Seite:Die Gartenlaube (1856) 599.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

denn meine eigenen Augen, daß die Aussage des Bauers auf Wahrheit beruhte.

Südlich von der Stadt erhebt sich nämlich eine Anhöhe, deren oberster Theil mit Wald bewachsen ist, welcher das Buchholz heißt. Dort oben erblickte ich nun zuerst schwarze Massen, welche unbeweglich schienen, allein bald durch das Blitzen der Waffen, und als sie langsam weiter vorwärts rückten, sich als ein starkes Corps Infanterie verriethen, an dessen Flanken jedoch sich auch einige Reiterei zeigte. Nicht lange währte es, so trennten sich ein paar Reiter von ihrem Corps los und jagten nach der Stadt zu. Mittlerweile hatten einige jener von Saalfeld versprengten Preußen und Sachsen die kühne Idee gehabt, das Salzthor zu schließen, durch welches der Feind zunächst einrücken mußte, und sich mit geladenen Gewehren dahinter zu postiren. Der erste sich nähernde französische Husar erhielt einen Schuß und ergriff die Flucht; allein man eilte dem Verwundeten nach und nicht gar weit von der Stadt wurde er von seinen Verfolgern eingeholt und bezahlte sein Wagniß mit seinem Leben. Die Behörden hatten wahrscheinlich von dem tollkühnen Unternehmen der Flüchtlinge Kenntniß erlangt und so wurde das Thor wieder geöffnet.

Ich war noch immer auf meinem Beobachtungsposten geblieben und erfuhr dieses Ereigniß erst später.

Da der erste Franzose nicht zurückkehrte, so setzten sich, wie ich bemerkte, zwei bis drei andere Reiter in Bewegung und diesmal gelangten sie ungefährdet zur Stadt. Bald darauf sah ich den Einen derselben mit dem Säbel im Munde und die gespannte Pistole in der Hand ventre à terre über den Marktplatz und nach dem entgegengesetzten Thore zu sprengen. An den Windmühlen, wo die preußischen Heumagazine aufgethürmt lagen, angelangt, machte er Halt, sah sich nach allen Seiten hin um und jagte dann eben so schnell wieder zurück, um zu rapportiren.

Nun rückten die Franzosen der Stadt schnell näher. Es war, wie man bald erfuhr, das Davoust’sche Korps, die sogenannte Löffelgarde, so genannt, weil die Soldaten auf ihren Hüten fast alle dieses unter den civilisirten Nationen zum Essen nothwendige Utensil trugen. Dieses Korps war, wie es hieß, gegen 60,000 Mann stark, doch war diese Angabe wohl etwas übertrieben.

Der Unfall, welcher den ersten abgesandten Reiter betroffen hatte, hätte der Stadt sehr zum Verderben gereichen können und nur mit großer Mühe und mit bedeutenden Geldkosten war es, wie man später sagte, der Behörde gelungen, die Wuth der Franzosen zu beschwichtigen, welche den Tod jenes Mannes den Bürgern zur Last legen wollten, welche in ihrer Bestürzung doch nicht im Geringsten an einen so wahnsinnigen Widerstandsversuch gedacht hatten.

Ehe noch die feindlichen Schaaren in Masse angerückt waren, hatte ich meinen Beobachtungsposten verlassen und war glücklich in meinem elterlichen Hause angelangt, wo man meinetwegen in großer Angst geschwebt hatte.

Jetzt folgten böse Tage.

Das französische Heer lagerte theils auf den Höhen vor der Stadt, theils in deren unmittelbarer Nähe. Da wegen der Menge an eine regelmäßige Einquartierung der Soldaten gar nicht zu denken war, so erhielt nur ein Theil des Offizierkorps Quartiere in der Stadt. Es war Nacht geworden. Ueberall brannten in der Vorstadt dicht vor den Häusern Wachtfeuer, zu welchen eingerissene Ställe und die Bäume der Allee das Material lieferten. Nachdem die Soldaten sich so vorläufig eingerichtet und jeder Einzelne einen Lagerplatz gefunden hatte, fingen sie aber an, durch die Stadt zu streifen, um in die Häuser einzubrechen und zu plündern. Wildes Geschrei ertönte von allen Seiten. Wo diese Herumstreifer Platz fanden, da nahmen sie sich nun selbst Quartier, und wenn die Hauseinwohner nicht gemißhandelt sein oder vielleicht gar ihr Leben einbüßen wollten, mußten sie Alles hergeben, was sie hatten. – Das Haus, welches meine Eltern bewohnten, lag ebenfalls in der am meisten bedrohten Gegend der Vorstadt. Die Thüre wurde von uns verbarrikadirt, und die Fensterladen des untern Stockes fest verschlossen. In dem zweiten hielten wir uns auf, aber auch hier wurden die Fenster durch Decken und Teppiche dicht verhängt, so daß vom brennenden Lichte von außen nichts zu sehen sein konnte. Da das Haus alt und unscheinbar war, so erschien es auf diese Art als ein unbewohntes und wir entgingen in der That der Einquartierung und Plünderung. Zwar donnerten einige Male Kolbenstöße gegen die Hausthüre, allein da sie fest war, so widerstand sie und die ungebetenen Gäste zogen weiter, um anderswo sich Eingang zu verschaffen, wo sie sich mehr versprachen als in einem verlassen scheinenden Hause.

