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bei den Juden eine bedeutungsvolle Rolle, weshalb der bibelfeste Yankee seine persönliche Unabhängigkeit auf orientalische Weise mit den Worten ausdrückt: in eignen Schuhen stehen, womit er aber jedenfalls geborgte nicht ausschließen will, denn seine kaufmännische Existenz ist ja Kredit.

Der Persische Reiter konnte mit den bequemen Sohlen nicht auskommen, sondern befestigte größere Lederlappen daran, um diese wie eine Art Schnürstiefelchen am Fuße bis zur halben Wade hinauf zu befestigen. Wie in China aber die Geister in die Formen des Althergebrachten eingeschnürt wurden, wie eine altkluge Beamtenherrschaft das ganze Volksleben bis zur Verkümmerung einknebelte, so ward in diesem Lande auch jener pferdehufartige derbe Schuh Sitte, der das Wachsthum des Fußes hemmte und ihn zu einem Klumpfuß umgestaltete. Nichts ist bezeichnender für den chinesischen Beamtenmechanismus als der Klumpfuß, der zum Gehen ohne stützende Diener unfähig macht, der den Körper verstümmelt und das Gesetz der lebendigen Bewegung entstellt.

Was sich dagegen aus einer Sohle machen läßt, haben die Griechen gezeigt, die nur im Kriege und auf der Jagd das untere Bein mit Leder umwickelten und somit Stiefeln improvisirten. Wie die Noth den Menschen erfinderisch macht, so tauchte auch bei schlechtem Wetter und Schmutz in den griechischen Köpfen die Ahnung auf, daß das Fußwerk einer praktischen Verbesserung möglich sei, denn an den Schmutzschuhen brachten sie an der Ferse eine Kappe an, wogegen der übrige Fuß unbeschützt blieb. Wenn der Sklave des menschlichen Anrechtes auf Sandalen Verzicht leisten und barfuß gehen mußte, so hingen Stutzer einen silbernen Halbmond als Zierde an die Sandalen und Frauen trugen gelbe persische Pantoffeln, mit einer aufwärts gerichteten Spitze am runden Vorderende. Andere Damen bekleideten den Fuß mit einem netzartigen Schuh aus Stricken oder schnürten Lederlappen oben bei den Knöcheln zusammen. Auch Versuche zu Absätzen machte das erfindungsreiche Volk. Wenn bei uns Jünglinge zum Soldaten ausgehoben werden, zum Beweis, daß sie für wehrhaft erklärt werden, so erhielten die spartanischen Jünglinge ein paar Sohlen. Auch im Theater, welches bei den Griechen das war, was uns die Kirche ist, spielte die Schuhsohle eine wichtige Rolle. Da man noch keine Theaterzettel hatte, so trugen die Schauspieler Charaktermasken und Charaktersohlen. Sobald Helden und Götter auf den Brettern auftraten, erforderte es die Sitte, daß sie an Körperhöhe die übrigen Theaterpersonen überragten.

Daher trugen die Helden der Tragödie einen handhohen Stelzenschuh aus übereinandergelegten Korksohlen, den sie Kothurn nannten, und da es bei uns einmal Sitte war, triviale Dinge durch unverstandene Namen zu hochpoetischen zu machen, so sangen unsere Dichter vom Einherschreiten auf hohem Kothurn, wenn sie auf pomphaften Phrasen einherstelzten. Die Komiker und Tänzer der griechischen Theater trugen die niedrige Schuhsohle des an bunten Bändern reichen Soccus, die man zierlich um den Fuß schlang.

Die Römer als praktisch verständiges Volk wußten aus der Schuhsohle auch ein brauchbares Ding zu machen, denn die griechische Sohle war trotz der schönen Verzierungen eine ziemlich unbequeme Fußbekleidung bei schlechtem Wetter und auf schlechtem Wege, denn die Straßen der Städte waren ungepflastert.

