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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Eine Schande des neunzehnten Jahrhunderts.

Wenn man in Paramaribo, Hauptstadt der holländischen Kolonie Surinam in Südamerika, an dem Gouvernementsgebäude vorüber, die Grafenstraße zu Ende geht, dann erblickt man zur Linken ein, nur wenige Fuß emporragendes und ganz allein stehendes hölzernes Gebäude. Es macht einen trüben und abschreckenden Eindruck. Vorn und an der hintern Seite erstrecken sich zwei Höfe, wovon der eine mit Pallisaden, der andere mit einem Bretterverschlage umgeben ist. Hier steht man auf dem Platze, wo Tausende unserer Mitmenschen leiden, auf der Stätte, wo die Sklaven Paramaribo’s gestraft – nein, gepeinigt, gequält, gemartert werden, – auf dem Richthofe der Sklaven.

Inmitten einiger Häuser, die durch Polizeibeamte bewohnt oder als Gefängnisse benutzt werden, in welchen eine Menge Unglücklicher in Ketten schmachten, bemerkt man auf jenem Hofe zwei rothangestrichene, schon in einiger Entfernung sichtbare Pfähle über der Einfriedigung emporragen. Zwischen beiden steht ein mit einem eisernen Fußbügel versehenes Fußstück, zur Aufnahme eines dritten Pfahles bestimmt. Das ist das unheilvolle Marterwerkzeug für jene Unglücklichen. Dorthin stellt die königlich-holländische Polizei Surinams ihre Diener zur Verfügung, um die täglich durch die Bürger ausgesprochenen Urtheile ohne jegliche weitere Untersuchung und äußerst billig, gegen einen Preis von nur einem halben Gulden (ungefähr 8 Ngr.), vollziehen zu lassen.

Fast jeden Morgen und Abend kann man Sklaven und Sklavinnen, fest geknebelt und durch Polizeiagenten geführt, hier ankommen sehen. Manchmal ist der Eigenthümer, öfterer ein jugendlicher Mensch, ja auch eines seiner Kinder bei dem traurigen Aufzuge. Aus der ganzen Haltung des Letzteren schaut die Zufriedenheit über seine Rolle; seine unruhig suchenden Augen, sein trotziges, dünkelhaftes Auftreten und jede seiner Bewegungen verkünden, daß er gern die ganze Stadt zum Zeugen davon machen möchte, wie er mit seinen „verworfenen Sklaven“ umzuspringen weiß. Um den schrecklichen Anblick noch abscheulicher zu machen, benutzt man oftmals zur Transportirung der Sklaven, der Billigkeit wegen, keinen Polizeiagenten, sondern einen andern Farbigen, dessen Loos es vielleicht morgen ist, zu demselben Zwecke hierhergeführt zu werden. Der unselige Platz ist erreicht. Man klopft an das Fenster eines an der Straße liegenden Zimmers, wo der wachthabende Polizist sich aufhält und die Taue zum Knebeln und die Peitschen aufbewahrt werden. Dann wird die Pforte des Platzes geöffnet und der Zug tritt ein.

Der Sklave oder die Sklavin wird sofort gezwungen die Kleider abzulegen und behält nur einen einfachen Schurz, um die Lenden zu bedecken. Durch ein an die Hände befestigtes Tau, das an der Spitze der beiden rothen Pfähle durch zwei Einschnitte läuft, wird der Delinquent aufgezogen und bald hört man das Klatschen der Peitsche und das Angstgeschrei, das Klagen und Heulen des Dulders oder der Dulderin. Hat man den Muth einen Blick auf die Schenkel des oder der Gemarterten zu werfen, so sieht man das Blut auf den Boden rieseln.

Von ärztlicher Untersuchung ist nicht die Rede. Die Beurtheilung der Körperbeschaffenheit oder der Krankheitssymptome ist rohen und unwissenden Polizeibeamten überlassen, die nicht leicht eine bejahende Erklärung abgeben, weil, wenn die Bestrafung nicht zur Ausführung kommt, sie wenigstens 50 Cents verlieren. Und das ist für jene keine Kleinigkeit, denn ihre Besoldung ist gering. Es ist schon eine besondere Güte von ihnen, wenn sie die Exekution aufschieben, denn sie sind nicht dazu verpflichtet.

