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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

über Almrich, und von dort herüber nach den Bergen von Schulpforta. Durch den die Höhen bekränzenden Wald gelangte ich vorn, nach mühseligem Klettern, an die äußerste Kante diesen Höhenzuges, vor welchem sich das Kösener Thal öffnet und wo man, dem Engpasse von Kösen schräg gegenüber stehend, die jenseitigen Höhen deutlich übersehen kann. Da vernahm ich den Geschützdonner und das Pelotonfeuer der Kämpfenden so deutlich, als wenn es kaum eine Viertelstunde weit entfernt wäre; ja ich sah sogar die Rauchsäulen von den weniger entfernt stehenden abgefeuerten Geschützen emporsteigen und glaubte mich nicht zu täuschen, daß einzelne Kugeln krachend drüben am Felsenrande einschlugen, vielleicht preußische, gegen das Davoust’sche Korps gerichtete.

Gegen zehn Uhr ungefähr schien eine Entscheidung eingetreten zu sein; denn seltener krachten die Kanonen und die Gewehrsalven, und aus größerer Ferne. Es war vermuthlich die Zeit, wo der Herzog von Braunschweig verwundet worden war, so daß das preußische Heer, seines Oberanführers beraubt, in Unordnung kam und seinen Rückzug begann, der bald zur Flucht wurde, da man keinen Sammelplatz bestimmt hatte. Der greise Herzog soll überhaupt zu sehr den Geheimnißvollen gespielt und Warnungen und Nachrichten, namentlich von Thielemann ihm zugekommen, in den Wind geschlagen haben, so sehr war er seiner Sache gewiß.

So stand ich denn, meine Augen auf den verhängnißvollen Paß gerichtet. – Was ist das, was sich dort von der Höhe herabbewegt? Sind es Flüchtlinge, welche dem Kampfe entgehen wollen? Wird ihnen vielleicht bald eine Heeresabtheilung folgen? – Ich wartete die Entscheidung nicht ab, da ein längeres Verweilen mir sehr unheilvoll werden konnte, sondern eilte zurück durch den Wald und langte wieder auf dem gebahnten Wege an, welcher sich oberhalb von Schulpforta dicht an dessen Mauern unter den Bäumen hinzieht und von welchem man, weiterhin in’s Freie gelangt, herabschauen kann auf die unten vorbeiführende Heerstraße. Hier erhielt ich durch den Augenschein die Antwort auf meine zweifelnden Fragen; des waren die Leichtverwundeten, welche aus der Schlacht kamen, um in der Stadt Verpflegung und Heilung zu suchen. Langsamen Schrittes zogen sie im bunten Gemisch: Franzosen, Preußen und Sachsen neben einander her; vergessen war alle Feindseligkeit, das gleiche Schicksal hatte sie ausgesöhnt.

Die Vordersten waren jedoch lauter Franzosen. Ich war, da Verwundete mir nicht gefährlich schienen, hinab auf die Chaussee gegangen und erkundigte mich bei ihnen um den Stand der Dinge. Sie glaubten, die Schlacht wäre von den Franzosen verloren; die Preußen hätten mit Kettenkugeln geschossen und ganze Glieder niedergestreckt. Allein die später Nachfolgenden brachten die Nachricht von der Niederlage des preußischen Heeres.

Schneller als die Verwundeten eilte ich nun zur Stadt, die sich binnen ein paar Stunden mit Tausenden derselben füllte, welche sich zuerst auf den öffentlichen Plätzen lagerten, bis sie untergebracht werden konnten; denn für Lazarethe war im Voraus nicht genügend gesorgt worden. Naumburg wurde nun ein großes Lazareth; alle Kirchen, bis auf eine (ich kann mich aber nicht mehr genau entsinnen, welche), wurden den Verwundeten eingeräumt und viele größere Privathäuser den Offizieren.

Einen ergreifenden Anblick hatte ich vor dem Salzthore. Hier lagen auf dem damals seitwärts sich befindenden Rasenflecke drei verwundete sächsische Kürassiere. Das Blut hatte ihre weißen Koller gefärbt. Ihre bleichen Gesichter umlagerten, so schien es, bereits Schatten des Todes. Sie hielten sich gegenseitig mit den Armen umschlungen. – „Wasser! Einen Trunk Wasser!“ jammerte der Eine mir zu, als er mich in der Nähe bemerkte. Ich eilte, was ich konnte, um sein Verlangen zu stillen, und der erquickende Trunk, den er mit seinen Kameraden theilte, belebte auch diese wieder. „Ist denn kein Lazareth in der Nähe? O Gott! wir sterben, wenn uns nicht bald Hülfe wird!“ so sprach Jener, der mich zuerst angerufen hatte. Ein alter Feldscheer, den ich kannte, wohnte in der Nähe. Zu ihm lief ich, schilderte ihm in kurzen Worten die Lage der Landsleute und bewog ihn, mir zu folgen. Mit dem am schwersten Verwundeten machte er den Anfang; allein seine bedenkliche Miene deutete an, daß da wenig Hoffnung wäre; nur mit vieler Mühe konnte er das bei der Untersuchung der Wunde von Neuem strömende Blut stillen. Ehe der Verwundete fortgeschafft werden konnte, starb er. Die an und für sich nicht sehr gefährliche Wunde war, wie der alte Feldscheer äußerte, durch die gemachte Anstrengung zu einer tödtlichen geworden. Die beiden Andern wurden gerettet. Ein paar mitleidige Bürger hatten sich ihrer erbarmt und sie bei sich aufgenommen. Der Eine dieser Bürger hatte selbst einen Sohn bei der sächsischen Armee und that an dem Fremden, was er wünschte, daß seinem Sohne in ähnlicher Lage widerfahren möchte.