Die Römer bilden in der Geschichte den Uebergang zu den germanischen Völkern, daher findet man bei ihnen nebenbei mancherlei Einrichtungen und Gewohnheiten, welche bei den Germanen volksthümlicher Gebrauch waren, welche auch umgekehrt Manches von den Römern annahmen und in nationaler Weise weiter entwickelten. Daher dürfen wir uns gar nicht wundern, wenn wir neben der Sohle bei den Römern eine Art Schuh und Halbstiefel in Gebrauch finden, obschon sie von unserem Schuh und Halbstiefel noch sehr verschieden sind, da ihnen die Kappe an der Hacke u. a. fehlt und sie eigentlich nur lederne und eiserne Gamaschen blieben. Der Bauer und Tagelöhner trug hölzerne Pantoffeln, deren er sich bei Kirmeßvergnügen statt der bei uns gebräuchlichen Stuhlbeine und Bierflaschen bediente, der Soldat schnallte, wenn er Lanzenwerfer war, vor den linken vorgesetzten Fuß einen eisernen Schienbeinpanzer, focht er dagegen mit dem Schwert, so schirmte er den rechten Fuß, wie Aehnliches bei einigen griechischen Stämmen Sitte war. Fuhrleute, Bauern und Bergbewohner steckten ihre Füße in ein halbstiefelartiges Futteral von ungegerbtem Leder; dagegen war der Mulleus der Nationalschuh, denn diese schuhartige Fußbekleidung diente als Abzeichen der Stände und Würden und wurde bei großen Feierlichkeiten getragen. Die beiden Präsidenten, Oberrichter und höchste Polizei der Republik schritt zwar ohne Hosen einher, hatte die Füße dagegen mit Pantoffeln von rothem Leder geschmückt, hinter ihnen sah man die Senatoren mit Halbstiefeln, Priester in weißen Schuhen, worauf die Plebejer auf Schuhsohlen oder Holzpantoffeln nachklapperten. Auch durfte nur der Adel mit vier Riemen die Sohle befestigen, der Plebejer mußte mit einem Riemen auszureichen wissen.

Gebräuchlicher als jene Festschuhe waren Sohlen mit zierlich geschlungenen Riemen und eingeschlagenen Nägeln, ja diese Riemen und Bänder gingen oft bis an die Schenkel hinauf, und ersetzten die Hosen. Männer trugen schwarze oder rothe Schuhe und Sohlen, Frauen zogen leichte Sohlen und bunte Bänder vor, stickten diese mit Gold und Edelsteinen, und ließen sie weiß oder bunt färben. Solche Damensohlen waren mitunter der Gegenstand ritterlicher Galanterie, denn Kaiser Vitellius – übrigens ein Schlemmer erster Art – trug die Schuhsohle seiner Frau stets auf der Brust, um sie in jedem müßigen Augenblicke hervorzuholen und zu küssen, wie es Kavaliere des minniglichen Mittelalters mit den Handschuhen der Damen machten.

Die Deutschen, welche nach den Römern die Weltherrschaft übernahmen, waren ein dem Sinnlichen und Natürlichen abgewandtes Volk, deshalb verhüllten sie keusch und züchtig das Nackte, deshalb gelobten Mönchs- und Ritterorden Ehelosigkeit, und da sie nur dem Geistigen sich zuwandten, sich eine gewaltige geistige Welt aus dogmatischen Abstraktionen, ritterlichen Ehrbegriffen und gesellschaftlicher Gliederung aufbauten, so wurde das Mittelalter das Zeitalter der Phantastik, die endlich in platte Nüchternheit umschlug. Zu der enganliegenden Hose, die bis an die Knöchel reichte, fügte man die Sohle und den römischen Schuh, den man richtiger Socke nennen könnte, da er ohne Sohle, Absatz und nicht von Leder war. Auf diese Weise ging Karl der Große gekleidet, der nach fränkischer Art den Fuß vom Knöchel bis zur Wade mit breiten Bändern umwickelte, so daß die Socke wie ein Halbstiefel aussah. Diese Socke wurde mit Perlen, Gold und Silber gestickt, wenn sie die Füße der Kaiser und Fürsten bedecken sollte, doch sehr bald wird sie in eine nationale Fußbekleidung umgewandelt, in den Schlapp- oder Schnabelschuh. Das Streben des Deutschen ging von dem irdischen Jammerthal hinüber zum himmlischen Freudensaal, daher entspricht dieser Richtung der Spitzbogen, die spitzen Kirchenfenster und Kirchenthüren, die hochsteigenden zugespitzten Thürme, die spitze Kriegshaube, der in Spitzen auslaufende Schild. Natürlich konnten sich die Schuhe diesem allgemeinen Drange nach Oben nicht entziehen, sie wurden krallenartig ausgebogene Schnabelschuhe.

Anfangs erschienen diese aufwärts gekrümmten Schuhspitzen in bescheidener Länge, aber nach und nach wuchsen sie gerade aus bis auf einen halben, ja bei vornehmen Herren bis auf zwei Fuß, so daß sie eine wahre Karrikatur auf den Menschenfuß waren. Ein solcher Schnabelbeschuhter konnte nun freilich nicht gehen, wie ein antiker Sohlengänger, es ging ihm vielmehr ähnlich, wie dem klumpfüßigen Chinesen, denn die weichledrigen Fußspitzen schlappten ihm bei jedem Fußaufheben unter die Sohlen; eine Treppe hinauf konnte er gar nicht kommen, und im Volksgedränge lief er Gefahr, daß ihm die kostbaren Schlappspitzen abgetreten

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