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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

chronische Rheumatismen am sichersten; nur muß sie mit Energie und Consequenz angewendet werden. In der neuern Zeit rühmt man die Elektricität (Faradisation; s. Gartenlaube 1856 Nr. 36.) als heilsam gegen rheumatische Schmerzen. Die Diät bei rheumatischen Leiden sei mäßig, mild und schwach nährend; Verstopfung werde durch Klystiere gehoben.

Hiernach wäre also die Behandlung des Rheumatismus eine sehr einfache und diese, in den meisten Fällen ausreichende Behandlung wird stets auch von den mittelsüchtigsten Heilkünstlern, ja sogar von den Homöopathen anempfohlen, aber natürlich immer nur als unwichtige Nebensache neben diesem oder jenem wichtigen (!?!) Arzneimittel; denn es existiren Unmassen innerer und äußerer Mittel, die beim Rheumatismus geholfen haben sollen. Nach Heilung des Uebels ist es dann natürlich nicht jene einfache Behandlung, sondern das Arzneimittel, welches geholfen hat und dessen Heilmacht nun in alle Welt ausposaunt wird. So geht es übrigens nicht blos den beiden beim Rheumatismus heilsamen Heilmitteln, der Wärme und Ruhe, sondern noch vielen andern einfachen Hülfsmitteln, die obschon sie, neben den Naturheilungsprocessen (s. Gartenlaube 1855. Nr. 25.), die eigentlichen Helfer bei Krankheiten sind, sich doch von den Apotheken-Mitteln den Ruhm der Heilung wegschnappen lassen müssen. In ähnlicher Weise macht’s freilich der Arzt im Allgemeinen gewöhnlich auch; denn wird ein Kranker gesund, so hat er’s gemacht, stirbt dagegen der Kranke, so muß die Natur die Schuld tragen.

Bock.




Aus der guten, alten Zeit.

„Was weben die dort um den Rabenstein?“
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Eine Hexenzunft.“
                 Goethe’s Faust. I. Thl.

Teufel und Hexen haben von Alters her in Deutschland eine große Rolle gespielt und wir glauben kaum, daß es in Europa ein Volk gibt, bei dem der Gottseibeiuns eine größere Popularität genießt, als bei dem unserigen. Ueberall finden wir ihn, überall hat er sich heimisch zu machen gewußt; in der Literatur, wie im Leben, in der Volkssage, wie im Lied, in der Oper, wie im Drama, im dunkeln Wald, wie in der stillen Klause des Gelehrten, auf der Theaterbühne, in den Tribunalen der frühern Jahrhunderte, im Weinkeller am Zechtisch lustiger Gesellen – überall begegnen wir ihm; sei es nun als Mephistopheles, der in Auerbach’s Keller mit den Studenten trinkt, und allerlei wunderliche Lieder singt und Späße macht, oder als Samuel, der verwegenen Jägerburschen das Gießen der Freikugeln lehrt, die stets das Ziel treffen, oder als wilden Jäger, Brückenbauer – welche Menge von Teufelsbrücken gibt es nicht – als Spiritus familiaris, der den Stein der Weisen suchen hilft, oder auch nur als simpeln Teufel mit Schweif und Pferdefuß, die beide aber gewöhnlich durch einen schwarzen Mantel mit rothem Futter verhüllt sind. – Die Franzosen sind in dieser Beziehung viel ärmer, als wir. Ihren diable boiteux hat Le Sage aus Spanien geholt, und ihr „Herne“, wie bei ihnen der wilde Jäger heißt, ist lange nicht der tolle Geselle der Hölle, der bei uns in stürmischen Herbstnächten mit dem wüthenden Heer und schauerigem Windesgeheul über die Waldberge dahinraset; auch ist der Sagencyklus, welcher Herne umgibt, bei weitem kein so reichhaltiger, als der, welcher von unserem deutschen wilden Jäger erzählt… –