Die bald erscheinenden französischen Bulletins gaben den Verlust von ihrer Seite wie gewöhnlich als sehr gering an; er war doppelt, ja wohl dreifach größer, da in Naumburg allein an Leichtverwundeten mehr als die angegebene Zahl sich einfanden. Und dies waren ja überdies nur Solche, welche wegen der Nähe der Stadt von einem Theile des Schlachtfeldes diese entweder selbst noch hatten erreichen können oder an beiden auf die Schlacht folgenden Tagen vom Schlachtfelde dahin hatten transportirt werden können. Wie groß mußte also die Gesammtzahl der Verwundeten und Getödteten bis nach Jena hin sein!

Ein paar Tage nach der Schlacht wurde an den Thoren der Stadt ein in deutscher und französischer Sprache abgefaßtes Manifest angeschlagen, welches verkündigte, daß der Kurfürst von Sachsen mit dem Kaiser von Frankreich einen Separatfrieden abgeschlossen habe, und so war das Eigenthum gegen Plünderung und Erpressung gesichert. Aber was half das? Es begannen nun die lange Zeit nicht endenden Einquartierungen und Requisitionen, und da Naumburg unglücklicher Weise an einer der Hauptstraßen liegt, wo damals Truppen marschirten, so kann man sich leicht vorstellen, was es zu leiden hatte. Der Frieden und die bestehensollende Freundschaft schützte die Einwohner nicht gegen Mißhandlungen und Gewaltthaten der übermüthigen Sieger, welche die armen Bürger bis auf’s Blut peinigten und von ihnen forderten, was sie zu leisten gar nicht im Stande waren. Und dabei von beiden Seiten die Unkenntniß der Sprachen! Der Soldat wurde ungeduldig, wenn er sich nicht verstanden sah und brauchte nun seinen Säbel oder den Flintenkolben, um sich verständlich zu machen.

Meine wenige Kenntniß des Französischen machte mich bald für die ganze Nachbarschaft zu einer wichtigen Person; man requirirte mich als Dolmetscher, und es gelang mir auch nicht selten, den Frieden unter den Parteien herzustellen. Einmal aber ging es mir doch schlecht. In einem Hause waren drei Mann einquartiert worden, wovon der Eine schon, als er ankam, total betrunken gewesen war. Dieser hatte in einem fort krakeelt; namentlich aber war er über das Mittagsessen sehr unzufrieden, welches allerdings nur ein bescheidenes Mahl sein konnte, da der Bürger oft selbst für sich nichts hatte und mit dem besten Willen, sogar wenn er Vermögen besaß, für doppelten Preis nicht das Geforderte anschaffen konnte.

Das stellte ich denn, so gut ich immer konnte, den Soldaten vor, und die beiden Nüchternen ließen sich auch beschwichtigen; nicht so aber der Betrunkene. Ja er wurde sogar noch unbändiger, als er sah, daß seine beiden Gefährten sich beruhigten Bougre! – Que mille tonnerres vous foudroient! –Qu’un boulet de canon vous serve de savonnette! so schrie er, c’est un manger pour les cochons et non pas pour un millitaire tel que moi! Mangez – le vous – méme! – Und damit faßte er die auf dem Tische stehende Schüssel mit beiden Händen, schwankte auf mich zu und – da lag sie auf der Erde und ein großer Theil ihres Inhaltes floß an meinen Kleidern herunter. Im Nu hatte ich, nun meinerseits auch im höchsten Grade aufgebracht, den Kerl gepackt, daß er rücklings zur Erde fiel, wozu eben keine große Kraft gehörte, da er auf sehr schwankenden Füßen stand. Aber nun drangen die beiden Anderen auf mich ein und es erhob sich ein großer Tumult. Der Wirth rannte auf die Straße hinaus und schrie um Hülfe. Es würde mir schlimm ergangen sein, wenn nicht zufällig ein französischer Offizier vorbeigegangen wäre. Er trat ein und nachdem ich ihm, ein wenig zu Athem gekommen, die Ursache des Spektakels berichtet hatte und ihm namentlich durch meine beschmutzte Kleidung bewies, daß mich der Betrunkene angegriffen hatte, was die beiden Soldaten nothgedrungen bezeugen mußten, endete die Scene damit, daß der Offizier den Trunkenbold in Arrest führen ließ.

Froh, nur mit einer beschmutzten Kleidung weggekommen zu sein, eilte ich nach Hause, mich anders zu kleiden. Ich war kaum damit zu Stande, so erschien bestürzt jener Bürger, in dessen Hause ich hatte Ruhe stiften wollen, und meldete mir, der Offizier sei wieder gekommen und verlange durchaus, mich zu sprechen.

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