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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

mögen Ehegatten so einträchtig mit und neben einander gelebt haben, als der frühere Student der Medizin mit der bescheidenen, still-glücklichen Mathilde. Nach langer, kinderloser Ehe beschenkte Mathilde den geliebten Mann spät noch mit einer Tochter. Die Geburt dieses Kindes raubte leider der Mutter das Leben, und Zipser sah sich als Mann, der bereits das Herannahen des Alters spürte, und der längst schon den Ehrenschmuck des Alters, hell glänzendes Silberhaar trug, verlassener denn je vorher. Das Kind blieb indeß am Leben, gedieh sichtlich, wuchs unter den Augen des Vaters auf, der es mit der zärtlichsten Liebe hegte und pflegte, und erblühte zu einer der schönsten Jungfrauen.

Da Zipser, der von Jahr zu Jahr immer eigensinniger ward, mit Niemand Umgang pflog, lernte auch Sabine wenig oder gar nicht die Menschen kennen. Das junge Mädchen fühlte nicht selten eine gewisse Leere in und um sich, und hätte sich Wohl gern jubelnd dem Leben in die ausgebreiteten Arme geworfen, wäre nur der eigensinnige Vater dazu zu bewegen gewesen. Das Vorurtheil allein stand der Verwirklichung eines solchen Wunsches jetzt nicht mehr im Wege. Die Zeiten hatten sich geändert, die Ansichten der Welt waren milder geworden. Suchte man auch den Nachrichter und seine Angehörigen nicht gerade auf, um innigen Umgang mit diesen zu pflegen, so kehrte man ihnen doch auch nicht mehr verächtlich den Rücken, oder mied und floh sie gar wie Aussätzige oder von Gott Gezeichnete. Die größere Bildung hatte den Fluch finsterer Jahrhunderte von den ehedem Geächteten genommen. Im Stillen mochte diese Umkehr zum Bessern den alten Mann wohl freuen, äußerlich ließ er sich nichts davon merken, und sein gemessenes, abgeschlossenes Wesen der bürgerlichen Gesellschaft gegenüber blieb unverändert, wie es gewesen, seit die Verachtung der vorurtheilsvollen Menge ihn zwang, Schutz in dem Hause zu suchen, das er jetzt mit seinen reichen Schätzen sein wohlerworbenes Besitzthum nannte.

Ein junges Mädchen von Sabine’s Schönheit konnte jedoch nicht lange in dem seitwärts gelegenen Hause verborgen bleiben. Wer das fröhliche Kind, das mit rührender Liebe dem greisen Vater anhing, nicht am Tage sah, der fand wohl einmal Gelegenheit, unter dem Schleier der Nacht einen, wenn auch nur flüchtigen Blick auf die Schöne zu werfen. Denn noch immer war der alte Mann Vielen ein Rather und Helfer. Seine Aussprüche wurden befolgt und geglaubt, als wären es Orakel, und da Jedermann das Aufsehen eines täglichen Besuches scheute, so blieb nach wie vor das einsame Haus ein Wallfahrtsort geringer und vornehmer Leute.

Zipser vermuthete sehr bald bei den vielen jugendlichen Besuchern, die freilich allerhand Leiden zu haben behaupteten, geheime Absichten, und war sogleich entschlossen, diesem Zulauf junger Männer ein Ziel zu setzen. Er gedachte seiner Jugend, seines Elends, der langen schmerzensvollen Jahre, welche die Thorheit der Menschen ihm bereitet. Die Tochter vor ähnlichen Erfahrungen zu bewahren, hielt er für die erste und heiligste Pflicht eines Vaters.

„Es ist nicht gut,“ sagte er sich, wenn er ungestört in seinem stillen Laboratorium saß, zu seinen Füßen die beiden freundlich spinnenden Katzen, hinter ihm auf der Lehne des hohen Stuhles einen der gezähmten Raben, „es ist nicht gut, daß mein Kind aus dem Zauberkreise heraustritt, in den mich das Verhängniß gestoßen hat. Jetzt ist sie glücklich in diesem Kreise, denn sie kennt keine anderen; erführe sie dereinst, wie man früher von Leuten dachte, die ihres Vaters Gewerbe treiben, so würde ein dunkler Schleier über den sonnenhellen Glanz ihres bisherigen Lebens fallen, und Sorge, Angst, Reue, Unzufriedenheit wären ihre unzertrennlichen Begleiter. Das soll und darf nicht geschehen. Ich werde also das Kind verheirathen.“

Sabine erfuhr nichts von diesem Plane ihres Vaters, bald aber stellte sich erst in längeren Zwischenräumen, dann öfterer ein junger Mann ein, den der Vater stets freundlich begrüßte, mit dem er gern und viel sprach, und den er offen vor Andern auszeichnete. Mit Georg ging er sogar Arm in Arm spazieren, ihm reichte er nicht blos, ihm drückte und schüttelte er sogar die Hand. Georg war aber der Erbe der größten Scharfrichterei in einer nur wenige Meilen entfernten Grenzstadt. Zipser hatte den Vater Georg’s schon gekannt, und beide Väter hatten eine Ehe ihrer Kinder für wünschenswerth gehalten.