Eine gleich große Rolle spielen die Hexen, diese Spukgestalten der nordischen Völker, mit denen diese ihre entlegenen, einsamen Bergeshalden, ihre wüsten Sümpfe und Moore, ihre öden Heiden, waldigen Berggipfel und düsteren Höhlen bevölkerten, und sich auf diese Weise das gaben, was die heitere Götterlehre der Griechen und Römer, diesen beiden Kulturvölkern der alten Welt, in ihren Oreaden, Dryaden, Nymphen, Sirenen, Satyren und Faunen gab. Indessen waltet, auch abgesehen von dem verschiedenen inneren Wesen, schon in der äußeren Erscheinung ein bedeutender Unterschied zwischen den Hexen der nordischen Heiden und jenen Halbgöttern und Göttinnen, welche in den Olivenhainen Ioniens und auf den sonnigen Höhen der Sabinerberge hauseten, ob. Denn während die Wald- und Berggöttinnen der Hellenen und Römer in reizender, jugendlicher Schöne, lockend, üppig und verführerisch erschienen, geneckt und verfolgt von verliebten Satyren, Faunen und Pan selbst, diesem bocksbeinigen Hirtengott, malte sich die Phantasie der germanischen Völkerstämme, welchen der tiefblaue, heitere Himmel von Hellas und Italien mit seiner glänzenden Sonne fehlte, und über deren dunkle, schattige Eichenhaine und düsteren, kalten Fichten- und Tannenwälder die große Hälfte des Jahres hindurch graue Regen- und Schneewolken hingen, jene unheimlichen Bewohnerinnen abgelegener Orte in widerwärtig-abschreckender Gestalt, „so hager und so wild in ihrer Tracht,“ wie es von den drei Hexen heißt, die dem Macbeth auf der Heide bei Fores jene unheilvollen Glückwünsche zurufen.

Am schönsten hat diese beiden Gegensätze unstreitig Goethe in seinem Faust geschildert; die deutsch-nordische Hexenwelt in der Walpurgisnacht auf dem Blocksberg, in der „die Hexen zu dem Brocken ziehen“ und wo

„das leuchtet, sprüht und stinkt und brennt!
Ein wahres Hexenelement!“

und die hellenische Mythenwelt in der klassischen Walpurgisnacht auf den pharsalischen Feldern, am Peneios und an den Felsbuchten des ägäischen Meeres, in deren buntes Gewühl sich Mephisto mit Faust verirrt, anfänglich aber unter den nackten, antiken Gestalten sehr fremd und ungemüthlich fühlt …

Doch wir wollten eigentlich weniger über die Ähnlichkeit oder Verschiedenheit der klassisch-griechischen und mittelalterlich-deutschen Sagenwelt sprechen, als vielmehr über einen Gegenstand, der in genauester Verbindung damit steht, und noch vor einem Jahrhundert von ernstester Bedeutung für das deutsche Volksleben war; von den Prozessen gegen Hexen- und Teufelsbündner. – Die meisten Leser dieser Blätter werden eine größere oder geringere Kenntniß von dem Wesen dieser Hexen- und Teufelsbündnerprozesse haben, von den Proben, welchen die Angeklagten unterworfen wurden, um zu sehen, ob sie wirklich leibhaftige Hexen wären, und von dem gewöhnlichen tragischen Schluß aller dieser außergerichtlichen und gerichtlichen Prozeduren, nämlich: dem Tod der Angeklagten auf dem Scheiterhaufen.

Gewiß gibt es aber noch Viele, die der Meinung sind, daß alle die Tausende von Todesurtheilen, welche von den geistlichen und weltlichen Gerichten über die der Hexerei und Teufelsbündnerei Angeklagten ausgesprochen wurden, die Folge von Geständnissen waren, die entweder auf der Folter oder aus Furcht vor der Folter abgelegt wurden. Diese Meinung ist theilweise eine irrige. Weder die Folter noch die sogenannten Suggestivfragen, d. h. Fragen, die so verfänglicher Natur sind, daß deren Beantwortung fast immer eine Art Geständniß involvirt, haben diese Masse von Geständnissen, die wir in den Hexenprozeßakten finden, herbeigeführt. Es kann vielmehr mit juristischer Gewißheit behauptet werden, daß eine große Anzahl dieser Geständnisse durchaus freiwillige waren, von den Angeklagten mit dem Bewußtsein, Hexerei getrieben oder einen Pakt mit dem Teufel geschlossen zu haben, abgelegt. Die Lösung dieses psychologischen Räthsels wird sehr leicht, wenn wir bemerken, daß alle diese Unglücklichen, welche mit so unerschütterlicher Bestimmtheit behaupteten: mit einer in Blut getauchten Feder den Vertrag mit Satan unterzeichnet oder Handgeld für den Verkauf ihrer Seele von ihm angenommen zu haben, um Mitternacht auf einem mit Schweinefett bestrichenen Besen oder Ofengabel zum Hexensabbath geritten zu sein, mit dem Teufel Buhlschaft getrieben, Menschen und Thiere behext, Unterhaltungen mit höllischen Geistern gepflogen zu haben, und was dergleichen unsinnige Dinge mehr waren, die man den Hexen und Teufelsbündnern nachsagte, daß alle diese Unglücklichen, die derartige freiwillige Bekenntnisse machten, von jenen Krankheitszuständen befallen waren, welche die Aerzte: Sinnestäuschungen – hallucinationes – nennen.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 640. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_640.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)