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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

und dessen Gemahlin, Caroline von Braunschweig, verhandelt wurde. In diesen Verhandlungen, wie vor und nach denselben, ist sehr häufig der Name der Mrs. Fitzherbert genannt worden, deren Schönheit und Liebenswürdigkeit Sheridan zu glänzenden Reden begeisterte, und um deretwillen Brougham den Monarchen Großbritanniens öffentlich des Treubruchs und des Verbrechens der Doppelehe anklagte. Die wirkliche Geschichte dieser merkwürdigen und ungewöhnlich unglücklichen Frau blieb aber bis auf unsere Tage in ein geheimnißvolles Dunkel gehüllt. Einige haben sie Prinzessin von Wales genannt, andere aber zu den Unglücklichen gezählt, welche ihre Ehre der Laune eines Fürsten opferten, der von Schmeichlern als „der erste Gentleman in Europa“ gepriesen worden ist. Erst neuerdings erschien eine, so weit es bis heute möglich ist, auf Dokumente begründete Biographie der viel geprüften Frau. An diese Schrift halten wir uns bei der nachstehenden Erzählung.

Marianne (oder Maria) Smythe wurde genau vor hundert Jahren in Brainbridge geboren. Ihr Vater war reich. Sie wuchs in Luxus auf. Als Kind begleitete sie ihre Eltern nach Versailles und sah da eines Tages Ludwig XV. bei Tafel ein Huhn mit den Finger zerpflücken, wie es seine Gewohnheit war. Sie lachte laut über diese Eßmanier des Monarchen, der sich aber nicht erzürnte, sondern die kleine Engländerin mit Bonbons beschenkte. Sie entwickelte sich zu einem ungewöhnlich schönen Mädchen und heirathete in ihrem neunzehnten Jahre einen Herrn Weld, der indeß wenige Monate nach der Hochzeit starb. Drei Jahre später verheirathete sie sich wieder mit einem Thomas Fitzherbert, der auch nicht lange lebte und seiner kinderlosen Wittwe ein jährliches Einkommen von etwa 70,000 Thlrn. hinterließ.

Vier Jahre darauf sah der damalige Prinz von Wales die neunundzwanzigjährige blühende Wittwe zum ersten Mal. Er war dreiundzwanzig Jahre alt und durch seine Lebensweise in ganz Europa bekannt. Wie alle anderen, verliebte er sich in die Schöne und er bot ihr den Platz in seinem Herzen an, welchen vielleicht eben eine Tänzerin inne gehabt hatte. Sie lehnte den Antrag ab. Der Prinz, durch solche Tugendhaftigkeit überrascht, die ihm noch nie vorgekommen war, wurde dringender, schickte auch mehrere seiner beredtesten Freunde, einen Schatz von Geschenken und kostbare Juwelen. Die schöne Wittwe nahm weder die Abgeordneten noch die Geschenke an. Da gerieth Se. königl. Hoheit in Verzweiflung. Abstehen konnte er unmöglich, denn dann wäre es ja um seinen Ruf geschehen gewesen, um den Ruf nämlich seiner Unwiderstehlichkeit. Um neue Mittel und Wege war er nicht verlegen und so ließ er denn der Wittwe seine Hand – eine Heirath – antragen, ein sehr kühner und gewagter Antrag, denn abgesehen davon, daß die Wittwe als eine Bürgerliche zur Gemahlin des Kronprinzen sich nicht eignete, gehörte sie der katholischen Kirche an, und ein Gesetz entzog jedem Prinzen, der eine Katholikin heirathete, die Thronfolge. Trotz allem dem erbot sich der Prinz von Wales wohlbedächtig die Wittwe zu heirathen und die Wittwe schlug den Antrag eben so wohlbedächtig aus.

Das war mehr als die prinzliche Natur zu ertragen vermochte. Daß eine Dame eine Ehe zur linken Hand ablehnte, ließ sich allenfalls begreifen, in keiner Weise schien es aber menschenmöglich zu sein, daß eine Wittwe, eine bürgerliche Wittwe, eine völlig rechtmäßige eheliche Verbindung mit dem Thronerben von sich weise. Der Prinz von Wales begab sich also nach Hause und – erstach sich.

Da jagten denn Wagen über Stock und Stein, daß die Funken stoben, zu der hartherzigen Wittwe und zwei Lords, ein Arzt und ein Stallmeister beschworen sie, sie möge sich doch wenigstens so weit erweichen lassen, um den Prinzen noch einmal zu sehen bevor er sterbe. Sie ahnte nichts Arges und stellte nur die Bedingung, daß eine hochgestellte Dame sie begleite. Die schöne Georgiana von Devonshire ließ sich dazu bereit finden und ehe der nächste Morgen tagte, standen Beide an dem Bett des Prinzen. Da lag er, mit Blut befleckt und hielt in der einen Hand ein Glas mit Branntwein und Wasser, in der andern die zarten Finger der Wittwe Fitzherbert. Nichts konnte ihn heilen als ihre Einwilligung, seine Gemahlin zu werden. Sagte sie „nein,“ so müßte und würde er, flüsterte er, vor ihren Augen sterben. Die geängstigte, bestürmte Frau ließ sich durch gefällige Hände einen Ring der Herzogin Georgiana von Devonshire an den Finger stecken und stammelte das Versprechen, die ihr gebotene prinzliche Hand anzunehmen. Als man sie nach vielen Jahren fragte, ob sie denn geglaubt, daß der Prinz sich wirklich verwundet habe, erklärte sie erröthend, sie habe allerdings Blut an ihm gesehen.