Es dauerte auch wirklich nicht lange, so entspann sich zwischen den jungen Leuten ein Verhältniß, das schon nach wenigen Monaten zu einem stillen Verlöbniß führte. Sabine reichte dem stattlichen Manne aus inniger Herzensneigung ihre Hand, Georg schien mehr bezaubert von der auffallenden Schönheit des jungen Mädchens, als von ihrer wahrhaft weiblichen Anmuth für immer gefesselt und in tiefster Seele beglückt. Er war noch zu wenig in die Welt gekommen, daher von jeder angenehmen Erscheinung leicht hingerissen, von Natur aber flatterhaft und unbeständig.

Sabine’s Vater kümmerten so leichte Jugendfehler nicht. Er kannte seine Tochter, ihre hingebende Liebe, ihre Aufopferungsfähigkeit, und deshalb zweifelte er keinen Augenblick, daß es ihr sehr bald gelingen werde, Georg mit unlösbaren Banden an sich zu fesseln, mit ihrem heiß liebenden Herzen auch das seine ganz zu erobern. Bald indeß bemerkte er, daß der junge Mann seines Vertrauens nicht würdig sei. Georg vernachlässigte Sabine mehr und mehr, kürzte seine Besuche ab, und blieb endlich ganz aus. Deshalb von dem rechtlichen Vater seiner Verlobten zur Rede gestellt und an seine Pflicht erinnert, erklärte er, niemals sich verheirathen zu wollen. Er fühle, setzte er entschuldigend hinzu, daß er eines so edlen Geschöpfes wie Sabine nicht werth sei, und daß, zwinge man ihn zur Ehe, das größte Unglück daraus entstehen könne.

Zipser, den tiefen Schmerz seiner getäuschten Tochter in innerster Seele mitfühlend, legte sich jetzt auf freundliches Zureden, und führte Georg zu Gemüthe, daß er Sabine das Herz breche, und an seinem einzigen Kinde zum Todtschläger werde.

„Würd’ ich’s,“ entgegnete der leicht Erregbare unmuthig, „wer anders trüge dann die Schuld, als Sie? Nicht ich habe Sabine gesucht, Sie haben mich ihr zugeführt. Mir selbst fällt nichts zur Last, als ein Irrthum des Herzens.“

Der greise Scharfrichter neigte sinnend das weißlockige Haupt, und jener Zug finsterer Strenge, der sich frühzeitig seiner Stirn eingegraben hatte, trat jetzt schärfer als sonst hervor.

„Besinne Dich, und mache uns nicht unglücklich,“ sagte er nach einer Weile. „Ich lasse Dich nicht, das bedenke!“

„Sie wollen mich doch wohl nicht bannen?“ erwiederte Georg lächelnd, mit dieser Antwort zugleich auf das geheimnißvolle Wesen des Alten anspielend, dem er weit und breit seinen Ruf verdankte.

„Gewiß!“ versetzte Zipser und blitzte den Treulosen mit so zornigem Auge an, daß es diesem eiskalt überlief.

„Sabine wird einen Bessern finden als mich, und glücklich werden,“ sagte Georg einlenkend. „Junge Mädchen sind auch Täuschungen unterworfen. Hat sie sich ausgeweint, so vergißt sie mich. Thränen werden sie nur noch schöner machen.“

„Ich will aber nicht die Schande erleben, die Du mir zuzufügen gedenkst,“ erwiederte Zipser. „Es wissen’s Hunderte, daß Ihr mit einander verlobt seid. Trittst Du zurück, so verfällt das arme Mädchen in Unehre, und die Leute reden Uebles von ihr.“

„Dann bringen Sie mich meinetwegen um,“ versetzte der ungeduldige Georg. „Genug, ich heirathe nicht, und wenn der Himmel einfällt!“

„So fahre zur Hölle!“ rief Zipser ergrimmt, und hob drohend die Hand gegen den Jüngling. Sich aber rasch besinnend, ließ er den Arm sogleich wieder sinken. „Es ist gut,“ fuhr er gemäßigt fort. „Ich habe jetzt Deinen Sinn erkannt, und werde nun thun, was ich für Recht erachte. Dein Freund bin ich nicht mehr, begegnet Dir aber früh oder spät auf Deinem Lebenswege ein Feind, so gedenke des alten Zipser, dessen Herz Du von Dir gestoßen hast. Ich hoffe, wir sehen uns noch einmal, ehe ich für immer die Augen schließe.“

Zipser kehrte Georg den Rücken und ging von dannen.

Dem flatterhaften jungen Fant ward nicht wohl bei diesem Abschiede. Er hätte sich den alten Mann lebensgern versöhnt, denn er fürchtete ihn, wie er ihn achten mußte, Sabine aber zu heirathen, war ihm nicht möglich, er wußte selbst nicht recht, weshalb, und so war denn jede Verbindung abgebrochen.

Von dieser Zeit an begann das junge Mädchen zu kränkeln. Getäuschte Liebe, Sorge um den Vater, der immer finsterer ward, Gram und Kummer nagten an Sabine’s Herzen, und ließen sie sichtbar verblühen. Zipser aber gab noch immer nicht alle Hoffnung auf, den verblendeten Jüngling doch wieder an sich zu ketten, und da er Zeit genug hatte, sich ungestört mit seinen Gedanken zu beschäftigen, so grübelte er fortwährend darüber nach, wie er es wohl am klügsten anzufangen habe, um der liebesiechen Tochter den ungetreuen Bräutigam wieder zuführen zu können. Ob dies auf Umwegen, mit List oder auf sonst eine passende Weise geschehe, war

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