Unser sehr einfaches Abendbrot genossen wir stehend hinter dem Ofen an der sogenannten Röhre, d. i. an dem Raume, welcher im Winter dazu dient, den Kaffee u. s. w. warm zu halten und wohin wir eine kleine Lampe gesetzt hatten, welche auf die nächste Umgebung einen matten Schimmer warf. An Schlafengehen war unter solchen Umständen gar nicht zu denken.

Die Nacht und der folgende Tag vergingen uns unter Angst und Sorge bei kaum nothdürftiger Kost, da man nicht wagte, Feuer anzuzünden, um nicht durch den Rauch aus dem Schornsteine das Haus als ein bewohntes erkennen zu lassen. Am Dienstage war eine Art von Ruhe eingetreten; es war geplündert worden, was zu plündern war und die Soldaten waren im Besitze der Stadt, in der sie es sich so wohl sein ließen, als sie nur immer konnten.

(Schluß folgt.)





Neapel und seine Zustände.

Nach dem Urtheile von Reisenden, die alle Schönheiten der Erde sahen, gibt es nichts Herrlicheres auf dieser Welt, als an einem warmen, tiefblauen und goldglühenden Abende zwischen den Vorgebirgen Miseno und Campanella und den Inseln Capri, Ischia und Procida in den Golf von Neapel hineinzusegeln und den den blauen und goldenen Himmel abspiegelnden Hafen eingerahmt vor sich zu sehen mit farbigen Bergen und helllachenden Villen aus dunkelm Laube, dem stolzen Häuser- und Palastmeere Neapels. Die Neapolitaner meinen, wenn sich der liebe Gott einmal einen recht guten Tag machen wolle, so lege er sich an sein offenes Himmelsfenster und blicke herunter auf sein schönes Napoli. Und wohl ist es schön und wunderbar. Aber es ist eine Schönheit, die „fernt.“ Die herrlichste Lage in der Mitte des himmlischen Hafens hinauf, die warme, klare, in blauen, rothen und goldenen Hauchen auf Bäumen und Bergen spielende Luft, der in ein großes Gesammtbild verschwebende alte, mittelalterliche Glanz geben dieser unglückseligsten Stadt den bezauberndsten Anblick aus der Ferne. Aus der Ferne! Die schönste und volkreichste Stadt Italiens mit mehr als 50,000 Häusern und einer halben Million Bewohnern ist der Centralpunkt der äußersten Konsequenzen eines unglücklichen Regierungssystems, nach allen Seiten starrend von Bayonnetten von grausamen Eisenbayonnetten der Schweizersoldaten, der jetzt bewaffneten Lazzaronihefe und stechender Polizei- und Spionenblicke. Was waren die Berliner giftig und witzig, als sie ein paar Dutzend Wasserkonstabler auf die Spree bekamen! Hier im himmlischen Hafen von Neapel und um das ganze Königreich beider Sicilien schwärmt eine ganze Flotte von Polizei mit blaßrothen Flaggen, um auf materielle und ideelle verbotene Waaren zu fahnden. Und verboten ist fast Alles. Unter einer Doppelreihe stechender Blicke landet der Fremde und wird sofort von einer kleinen Polizeiarmee umringt, die sich seiner Person und aller seiner Sachen bemächtigt. Beide werden ingrimmig und genau untersucht und alles Verdächtige weggenommen. Bücher namentlich werden immer weggenommen, vor ein geistliches Tribunal gebracht und von da in der letzten Zeit nie zurückgegeben, schon deshalb nicht, weil unzählige Tausende von Büchern im Zollhause liegen, welche das geistliche Zolltribunal nicht bewältigen, nicht censiren kann, weil es nichts davon versteht. Blos einmal bekam ein Engländer den bei 25 Jahre in Eisen verbotenen „Don Juan“ von Byron ohne nähere Untersuchung mit der gelehrten Bemerkung wieder: „Lexikon!“

Von welcher Seite und mit welchen Augen man es auch

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 599. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_599.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)