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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Simswerk, und kaum werfen wir einen Blick in den nächsten Saal, begegnen uns schon wieder zwei Riesengestalten grauer Vorzeit, die Standbilder der Polenkönige Miezyslaw und Boleslaw Chrobri.

Vor diesen Gestalten längst modernder Helden aber steht die ihres Herrn und Meisters in vollster, wärmster Lebenskraft, wenn auch auf dem Haupte Silberhaar glänzt, wenn auch ein Mann vor uns steht, der uns an Alter und Würde an einen Thorwaldsen erinnert, der ein Jünglingsherz im Greisenkörper trägt, dessen Hand noch mit der Sicherheit eines dreißigjährigen Mannes den Meisel führt, der mit dem Aufgang der Sonne seine Werkstatt betritt und sie mit dem Scheiden derselben erst wieder verläßt. Wahrlich, es ist ehrfurchtgebietend, einen fast achtzigjährigen Künstler mit dieser Kraft, dieser Energie arbeiten zu sehen – es ist bewunderungswerth, daß man diesen Arbeiten nicht das Alter ihres Schöpfers anmerkt, wie das ja in ähnlichen Fällen so oft vorkommt, und auf den sinnigen Beschauer tief verstimmend wirkt. Vor dem Kopfe einer Victorie, die auf einem Gestelle ruht, steht der greise Meister, prüfend und corrigirend, mit einer Sinnigkeit des Gefühls, die wir leider bei der anstrebenden Jugend nur zu oft vermissen. Der Zufall, erfinderisch wie immer, konnte uns kein schöneres Bild, keinen glücklicheren Kontrast zeigen – den würdevollsten Greisenkopf neben der Victorie, dem Abglanz der Jugend und weiblichen Anmuth.

Rauch hat sein langes, ruhmvolles Leben hindurch gearbeitet, wie Wenige – und sein Wahlspruch trägt den Stempel eines tiefempfundenen Bewußtseins und ehrlichster Selbstkenntniß, indem er lautet: „Meine Werkstatt, meine Heimath!“ Mehr wie hundert Büsten führte er mit eigner Hand in Marmor aus, unzählige Statuen von ihm zieren die Plätze und Museen der ersten Städte Europa’s, und mit dem Standbilde Friedrichs des Großen in Berlin, das in seiner Art zu den berühmtesten Monumenten der Neuzeit gehört, setzte er sich selbst den Lorbeerkranz unvergänglichen Ruhmes auf.

Scheiden wir von dem ehrwürdigen Künstler mit dem Wunsche, seine Tage mögen noch lange nicht gezählt sein – noch lange möge er als ein leuchtendes Beispiel von Kraft und Ausdauer unter uns leben – fern möge die Zeit fein, zu der es einst heißen wird, einer der seltensten Menschen athmet nicht mehr! – Ewige Jugend, Schönheit und Grazie werden dann trauern an seiner Ruhestätte, denn sie haben an ihm ihren Meister verloren, - - und der Hammer, mit dem er den letzten Schlag auf den Meisel führte, wird eine Reliquie sein für Alle, welche die Kunst üben – und sie lieben!




Flüchtige Reisebriefe aus der Schweiz.
Von E. A. Roßmäßler.


Palais des Unteraargletschers.
Den 7. September 1856.

Wie ich zu meinem heutigen Briefe außerhalb des Briefpapierbereiches bin, so bedarf ich auch der Phantasie dazu nicht, weil meine gegenwärtige Lage Dem, der sie nicht mit mir theilt, auch bei der nüchternsten Schilderung phantastisch genug vorkommen wird.

Um sechs Uhr pflückte ich noch einige Alpenblumen vor dem Palais und jetzt, um acht Uhr, liegt bereits zehn Centimeter Schnee, und der tiefe Abgrund vor demselben ist in das leuchtende Dunkel einer Alpenschneenacht gehüllt.

Das „Palais“, von dem ich rede, und in welchem sein Besitzer und Erbauer, Herr Dollfus aus Mühlhausen (im Elsaß), auf dem Heulager bereits im ruhigen Schlummer des Gletschersteigers liegt, ist ein kleines aus Steinen roh zusammengefügtes Haus, 7212 par. Fuß (genauer 2404 Meter) über dem Meere gelegen. Die Tricolore flattert im Schneewinde auf seinem Dache, und nur sie kann morgen, wo Alles unter der Schneedecke begraben sein wird, einem einsamen Wanderer das Dasein des „Palais“ verrathen. Der Wanderer könnte aber höchstens ein Ziegenhirt oder ein passionirter Gletscherbesucher sein, denn andere Menschen kommen wohl niemals hierher.

