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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Es ist kein Ernst dahinter, kein Trieb, kein freier Wille! Da schlafen sie ruhig, die blutjungen Burschen, keiner denkt an den Tod, keiner seines letzten Stündleins, es sind Soldaten, und statt von Schlacht und Blut, träumen sie vom Liebchen und der Schenke im heimatlichen Dorfe. Anno zwölf und dreizehn – wir lagen auch manche Nacht so, Manchem war es die letzte, und am Morgen fuhr ihm so ’ne verfluchte Bohne zwischen die Rippen, daß er das Aufstehen auf immer vergaß. ’S war ein ernstes Spiel damals – ich kann’s doch net vergessen! Und ich habe mir damals oft solch eine Bohne gewünscht, ich war des Bischen Lebens überdrüssig und wäre gern in’s große Lager gerückt – ’s that’s aber halt net, und ich bin ein alter Knabe beim Trommelfell geworden, den sie mal ruhig auf den Kirchhof neben einen Schneider oder Handschuhmacher einscharren. Ich wollt’, es würde bald zum Abmarsch geblasen.“

„Aber Alter,“ fiel ich ein, „was schwatzt Ihr wieder für dummes Zeug. Es geht Euch doch wohl hier, das ganze Regiment liebt Euch, der Oberst hat freiwillig Traktamentszulage bewilligt, was fehlt Euch noch?“

„Hm, ja, zu essen und zu trinken habe ich, der König läßt seine braven Soldaten nicht verhungern, und es fällt wohl auch sonst noch etwas ab, was zum guten Leben gehört, aber hier, junger Freund,“ und dabei pochte er mit der Faust auf die Stelle, wo sein Herz hämmern mochte, „hier, junger Freund, da ist noch so ein alter Mahner, der braucht kein Fleisch und keinen Schnaps, und zehrt doch mehr, als der zahnlose Mund. Das pocht und hämmert und spricht in der Nacht und am Tage – o ich möchte mir halt manchmal die enge Uniform aufreißen und das Bayonnett zwischen die Rippen rennen, daß ich nur Ruhe hätte in meinen alten Tagen.“

„Aber Sommer,“ frug ich erstaunt, „was ficht Euch an, – was ängstigt Euch?“

Er strich seinen Schnurrbart rechts und links und schwieg lange. Ich fühlte, wie ihn der Frost schüttelte; er schnallte die Kuppel vom Knopfe los, öffnete seine Uniform ein wenig und holte tief Athem.

„Still,“ sagte er endlich, „ich will’s Ihnen erzählen, ehrlich und wahr, wie’s zuging, erleichtert mir’s doch selbst das Herz. Es ist halt eine einfache Soldatengeschichte, wie so viele, der böse Kasus dabei ist nur, daß sie just mir passiren mußte.

„Sehen Sie, es war Anno 13, wir lagen am Rhein, drüben auf der andern Seite der alte Marschall Vorwärts, der bei uns war, drängte rasch dem nahen Frankreich zu. Ich war damals noch Husar, ein junges feuriges Blut. In meiner Sektion stand noch ein anderer junger Bursch, ein lustig Sachsenblut, dem ich herzlich gut war. Wir hatten neben einander schon in manchem Treffen gefochten, Einer hatte dem Andern das Leben gerettet, wir lagen in einem Zelt, wir schliefen neben einander und wußten es auf dem Marsche immer so einzurichten, daß wir ein Quartier erhielten. Mein Kamerad war halt ein guter Bub’, aber leichtsinnig. Er hatte eine alte Mutter daheim, die wohl nicht viel zu brocken und zu beißen hatte, der schickte er regelmäßig jeden Monat sein erspartes Traktament, und das war Recht! Er hatte aber auch eine Braut zu Haus’, die lange Briefe mit der Feldpost schrieb, voll Thränen und Sehnsucht, die vergaß er, und lief jeder Schürze nach, die ihm begegnete, und scharmirte mit allerlei Gesindel, und das war nicht recht! Ich ermahnte ihn oft, und redete ihm in’s Gewissen und sagte: „Donnerwetter,“ sagte ich, „bleib’ ein ehrlicher Kerl, und betrüg’ mir das Mädel nicht!“ Er aber lachte und sang: „Ander Städtel, ander Mädel!“

„’s war also Anno 13, und wir standen drüben über’m Rhein. Mein Freund und ich hatten wieder ein Quartier zusammen, und das war bei einem ehrlichen Schenkwirth. Der Schenkwirth hatte eine hübsche Tochter, die meinem Sachsen besonders in die Nase stach, das Mädchen wollte aber nichts von ihm wissen, und patzte ihn mehrmals tüchtig ab. Das schreckte meinen Kameraden, der dergleichen schon aus seiner Praxis gewohnt war, nicht ab. Eines Abends – ich hatte eben mein Schwarzchen abgefüttert – da hörte ich plötzlich aus der Kammer der Jungfer ein Geschrei nach Hülfe. Ich stürze die Treppe hinauf, trete die Thüre, die verschlossen war, zusammen, wie ein morsches Brett und finde – Donnerwetter, ’s macht mich jetzt noch wüthend – finde meinen Freund mit dem Mädchen, wie er ihr Gewalt anthun will. Im Nu hatte ich ihn gepackt, und so sehr er sich auch sträubte, zu Boden gewürgt, das Mädchen entfloh. Der Bursche wollte nach und schäumte vor Wuth, ich hielt ihn aber gepackt, den unvernünftigen Menschen, bis er mir versprach, das Mädchen in Ruhe zu lassen. Als ich das arme Kind in Sicherheit glaubte, ließ ich los. Er sprang auf und stellte sich kerzengerade vor mir hin.

