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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

vier Stockwerken oder „Decks“ mit Salons, deren größter 400 Fuß lang ist, also etwa so lang, wie beide entgegengesetzte Thore in einer kleinen Stadt auseinander liegen. Das Ungeheuer kann außer seinem eigenen Körper, wozu allein 10,000 Tonnen Eisen (die Tonne – 20 Centner) gebraucht wurden, noch 22,500 Tonnen Ladung tragen, in Personen 600 erster Klasse, 1800 zweiter Klasse und 10,000 Mann Soldaten mit all ihrem Gepäck und Lebensmitteln, außerdem aber auch noch alle Lebensmittel zu einer Reise nach und von Australien für sich selbst, d. h. 18,000 Tonnen Kohlen.

Dabei hat es sich vorgenommen, in jedem Wind und Wetter sechsmal so schnell zu laufen, als das schnellste Segelschiff, 15 Knoten die Stunde, oder von und nach Australien in 33 bis 36, von und nach Ostindien in 30 bis 33 Tagen, wozu Segelschiffe in der Regel 150 bis 190 Tage brauchen. Diese Schnelligkeit soll es sowohl seinen doppelten Dampftrieben, einer Schraube von 1000 und einem Räderwerk von ebenfalls 1000 („nomineller,“ in der Wirklichkeit höherer) Pferdekraft verdanken, als auch seiner fischartigen Gestalt, die für Schiffe stets sehr nahe lag, da uns die Fische schon seit Jahrtausenden gezeigt haben, mit welcher Gestalt und Ruderkunst man im Wasser am besten vorwärts kommt, die aber hier dennoch zum ersten Male versucht wird. Die Fischgestalt des Schiffskörpers sieht man deutlich an dem Grundrisse Nr. 3.

Nächst der äußern Gestalt sind die Treibmaschinen von besonderer Wichtigkeit. Vier cylindrische Kolben, jeder von 74 Zoll Durchmesser und einem Stoßkreise von 14 Fuß 6 Zoll Durchmesser (so lang ist eine gerade Linie innerhalb ihres Stoßkreises) treiben in direkter Aktion nach dem oscillirenden Principe die Schaufelräder, jedes von 56 Fuß Durchmesser, so daß also ein großes Haus innerhalb ihres Umfanges stehen könnte, und das größte Riesenwerk von Schmiedeeisen, ein 130 Fuß langer Cylinder dreht die Tausendpferdekraft der vierflügeligen Schraube von 24 Fuß Durchmesser (9 der Cylinder oder Schraubenschaft im „Längendurchschnitt“). Diese treibenden 2000 Dampfpferde (in der Wirklichkeit bis 2300 zu steigern) werden aus 100 Oefen, welche zusammen 10 Dampfkessel glühen, mit ihrem unaufhörlichen Futter versorgt, dessen verbrauchte Dämpfe aus 5 Schlotten oben in die Luft hinausdonnern. Räder und Schraube und Oefen und Dampfkessel können einzeln, in jeder beliebigen Quantität, von einander getrennt und mit einander verbunden, einzeln, halb, drei Viertel, voll, vor- und rückwärts, und außerdem die Räder einzeln und das eine vorwärts, das andere rückwärts treibend (wodurch das Schiff, ohne sich von der Stelle zu bewegen, sich dreht) gebraucht werden.

Die Eigenthümlichkeit der Takelage und des Segelwerks ergibt sich aus der Hauptansicht. Nicht so unmittelbar zu sehen ist das ungeheuere „Flush-Deck“, d. h. die ganze, ununterbrochene Ebene des obersten Decks, auf welchem 10,000 Passagiere bequem spazieren gehen können, ohne sich besonders zu incommodiren. Jeder legt durch einmaliges Auf- und Abgehen eine englische Viertelmeile zurück.

Die doppelte, äußere Eisenhaut des Dampfschiff Ungeheuers haben wir in dem frühern Artikel beschrieben, ebenso die zweite Assecuranz gegen Untergang, die einzeln von einander abgeschlossenen, zehn wasserdichten Abtheilungen im innern Körper mit wasserdichten Querwänden, die so in Größe und Umfang eingerichtet sind, daß wenn nach Füllung aller anderen Abtheilungen nur ein wasserdichter Raum verschont bleibt, dieser eine das ganze Schiff noch über Wasser halten kann. Weitere Sicherheit geben die Fülle von Masten und Segeln, die Schraube und die Räder. Jede dieser drei Flügelarten ist zur Noth allein im Stande, das ganze Ungeheuer über den Ocean hin zu treiben.

Von der Einfachheit und Großartigkeit der Konstruktionen kann man sich durch näheres Ansehen und Vergleichen der innern Theile, offen im Längendurchschnitte und Grundrisse, selbst überzeugen, und verweisen wir deshalb auf diese Abbildung nebst den dazu gehörigen Erklärungstext.