Am nächsten Tage fühlte sie Reue über das ihr fast abgenöthigte Versprechen und sie entfloh nach Holland. Der englische Gesandte unterhandelte damals gerade wegen der Hand der Prinzessin von Oranien für den Prinzen von Wales und so mußte sie nach Frankreich fliehen. Dahin folgten ihr so viel Couriere des Prinzen, daß auf einmal drei von den französischen Grenzbehörden, angehalten und verhaftet wurden, weil man sie für politische Agenten hielt. Wie konnte eine schwache Frau solchen Anstürmungen widerstehen? Sie versprach also wenigstens keinem andern als dem Prinzen ihre Hand zu geben. Das war doch etwas und es kam nun darauf an, sie nach England zurückzubringen. Sie hatte nach jenem Versprechen keinen Grund mehr, dies zu verweigern; sie kehrte nach England zurück und bald darauf wurde sie mit dem Prinzen von Wales getraut.

Die Trauung verrichtete ein protestantischer Geistlicher in Beisein des Oheims und des Bruders der Braut, die Beide als Zeugen sich mit unterschrieben. Es fehlte durchaus keine gesetzliche Formalität, so daß die Ehe nach dem englischen Rechte eine vollständig giltige, eine unauflösliche und beide Theile bindende war.

Bald nach der Trauung schrieb Charles James Fox, damals der Führer der Opposition in dem Parlamente, an den Prinzen, um ihm mitzutheilen, wenn er eine Ehe mit der Wittwe, Fitzherbert eingehe, werde dies ihm vom größten Nachtheile sein und der Prinz antwortete ohne Bedenken: an den Gerüchten, die man in der letzten Zeit böswillig ausgestreut habe, sei ganz und gar nichts begründet. Als dann im Parlamente die Gerüchte zur Sprache kamen, der Prinz habe sich verheirathet, erhob sich Fox, auf diesen Brief gestützt, und erklärte das Reden für Lüge und böswillige Erfindung. Höchst wahrscheinlich glaubte er, was er sagte und war in die wirklichen Verhältnisse nicht eingeweiht. Am Tage nach dieser Rede, erzählt die Fitzherbert selbst, wurde es in ihrem Hause nicht leer von Besuchern, die zu ihr eilten, um ihr die Versicherung auszudrücken, daß sie an solche verläumderische Beschuldigungen nicht glaubten. Wie die Sache zusammenhing, erfuhr sie erst Abends von dem Prinzen selbst. Er faßte ihre Hände und sagte ihr: „was meinst Du, Maria? Fox hat in voriger Nacht im Unterhause erklärt, wir wären nicht Mann und Frau. Kannst Du so etwas begreifen?“ Sie erblaßte und antwortete nichts, aber sie mochte von dieser Zeit an Fox nicht mehr sehen. Als er die Macht in den Händen hatte, erbot er sich, sie zur Herzogin erheben zu lassen, aber sie lehnte es stets ab.

Eines Tages, zwei oder drei Jahre nach ihrer Verheirathung, war sie zum Diner bei dem Herzoge von Clarence (dem spätern Wilhelm IV.) als sie ein Briefchen von ihrem Gemahl erhielt. Er hatte Lady Jersey gesehen und sein Herz an dieselbe verloren. Von diesem Augenblicke an war die arme Fitzherbert gar nichts mehr für ihn. Der Schlag, der sie so schwer und so ganz unerwartet traf, war entsetzlich für sie, doch scheint sie ihn mit großer Seelenstärke ertragen zu haben.

Sehr bald darauf folgte die Vermählung des Prinzen von Wales mit der Prinzessin Caroline von Braunschweig. Man darf wohl annehmen, daß die Kronadvokaten über die frühere Ehe des Prinzen nicht genau unterrichtet gewesen sind, da sie dieselbe keineswegs für ein Hinderniß ansahen. Die Königin Mutter, welche die Wahrheit kannte, meinte ruhig, ihr Sohn müßte es am besten wissen, ob er heirathen könne oder nicht. Der König selbst erklärte noch am Tage vor der Vermählung, er wolle die Verantwortlichkeit übernehmen, dieselbe nicht geschehen zu lassen, wenn sein Sohn, der Prinz, es wünsche; dieser aber lehnte das Anerbieten des Vaters ab und – die Trauung mit der Prinzessin Caroline erfolgte. Die Fitzherbert öffnete unterdeß, auf den Rath ihrer Freunde, ihr Haus der fashionablen Welt. Der ganze Adel, selbst die königl. Familie, erschien bei ihr und „der König hätte sie nicht liebevoller behandeln können, wenn sie seine Tochter gewesen wäre“ – anstatt Schwiegertochter.

Diese Beweise von Achtung von Seiten der vornehmen Welt Englands, die liebevolle Behandlung von Seiten der königl. Familie, dazu gleichzeitig die Vermählung ihres Gatten mit einer Andern unter dem Jubel des Volkes und allerlei glänzenden Hoffesten, geben zusammen ein Bild, für das wir keinen Namen kennen, das aber nur die erste seltsame Scene in dem Drama ist.

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