„Du hast mich beleidigt,“ sagte er kalt, seine Augen aber sprühten Tod und Teufel.

„Im Gegentheil,“ antwortete ich, „Du hast mich und das ganze Regiment beleidigt, indem Du eine ehrlose Handlung begehen wolltest. Du solltest mir’s Dank wissen, daß ich Dich abhielt.“

„Was gehen Dich meine Liebschaften an?“ schnautzte er. „Wer gibt Dir das Recht, mich zu hofmeistern? Ich kann thun und lassen, was ich will, wenn ich nicht im Dienste bin, und Du sollst mich am wenigsten daran hindern.“

„Hier ist von keiner Liebschaft die Rede,“ antwortete ich eben so kurz, „sondern von einer Schandthat. Du wolltest das Mädchen unglücklich machen, und das thut nur ein ehrloser Kerl!“

„Teufel, eine neue Beleidigung! Das duld’ ich nicht, und Du wirst als ordentlicher Husar wissen, was Du zu thun hast!“

„Ganz gut,“ sagte ich, „Pistolen oder Säbel?“

„Pistolen – in einer Stunde an der feindlichen Vorpostenkette!“

Bon,“ sagte ich und ging zu meinem Schwarzchen, das ich noch einmal recht tüchtig abfütterte. Dann schrieb ich einen Brief an meine alte Mutter, worin ich für alles Liebe und Gute tausendmal dankte, den letzten Traktamentsthaler einlegte und den Ring meines verstorbenen Vaters. Dann putzte ich meine Sattelpistolen, nahm Abschied von meinem Schwarzchen und ging.

Mein Nebenmann in der Sektion folgte mir als Sekundant.

„Ich traf meinen Gegner schon auf dem Platze. Die Entfernung ward abgemessen, zehn Schritte und ein Sprung, dann wurde geladen. Ich versuchte noch einmal, den alten geliebten Kameraden zu besänftigen, ’s war halt doch kein Spaß, auf einen zu schießen, den man so herzlich lieb gehabt, er wies aber jede Annäherung zurück und bestand darauf, zu schießen. Trotzig wandte nun auch ich mich ab, und stellte mich auf den Platz.

„Unterdeß hatten die feindlichen Vorposten uns bemerkt, und etwas Feindliches vermuthend, begannen sie, ein lebhaftes Gewehrfeuer auf uns zu richten. Die Sekundanten zogen bedenkliche Gesichter, wenn ihnen die Kugeln an dem Tschako vorüberpfiffen und riethen zu einem andern Platze. Ich war kurz gefaßt. Rasch zog ich meinen Säbel, band mein weißes Taschentuch daran und ging auf den feindlichen Vorposten zu. „Kann ich Euren Offizier sprechen,“ rief ich im holperigen Französisch, dessen Erlernung mir manchen Schweißtropfen auf dem Gymnasium gekostet. Sogleich trat ein Kapitain vor, ich salutirte dann und sprach: „Herr Kapitain, mein Kamerad und ich haben eine Ehrensache auszufechten, dürften wir Sie wohl bitten, eine kurze Zeit das Feuern einzustellen, bis die Sache abgemacht ist?“ Der Kapitain klatschte in die Hände, „ah, bravo – bravo, camarade!“ rief er, und das Feuer hörte sogleich auf. Ich salutirte, stellte mich wieder an meinen Platz und sagte ruhig: „Nun schieß, Bernhard,“ so hieß nämlich mein Kamerad.

„Dieser war halt doch sehr bleich, er zielte aber ruhig. Ich sah, daß er mein Herz suchte, und nahm Abschied vom Leben. Es ist doch etwas ganz Närrisches, so steif und starr in die Mündung zu schauen, aus der die Todtenkugel fliegt. Ich zitterte nicht, aber das Blut gefror mir in allen Adern. Da knackte der Zeiger, es blitzte, donnernd durchkrachte der Schuß den Wald – ich stand. Ich schüttelte mich, wie einer, der eben Prügel bekommen.

„Die Reihe des Schießens war jetzt an mir. Ich verzichtete auf den Schuß und bat, die Sache ruhen zu lassen. Die Sekundanten und selbst mein guter Kamerad aus Sachsen bestanden aber darauf, daß ich schießen müsse, und so hob ich denn mein Pistol und zielte. Oder vielmehr ich zielte nicht, ich wollte nicht treffen. – Gott ist mein Zeuge! – ich schloß die Augen, um das Ziel nicht zu sehen, und änderte absichtlich die Richtung des Pistols, als ich abdrückte. Aber der Herr da oben, der Alles in seiner Gewalt hat, lenkt auch die Kugeln, und die meine traf den armen Kameraden hart unter dem vierten Knopf zwischen die Rippen. Er wankte und stürzte zusammen. Ich warf das verruchte Pistol zur Erde und stürzte zu dem Getroffenen, um ihm den letzten Liebesdienst zu erweisen. Er konnte noch sprechen.

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