Zwischen der äußern und innern Eisenhaut des Schiffskörpers ist ein leerer Raum von 2 Fuß 10 Zoll im Durchmesser. Er bleibt aber nicht leer, sondern ist bestimmt, das Wasser zum Trinken u. s. w., nöthigenfalls 3000 Tonnen, aufzunehmen. Beide Häute, wie alle andern Bestandtheile des Schiffes, sind durch statisch construirte Balken und Krampen von Schmiedeeisen an und in einander gefügt, so daß das Ganze einem ungeheuern Gewebe von Eisen gleicht, welches für unauflöslich und unzerstörbar durch Sturm und Strandung gehalten wird.

Am untern Deck, 10 Fuß über dem geladenen Schiffe, befinden sich große eiserne Thore, durch welche vierspännige Lastwagen mit Gütern von großem Umfange, z. B. Dampfmaschinen, Eisenbahn-Waggons, Locomotiven u. s. w. hineinfahren können, außerdem 60 andere Thore auf jeder Seite und eine Fülle von Fenstern, die alle wasserdicht geschlossen werden können.

Eine Linie, unter der Hauptansicht hinlaufend, zeigt die Tiefe des Schiffes bei voller Ladung an, 28 Fuß, die sich bei der leichtesten möglichen Ladung um 6 Fuß verringert. Dieser geringe Unterschied ist eine Folge des vollkommen ebenen und geraden Bodens, auf welchem das Schiff läuft, auch eine Neuerung, an die man sich noch nicht gewagt hat, weil man bisher glaubt, daß in dieser Beziehung die hölzerne Tradition für Schiffe auch bei eisernen gelte.

Das gigantische Unternehmen ist natürlich eins auf Actien, à 20 Pfund Sterling, mit einem Capitale von 1,200,000 Pfund, das auf 2,000,000 vermehrt werden kann, wenn sich’s findet. In letzterer Beziehung kann die Compagnie freilich nicht sagen: „Suchet, so werdet ihr finden!“ denn sie thut Ersteres, ohne durch Finden belohnt zu werden. Die großartigen Mausereien und Räubereien von Bank- und Compagnie-Directoren (der eine zugleich „sehr ehrenwerthes Parlamentsmitglied,“ nahm sich aus der „königlich britischen Bank“ blos 70,000 Pfund heimlich mit), das Durchbrennen von Kassirern, der geschäftsmäßig betriebene Schwindel unter den höhern Klassen überhaupt, die tausend Millionen Pfund Kriegsschulden, welche England gemacht hat, erst um Napoleon abzusetzen und auf ewige Zeiten aus Europa zu verbannen, dann um einen Napoleon anzuerkennen und wieder gut zu machen, was Wellington und Blücher bei Waterloo verbrochen haben, und mit ihm als „Civilisation“ gegen Barbarei zu kämpfen – die ewige Finanzkrisis, die ewige Quälerei des Volkes, um aus seinen Taschen die Zinsen der 1,000,000,000 Pfund Sterling Kriegsschulden zu bezahlen und die „obersten Zehntausend“ Englands damit zu füttern, das Alles veranlaßt die bereits sehr verschlossenen Capitalisten, ihre Taschen besonders derb zuzuhalten und den Rock und die Geldtaschen von Unten bis Oben zuzuknöpfen. !

Auch sollen der Erfinder und Baumeister des „großen Oster’s,“ wie das Schiff jetzt genannt wird, Mr. Isambord Kingdom Brunel und die ausführende Firma Scott Russel und Co. technisch in Verlegenheit gekommen sein. Die Maschinen zur Schraube und diese selbst sind in der Anstalt von James Watt und Co. in Birmingham gefertigt worden.

Fertig wird die hübsche Nußschale nun wohl werden, denn es steht schon zu viel Capital auf dem Spiele. Ob aber hernach die Karre gehen wird, ist noch die Frage. Und wo sollen alle 2 Monate 10,000 Passagiere oder Ladungen herkommen? Die finden sich wohl auch. Als erste Ladung schlagen wir Transportation der 10,000 großen Hauptschwindler Englands vor, als zweite die französischen. Erstere wollen aber gern deutsche Bauern für Australien hinein locken, und es besteht schon eine Compagnie mit einer Million Thaler für diesen Zweck, deutsche Bauern für Australien anzuwerben, damit sie den von der Aristokratie und ihren Schwindlern bereits in Beschlag genommenen Grund und Boden Australiens urbar machen und ihm einen hohen Werth verleihen, worauf die deutschen Bauern von diesem Grund und Boden weggejagt oder so besteuert werden sollen, daß für sie selbst nichts übrig bleiben kann.

Man will Deutsche dazu, weil diese in Australien allein durch Fleiß und Ausdauer gedeihen. Es ist deshalb unsere Pflicht, schon jetzt zu warnen, und wir werden diese Warnung wiederholen, so oft wir Gelegenheit dazu haben. Mögen wenigstens Diejenigen, die trotz alledem ihr Glück dort zu finden hoffen, sich vorsehen und nicht Kontrakte und Anerbietungen unterzeichnen, die ihre Selbstständigkeit und damit ihre ganze Zukunft gefährden.



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