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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

schon. Es gibt brave, ehrliche Soldaten, die nicht kriechen, die immer den Kopf gerade halten, gerade ausgehen –“

„So ist es, Herr Offizier.“

„Keine hübsche Frau haben –“

„Zum Teufel, Herr Offizier, so ist es.“

„Und dann gibt es wieder andere, die –. Soll ich es noch sagen?“

„Ich sehe, Sie wissen Alles.“

„Wenigstens Manches. So zum Beispiel auch, daß Sie hier heute Abend noch einen gefährlichen Verbrecher erwarten.“

Der Unteroffizier sah vor sich hin und schwieg.

„Oder vielmehr, daß Sie meinen, er sei schon hier.“ Der Unteroffizier schwieg immer noch. „Oder eigentlich, daß Ihr kluger Herr Bürgermeister das meint, der Sie vorhin eine Plaudertasche nannte.“

„That er das?“ fuhr der Unteroffizier auf.

„Ich würde es nicht sagen, wenn es nicht wahr wäre. Der kluge, gestrenge Herr meint sogar, daß ich oder jener fremde Handwerksbursch mit dem Zahnweh, oder am Ende, daß wir alle Beide der gefährliche Verbrecher seien.“ Der Polizeidiener schwieg wieder.

„Und darum müssen Sie uns hier bewachen. Ist nicht Alles so?“

„So ist es,“ brummte der Polizeidiener endlich.

„Zum Teufel, und ich werde es Ihrem Herrn Bürgermeister lehren, ehrliche Leute so wie Spitzbuben und Mörder zu behandeln.

Rufen Sie ihn einmal hierher.“

Der Fremde sprach mit Zuversicht, gar mit Stolz. Der Unteroffizier freute sich, daß seinem ehemaligen Kameraden der Kopf entweder gewaschen oder heiß gemacht werden solle. Aber er kannte seine Pflicht und Subordination.

„Ich darf nicht von hier weichen,“ sagte er.

„Pah, Sie fürchten, ich oder der da würde ihnen entfliehen. Wir verlassen Beide die Stube nicht; ich gebe Ihnen mein Ehrenwort darauf.“

„Kann ich mich darauf verlassen?“

„Auf das Ehrenwort eines alten Offiziers?“

Der Polizeidiener verließ nach kurzem Schwanken die Stube.

Der Reiter sprang zu dem Herrn von Thilo.

„Und nun rasch, Mensch. Was willst Du hier. Warum folgst Du Deiner Braut?“

„Ihr Vater hatte unser Verhältniß zerrissen.“

„Der Herr Geheimerath Fischer aus Berlin?“

„Kennst Du ihn?“

„Gewiß. Auch Deine Braut. Es war doch die Blasse von den Beiden?“

„Woher kennst Du sie?“

„Erzähle weiter.“

„Wir trafen uns jetzt in der Schweiz wieder. Der Vater blieb unerbittlich.“

„Ich glaube es. Ach, und ich begreife es auch. Du wolltest sie entführen, und die zarte, liebevolle Tochter konnte sich nicht dazu entschließen, den alten Vater zu verlassen, der so alt noch nicht ist, und da gerieth der Bräutigam in Verzweiflung, wie ein echter Romanenheld, oder was am Ende einerlei ist, wie ein närrischer Barrikadenheld. Mensch, Du bleibst Dir doch immer gleich. Aber ich weiß genug; verhalte Dich nur ganz ruhig, und thue Alles was ich Dir befehlen werde. Widersetze oder besinne Dich keine Sekunde, wenn Du nicht verloren sein willst.“

„Was hast Du vor?“

„Noch eine Frage. Bist Du allein gekommen?“

„Ein Freund begleitet mich, der Stadtgerichtsrath Hartmann aus Berlin. Er besorgt die Reise –“

„Kennt er die Familie.“

„Er liebt die jüngste Tochter.“

„Fräulein Charlotte? Ah, kein übler Geschmack. Und Fräulein Charlotte und Herr Stadtgerichtsrath Hartmann haben auch wohl das edle Geschäft übernommen, auf der Reise die thränenreichen Zusammenkünfte zwischen einem verzweiflungsvollen Narren und seiner sentimentalen Schönen zu besorgen? – Aber wo ist der liebende Stadtgerichtsrath?“

„Er zieht Erkundigungen ein –“

„Teufel, auch ein Polizeispion?! Wohl da oben, bei den Damen? – Doch still; bekomme wieder Zahnweh. Die beiden in Bürgermeister und Polizeidiener verpuppten Unteroffiziere kehren zurück.“

Bürgermeister und Polizeidiener traten ein. Der Reiter ging dem Bürgermeister entgegen. Zwar nicht mehr ungenirt und keck, wie vorher, aber desto befehlender und stolzer.