Aus dem Grimselhospiz (1563 F. tiefer), wo mich mein Reiseglück mit einem heimathlichen Bekannten und dessen Frau zusammenführte, war ich heute Morgen sieben Uhr ausgezogen, um den Unteraargletscher zu besuchen. Kein Gletscher der Welt trägt einen so berühmten Namen, denn auf ihm sind fast alle die Untersuchungen und Beobachtungen angestellt worden, welche das räthselvolle, fast dämonisch zu nennende Walten der Gletscherthätigkeit in neuerer Zeit so sehr aufgehellt haben. Er ist zugleich einer der imposantesten und lehrreichsten, denn alle, sonst nicht bei allen Gletschern immer zusammentreffenden Eigenthümlichkeiten finden sich auf ihm vereinigt.

Am Gletscherfuße angekommen, wo die Aar als geduldiger, vielfach getheilter Bach unter dem furchtbaren Eismeere auf eine weite, vollkommen ebene, von himmelhohen Felsen umstarrte Fläche, den Aarboden, hervorquillt, erwartete uns ein Ziegenhirt, den sich mein Führer als Aushelfer seiner Ortsunkenntniß bestellt hatte. Nun ging es zunächst an das mühevolle Erklimmen der Endmoräne, ein furchtbarer etwa 300 Fuß hoher und noch viel breiterer Wall von Felsentrümmern, welche der abschmelzende Gletscher beiderseits an seinem Ende abladet, Zehrpfennige, welche dem Gletscher von den Zinnen seiner Uferberge mit Donnergepolter zugeworfen werden. Beim Ueberschreiten des Gletschers in seiner ganzen Breite, etwa eine Viertel-Wegstunde, erkannte ich an der geognostischen Beschaffenheit genau die granitische oder Gneißnatur der weiter oberhalb liegenden Uferberge, denn der Gletscher sammelt alle auf ihn fallenden Blöcke an seinen beiden Rändern, und bildet so die Seitenmoränen. Auf der großen Mittelmoräne befestigten eben drei Arbeiter des Herrn Dollfus eine Signalstange genau in der Linie, welche zwei beiderseits an den Uferfelsen angemalte weiße Kreuze bezeichneten. Die Stange soll als Signal zum Abmessen des „Marschirens“ des Gletschers dienen. Die Signalstange, welche genau an demselben Punkte vor 13 Monaten aufgesteckt worden war, sahe ich jetzt ungefähr 300 Fuß weiter unten stehen. Um so viel also ist in der angegebenen Zeit der Gletscher abwärts gerückt. Unser Führer Ziegenhirt führte uns nach etwa halbstündigem Klettern auf der Moräne nach rechts auf den Gletscher selbst, wo ich mit wissenschaftlichem Behagen alle die Dinge mit Augen sah, die ich bisher blos aus Büchern kannte. Jetzt darauf näher einzugehen, würde meinen Brief zu einer wissenschaftlichen Schilderung machen, welches nicht in meinem Plane liegt. Das Gehen auf dem Gletschereise fand ich nicht sehr beschwerlich, weil dieses rauh ist, und dem Fuße ein ziemlich sicheres Auftreten erlaubt. Wir kamen bald an eine in den Gletscher ziemlich weit vorspringende Felsenecke, welche diesen genöthigt hatte, in eine Menge tiefe Spalten und Schründe zu bersten, aus denen uns himmelblaue Abgründe entgegengähnten. Die schmäleren wurden übersprungen, die tieferen umgangen, und so gelangten wir nach beinahe zwei Stunden an dem Palaisfelsen an. Noch 300 Fuß des schwindelfreien Blick und feste Kniee erheischenden Kletterns an der beinahe senkrechten Felswand hinauf, und wir standen vor dem Palais, einem kleinen ehrwürdigen Tempel der Natur, wo seit vierzehn Jahren die Verkünstelung noch keinen Eingang gefunden hat. In der kleinen aus Steinen roh zusammengefügten Küche, wo ein Knecht eben das Mittagsessen für Herrn Dollfuß bereitete, begann ich mit erstarrten Fingern diese Gletscherepistel, und versuchte nachher mit noch geringerem Erfolge, ein Stück Oberfläche des unter mir liegenden Gletschers zu zeichnen. Quer vor mir lag das geheimnißvolle Gletscherfeld und jenseits desselben ragten die gewaltigen Zacken des Grünbergs, der Eschenhörner, des Scheuchzerhornes, Grunerhornes, Oberaarhornes, Altmanns, Studerhorns, des gewaltigen, über 13,000 F. hohen Finsteraarhornes empor. Dann kam der Abschwung, ein Ausläufer der Schreckhörner, an dessen beiden Seiten der Finsteraar- und der Lauteraargletscher aus ihren erhabenen Geburtsstätten herabsteigen, und von hier an zum Unteraargletscher zusammenfließen. Die Linie ihres Zusammenflusses ist von einer mächtigen Mittelmoräne bezeichnet, welche genug Steine bieten würde, um daraus eine kleine Stadt zu erbauen. Ganz rechts endlich schlossen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 583. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_583.jpg&oldid=- (Version vom 12.3.2017)