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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

leisesten Beifallsbezeugungen erhöhten jedesmal das blühende, jungfräuliche Roth auf ihren zarten, runden Wangen; die Worte ihrer Liebe, die mir, ihrem Herrmann, gelten sollten, wanderten in derselben unkünstlerischen Richtung, bis ein feines, sarkastisches Lächeln bei einer solchen Gelegenheit von Seiten des Theaterdirektors von ihr aufgefangen und verstanden ward, so daß sie in liebenswürdigster Verwirrung feuerroth ward und sehr zu kämpfen hatte, um nicht ganz aus der Rolle zu fallen.

„Glücklicher Invalide, dacht’ ich. Dir schlagen die schönsten Herzen entgegen, ohne daß Du sie suchst, und unsereins in voller dramatischer Liebesglut auf zwei gesunden Beinen (blos mit einer invaliden „buchhaltenden“ Hand) muß just Feuer anblasen, damit sich Andere daran erwärmen! Bin ich ein höherer, reisender Engländer? Warum machen mich diese herumziehenden Mimen zu einem bloßen Blasebalg?“

„Warst Du denn wirklich eifersüchtig?“ fiel hier eine neckische Stimme mit jugendlichem, klangvollem Lachen in die lächelnd ruhige Erzählung des Greises ein.

„O, das war wohl, Tochter Nr. 17,“ erwiederte er. „Kleine Fliege, Du wirst doch nicht eifersüchtig sein auf die nicht aufgegangene, vor fünfzig Jahren stets vor mir vorbei wehende Flamme? – Um von den Bürgermeistern hier weiter nicht zu reden, laß’ ich den Vorhang fallen, denn meine Rolle fing nun erst an. Wir stiegen von den Brettern auf das Gras zu unsern Zuschauern und hörten Urtheile über unsere Darstellung, die in Lob und Tadel ganz von den bei solchen Gelegenheiten gewöhnlichen Phrasen abwichen und den feinsten Geschmack, den gebildetsten Sinn für Verkörperung und Personifikation ideeller Figuren und Zustände kund gaben. Inzwischen waren die Silbergrauen eifrig bemüht, ein kaltes Mahl unter einer schattigen Linde zu arrangiren, das eben so wenig, wie die Schüsseln und Geräthe, am Hungertuche nagende herumziehende Jünger des Thespis Karren verrieth. Wir setzten und lagerten uns herum, aßen und tranken und fühlten uns viel glücklicher und seliger im Feuer der gediegensten, freien und doch fesselndsten Unterhaltung, als in dem des Johannisberger. Wir scherzten, lachten, stießen mir den Gläsern an und waren übermüthig lustig, ohne daß je ein Wort, eine Miene unterhalb des feinsten Tones fiel. Der Invalide nannte mich zuerst seinen Deputirten und trank mit mir aus einer schwanenhalsigen Rheinweinflasche.

„Von dieser Zeit an ward ich stets Herr Deputirter angeredet, ohne daß Jemand nach meinem Namen fragte. Da ich nun meinerseits keinen meiner Collegen, keinen Zuschauer beim Namen kannte und von steifen, gegenseitigen Vorstellungen nie die Rede war, nannte ich meine Collegen ohne Komplimente bei den Namen ihrer Rollen und die Zuschauer nach den Nummern, die sie eingenommen. Vielleicht hießen doch auch die Meisten nur Müller, wie ich damals dachte.“

„Ihre Gesundheit, Herr Deputirter!“ rief der schöne Invalide. „Dieser alte Johannisberger ist wie ein Gedicht von Schiller oder Wieland oder einem andern Dichter, je älter, desto edler die Blume. Viva it vino!“

„Die Gläser klirrten. Der Majestätische stieß mit an, indem er lächelnd bemerkte, daß man hoffentlich auch Kotzebue einschließe.“

Kotzebue!“ rief der Invalide, sich aufrichtend mit einem finstern Gesicht. „Kann man einen Tropfen dieser Gottesgabe nur ansehen, und an diesen Quak-Poeten denken? Eingebildeter denn ein Pfau! Ein Guckguck, der nichts singt, nichts kennt, als sein Bischen Ich! Wo er auch hinkommt, nirgend erkennt er einen Himmel, eine Erde, neue Situationen und Menschen, nirgend die Weihe der Kunst an, die den Künstler in sich aufnimmt und auslöst. Im Gegentheil, immer belächelt er nur eitel sein eigenes Sagen und Thun. Selbst in Tobolsk ist er überzeugt, daß die Sibirier nichts zu thun haben, als seine Stücke zu übersetzen, zu lesen, einzustudiren und auszuführen.“

„Obgleich in diesen Worten nichts bestechend Originelles lag, fiel mir doch dabei zum ersten Male das überaus geistvolle, ausdrucksreiche, edle Gesicht des Sprechenden so auf, daß ich mich desselben noch heute in ganzer Klarheit erinnere. Ich konnte meine Augen nicht von ihm wenden, wie er da auf dem Grase ausgestreckt lag, den Kopf auf die Hand gestützt. Er war schön und intelligent zugleich, Nase und Mund von der schönsten klassischen Form, der Vorderkopf gewölbt zur höchsten, schönsten Stirn, Augen von einem brillanten Schwarz wie die eines der blühendsten Italiener. Doch waren es weniger die eigentlichen Gesichtszüge, als der edle Charakter und die volle Bedeutsamkeit seiner Physiognomie, was den tiefsten und nachhaltigsten Eindruck auf mich hervorrief; und so horchte ich auf jedes seiner lebhaften Worte und kühn herausgesprochenen Urtheile mit einem Interesse, das ich mir damals kaum zu erklären im Stande war.