„Mein Herr, ich hätte ein paar Worte mit Ihnen allein zu sprechen.“

Dieser sah ihn verwundert an. „Mein Herr? Ich bin hier Bürgermeister.“

„Gerade mit dem Bürgermeister wünschte ich zu sprechen. Führen Sie mich in Ihre Amtsstube.“

Der stolze, befehlende Ton imponirte dem Beamten, von dem der Polizeidiener versichert hatte, daß er kein solcher Unteroffizier gewesen sei, wie er, der Polizeidiener. Er führte den Fremden in seine Amtsstube und an seinen Bürgermeistertisch.

„Nun, was wünschen Sie?“ fragte er etwas zweifelhaft.

Der Fremde zog ein Papier aus der Tasche, entfaltete es, hielt es dem Bürgermeister hin und sagte kurz: „Lesen Sie!“

Er las, wurde unruhig, warf einen mißtrauischen Blick auf den Fremden, las nochmals, warf einen untergebenen Blick in Form eines Submissionsstriches auf den Fremden, gab das Papier zurück und sagte leise: „Herr Ober –“

„Still, Herr Bürgermeister, auch nicht leise das Wort ausgesprochen. Ich bin, auch wenn wir allein sind, was das Aeußerliche anbetrifft, nur ein Fremder für Sie. Aber zur Sache. Der Steckbrief hinter dem ehemaligen Assessor von Thilo ist Ihnen überbracht?“

„Ja, Herr –“

„Sie hielten mich oder den armen Handwerksburschen da drüben für den Verfolgten?“

„Ich bitte um Verzeihung, wenn ich –“

„Sie waren vorsichtig, das war in der Ordnung. Nur liefen Sie Gefahr, einen anderen gefährlichen Verbrecher darüber aus den Augen zu verlieren.“

„Darf ich fragen, wie?“

„Er ist bei Ihnen im Hause.“

„Was? Was? Bei mir? Wer?“

„Sogleich. Es ist Ihnen eine Extrapost angesagt!“

„Sechs Pferde, nach Würges.“

„Und zwei Postillone!“

„Sie wissen –?“

„Zu heute Nacht!“

„Bis Mitternacht.“

„Eine vornehme Herrschaft!“

„Fürst Hohenstein, mit Gemahlin und Bedienung.“

Die Augen des Fremden leuchteten. „Ich weiß,“ sagte er kalt.

„Sie wissen –?“

„Sehen Sie sich genau die Dienerschaft des Fürsten an.“

„Wie so?“

„Besonders den Lakeien. Man hat Verdacht, daß der Lakei jener verfolgte Assessor sei.“

„Wie wäre das möglich?“

Der Fürst kommt aus der Schweiz. Jener Flüchtling ebenfalls. Um unerkannt zu bleiben, hat er sich in die Maske eines Bedienten geworfen und dem Fürsten seine Dienste angeboten. Sie begreifen das?“

„Vollkommen.“

„Also scharf aufgepaßt. Und nun zu dem Patron da oben –“

„Bei mir?“

„Bei Ihnen. Haben Sie von einer Diebin Anna Maria Bommert gehört?“

„Die vor einigen Wochen in Wiesbaden –?“

„Dieselbe. Auch von einem Geheimerath Fischer aus Berlin?“

„Den armen Menschen hatte die Person ja gerade angeführt.“

„Schwindel. Der Mensch steckte mit ihr unter einer Decke. Es ist jetzt ermittelt.“

„Ein Geheimerath aus Berlin?“

„Er ist gar kein Geheimerath; aber ein gewandter Dieb, der aus den Criminalgefängnissen, aus der Stadtvogtei zu Berlin ausgebrochen ist. Ein sehr verschmitzter, ein sehr gefährlicher Mensch.“

„Der ist es doch nicht da oben –?“

„Gewiß ist er es.“

„Ha, ich habe zum Glück alle Gensd’armen und Polizeibeamten hier.“

„Ruhig; keine Uebereilung. Der Mensch ist sehr gefährlich;

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 648. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_648.jpg&oldid=- (Version vom 21.3.2017)