oder er warf eine kühne Bemerkung dazwischen, schneidend wie ein greller Blitz. Arm in Arm schritten die Freunde oft mit Morgengrauen erst aus der Weinstube auf die Straße, wo Hoffmann dann immer über den Teufel klagte, „der seinen verfluchten Schwanz auf Alles legte“ – und Devrient dabei schwere Seufzer ausstieß, oft so kläglich und schmerzlich, daß eines Nachts der Wächter um Hülfe schrie – glaubend – ein Gespenst müsse in der Nähe sein.

In Hoffmann’s Tagebuche ist wiederholt zu lesen: „Abends mit Mühe heraufgeschraubt durch Wein und Punsch“ – und gleichsam sich selbst tröstend und entschuldigend setzt er dann gewöhnlich hinzu: „Wenn ich mich selbst fantasmatisire, – so hat Niemand was drein zu reden.“ – Nicht ohne schmerzliche Berührung können wir dies Geständniß eines sonst so ausgezeichneten, glänzenden Geistes vernehmen – besonders als der Dichter später, auf dem Sterbebette, tief sein wüstes Leben beklagte und in die Hände seines Freundes feierlichst gelobte: ein anderes Leben zu führen, sobald ihn Gott noch einmal errette. Sein Wunsch ging ihm nicht in Erfüllung, ihm, der „nur leben, leben wollte – sei es unter welcher Bedingung“ – der sich zuletzt fast verzweiflungsvoll an ein Dasein klammerte, das, wie er tief genug fühlte, er durch eigene Schuld so umdüstert hatte.

Die Weinstube von Lutter und Wegener in Berlin, an der Ecke des Gensd’armenmarktes und der französischen Straße, noch heute berühmt durch ihre beiden Stammgäste Ludwig Devrient und Hoffmann, war leider der Ort, wo die beiden Geister nicht allein sich gegenseitig entzündeten und mit einander im edelsten Wettstreite aufflackerten – er war auch Ursache und Zeuge ihres allmäligen Sinkens. Er sah oft zwei Männer mit geisterbleichen, abgespannten und todtmüden Gesichtern einander gegenüber sitzen und sich anstarren mit dunkeln Vorahnungen von einem Geschick, das selbst hervorgerufen, sie am Ende doch noch erreichen müsse. Dann preßte der Eine die schmalen dünnen Lippen zusammen und trommelt auf dem Tische, als könnte er dadurch die Mahnung des eigenen Gewissens verscheuchen, während der Andere in seinen schwarzen Locken wühlte, wobei der Brust sich jene unheimlichen Seufzer entrangen, die genau denen glichen, womit er als Geist im Hamlet die Zuschauer bis in’s innerste Mark erschütterte.

Die Art und Weise, wie sich Hoffmann über Ludwig Devrient’s Leistungen nach der Vorstellung äußerte, war sehr lakonischer Art; er kniff ihn jedesmal in die Seite, wenn er mit ihm zufrieden war – leiser bei einer minder vorzüglichen Rolle – stärker und stärker, je mehr ihm diese behagt hatte. Erhielt Devrient von ihm einen Knuff, daß er bald vom Stuhle fiel, so war dies seine höchste Wonne, und er zog dann die gewaltigen Brauen so hoch in die Höhe, „als ob der Stirnknochen mitgehen sollte.“

Ludwig Devrient war zum ersten Male als Lear aufgetreten. Eine Schaar von Gästen erwartete nach der Vorstellung den Künstler in der genannten Weinstube. Hoffmann saß bereits in seiner Ecke, und hatte mit besonderer Aufmerksamkeit einen Stuhl umgelehnt. Er schien heute düsterer und schweigsamer als je, und kritzelte nur mit dem Bleistifte auf der Speisekarte umher – sonst saß er regungslos wie eine Bildsäule. So oft einer der Anwesenden zu ihm trat, und ihn mit Fragen um sein Urtheil über Devrient’s Lear bestürmte, blickte er kaum auf – ein tiefer Zug aus dem Glase war die einzige Antwort. Hoffmann war in seiner angegriffenen Stimmung, wie immer, wenn er etwas Außerordentliches erlebt hatte.

Die Thür öffnete sich, und herein trat ein Mann, fast bis über die Ohren in einen Pelz gehüllt, den Hut tief in der Stirn. Instinktmäßig geht er auf den umgelehnten Stuhl zu, nickt still gegen Hoffmann, winkt dem Kellner, der mit der bewußten Flasche Sekt herbeieilt, und sie so geräuschlos als möglich entpfropfend, vor ihn hinstellt. Devrient, denn nur Devrient mit dem weit aufgerissenen Auge und der Adlernase kann jener Mann sein, wird jetzt vom Kellner seines Mantels entledigt, und wir sehen ein Gesicht, auf dessen Zügen noch der Wahnsinn Lear’s unvertilgbar geschrieben zu stehen scheint. Noch glaubt man Thränen zu sehen in dem Auge, das weinte über den Undank der Kinder; noch scheint auf den bleichen Lippen der Fluch über Goneril und Negan zu schweben, oder noch scheint dieser Mund verzweiflungsvoll zu klagen über das liebste Kind, Cordelia, die „niemals, niemals, niemals wiederkehrt.“

Fast wehmüthig blickt der Künstler auf seinen Freund, der ihn nur still, durch sein bekanntes kurzes Kopfnicken grüßt, während ihm von allen übrigen Seiten die begeistertsten Lobessprüche aufgedrungen werden. Doch auf diese hat Devrient nur sein verlegenes Lächeln zu erwiedern, mit dem er so gern auswich, und das ihm den Anstrich eines ängstlichen Kindes gab, das scheu und sorgsam die Menge flieht, und dem Wesen dieses außerordentlichen Mannes beinahe zur andern Natur geworden war.

Ueber eine Stunde haben die Beiden schweigsam nebeneinander gesessen – Jedem liegt ein Alp auf der Brust – die Gäste haben sich fast alle entfernt – der „Leibkellner“ nimmt bereits seinen „Wachtstuhl“ am Ofen ein – da – auf einmal schreit Devrient, hoch vom Stuhle fahrend, laut auf – er hat den fürchterlichsten Stoß von Hoffmann in die Rippen bekommen. Hoffmann ist also außerordentlich mit seinem Lear zufrieden, und dankerfüllt sinkt der Künstler dem Freunde an die Brust.

„Sehen Sie, Hoffmann,“ fängt er nun erleichterten Herzens an, „die Kerls (auf die abgegangenen Gäste deutend), die können, schwatzen, was sie wollen – aber der Knuff hat mir wohlgethan. Die dümmsten Stellen haben sie heute applaudirt, und das leidlich Gute ging spurlos vorüber. Verrückt könnte man werden!“

„Sie haben zehn Teufel im Leibe!“ läßt sich nun Hoffmann aus.

„Aber Freund, ohne Teufel ist auch nichts. Der Teufel im Leibe gibt uns Schauspielern die Verwegenheit, ohne die keine Darstellung

  1. Deutet auf ein unglückliches Liebesverhältniß in Königsberg.
    Anmerk. d. Redaktion.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 666. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_666.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)