„Kotzebue,“ sagte die einfache Dame, die ich Nr. 3 nannte, „ist mehr ein Sitten- als Charakterzeichner.“

„Verbrechen-Maler, sagen Sie lieber, Madame!“ rief der Invalide. „Die Verdorbenheit und Haltlosigkeit der höheren Klassen, des gebildeten Pöbels, ist die Sphäre seines Griffels. Wahre Schönheit des Charakters ist ihm völlig unbekannt und unzugänglich. Er kennt nur Menschen, wie sie nicht sein sollen. Kotzebue weiß wahre Größe, die Herrlichkeit der Mission des Menschen auf Erden nicht zu würdigen. Der Mensch aber war der erste Dialog, den die Natur hielt mit Gott.“

„Es würde ganz unmöglich sein, die Wärme und den eindringenden Ton dieser letzten von ihm gesprochenen Worte zu erklären. Sie zitterten durch mein ganzes Wesen wie eine vibrirende Saite. Auch alle Uebrigen schienen auf ähnliche Weise ergriffen und dem Nachklange dieses Tones in ihren eigenen Gemüthern zu lauschen.

„Sie verlangen von jedem Schriftsteller so viel Originalität,“ sagte der Majestätische nach einer Pause. „Ich preise mich oft glücklich, daß ich nie ein Gedicht zu fabriciren versucht habe, denn ich weiß, er würde mich ganz unbarmherzig mitgenommen haben.“

„Originalität ist blos ein Wort,“ erwiederte der Invalide, der sich in Paradoxen zu gefallen schien. „Es gibt keine Originalität. Der größte Genius wird nie viel werth sein, wenn er sich einbildet, blos aus seinen eigenen Mitteln schaffen zu können. Es gibt freilich Philosophen, die wähnen, daß sie sich 30 Jahre in ihre Bücherstube einschließen können, ohne jemals die Welt eines Blickes zu würdigen, immer ausschließlich aus ihrem eigenen armen Hirn zu spinnen und daraus die Welt mit großen, originellen Schöpfungen zu beglücken. Was kommt dabei heraus? Wolken, nichts als Wolken, Hirngespinste!“

„Bei alledem,“ sagte die Frau des Majestätischen, die blos Madame genannt ward, „kann es keinen Genius geben ohne eigene Mittel, ohne Originalität, die Sie so zu verachten scheinen.“

„Na denn, bitte, Madame, sagen Sie mir gefälligst, was Genius sei, wenn es nicht die Gabe ist, Alles, was uns packt und ergreift, zu ergreifen, zu begreifen und daraus etwas zu machen, alle Dinge zu ordnen und mit Leben zu durchathmen, alle Stoffe, die sich uns bieten; hier Marmor, dort Metall, dort andere Materialien zu nehmen und mit Geist Monumente daraus zu fügen? Ein Werk des Genius bedarf der Stoffe der Natur und des Menschen und wird versorgt und zu Stande gebracht von Tausenden von Personen und Sachen, was nur das eitle, oberflächliche Talent verkennt, um sich mit fremden Federn zu schmücken. Der Genius gerade macht es bescheiden, der Gelehrte, der Unwissende, der Weise und der Thor, alle tragen das Ihrige zu jedem Werke des Genius bei. Sie säen den Herbst, den der Dichter, der Philosoph, der Historiker erntet. Ein großes literarisches Meisterwerk ist deshalb nichts als eine künstlerische Sammlung von Wesen aus dem Reichthum der Natur, welches man je nach den Sammlern hier Plato, dort Shakespeare u. s. w. nennen mag. Glauben Sie mir, um groß, um genial zu sein, muß man social sein. Auch Herkules bedarf der Nahrung. Und durch Umgang mit Astronomen, Botanikern, Chemikern, Mathematikern, Architekten, Professoren und Professionisten aller Art kann der Dichter und Künstler Rohmaterial, Nahrungsstoffe sammeln. Deshalb finden wir die wahrhaft großen Männer inmitten ihrer Nebenmenschen. Plato und Sokrates waren keine Eremiten. Bacon, Camoens, Boccaccio, Dante waren Bürger großer, volkreicher Städte.“

„Darin haben Sie Recht,“ sagte „Madame,“ lächelnd. „Ich für meinen Theil denke hierbei besonders an Paris und verdanke dieser Schwäche sehr viel.“

„Sehr viel? Nein sagen Sie Alles! Es wäre unmöglich zu sagen, wo und in welchem Gegenstande oder Geschäfte,. oder in welcher Wissenschaft wir oft Ideen, die mit diesen Gegenständen, Geschäften oder Wissenschaften gar nichts gemein haben, finden und benutzen. Ich habe Mineralien, Moose, selbst Fische gesehen, welche mir die herrlichsten physiologischen und selbst psychologischen

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