Und wer sind nun eigentlich die Richter, die diese Strafen verhängen? Es ist furchtbar: die Bestrafung geschieht auf einfache Forderung des Besitzers. Der Herr schickt eigenmächtig seine Leibeigenen so oft zur Marterstätte, als es ihm gutdünkt. Es gibt folglich in Paramaribo so viele Richter als es Sklavenbesitzer gibt, Richter, die ihre Anstellung nur der Geldsumme verdanken, die sie zum Ankauf ihrer Sklaven verwandten; Richter, die durch die holländische Polizei nach Laune und Willkür Menschen quälen lassen, nicht weil sie etwas verbrochen, sondern weil es ihnen unmöglich ist, eine gewisse Summe Geldes zu entrichten, für die sie ihre Freiheit kaufen könnten.

Keine Macht der Erde kann die armen Sklaven von der Vollziehung des gesprochenen Urtheils erretten. Sein Herr kann ihn ebensowohl für das Rechts- oder Linksdrehen des Hauptes mit 25 Streichen züchtigen lassen, als für Diebstahl und sonstige Vergehen. Der Polizeibeamte hat sich keineswegs um das geübte Verbrechen zu kümmern, sondern nur um die Körperkräfte des Sklaven hinsichtlich der ihm zudekretirten Strafe und um die Befugtheit der Person, welche sie fordert. So werden die Gouvernementsbeamten zur Vollziehung körperlicher Züchtigung erniedrigt, auch wenn sie davon überzeugt sind, daß jene ungerecht, und die niederländische Polizei gibt ihre Diener zum Martern Unglücklicher her, die sich nicht vertheidigen können, die nie gehört werden und denen selbst das Anrufen des königlichen Rechtes der Gnade, das selbst der verächtlichste Mörder beanspruchen kann, verweigert ist.

Hunderten von Dramen, das eine abscheulicher noch als das andere, kann man auf diesem verfluchten Strafplatze der Schande Hollands und des neunzehnten Jahrhunderts beiwohnen. Hier nur eine dieser Missethaten.

Lydia war eine junge, schöne Mulattin, sie gehörte einer freien Schwarzen, die wir Johanna nennen wollen. Sie verrichtete täglich bei ihrer Herrin die Hausarbeit, bereitete das Essen und hielt die Wohnung in Ordnung. Ist dies um 10 oder 11 Uhr Vormittags verrichtet, so wird sie ausgesandt, um „Arbeit zu suchen,“ d. h. 32 Cents zu verdienen, die sie dieser Johanna jeden Abend abliefern muß.

Ein „Freier,“ Franz genannt, heirathet Lydia. Er ist Bote und Reiniger in einem Landhause und hat einen ziemlichen Verdienst. Die arme Sklavin ist gerettet. Jeden Morgen, wenn sie die Wohnung ihrer Herrin verläßt, geht sie zu der ihres Gatten, ordnet seinen Haushalt, verlebt mit ihm einige sorglose Stunden und empfängt dann von ihm jene 32 Cents. Franz hat ein kleines Häuschen auf dem Platze des Herrn A., liebt seine Lydia von ganzem Herzen und ist dort mit ihr ganz glücklich, während Lydia mit einer Liebe und Treue ihm anhängt, die als Beispiel dienen könnten. Aber immer hängt über der Gatten Häupter ein drohendes Schwert. Ihre Vereinigung dauert, so lange Lydia’s Herrin sie erlaubt. Diese ist ihr bis jetzt noch unbekannt; sie glaubt, die Sklavin suche und finde Arbeit und bringe darum so regelmäßig ihre 32 Cents.

„Aber wenn sie die Wahrheit erfährt,“ seufzte eines Tages Lydia, als sie gegen den Abend hin einige selige Augenblicke mit ihrem Franz verlebte.

„Nun, wenn sie es erfährt!“ antwortete ihr Gatte, „es kann ihr doch einerlei sein, von woher sie am Abend ihr Geld empfängt, wenn Du es nur bringst.“

„Und doch, Franz, sagt mir eine bange Ahnung, daß es besser sei, ihr die Wahrheit zu verschweigen!“

„So thue es, Frau, und rechne immer auf mich.“

Lydia hatte nicht umsonst gebebt. Als sie einige Monate in dieser seligen Verbindung gelebt hatte, erfuhr ihre Herrin, mit wem sie lebe. An sich war es ihr ganz gleichgültig, mit wem Lydia ein solches Verhältniß habe und aus welcher Quelle sie die 32 Cents schöpfe. Aber sie erfuhr den Namen des Mannes und sagte eines Morgens zu ihrer Untergebenen: „Dieser Franz ist ein brutaler Mulatte. Ich höre, daß Du seine Frau bist und verlange, daß Du ihn verläßt und einen andern Gatten nimmst.“

Die Herrin war ganz in ihrem Rechte. Sklaven heirathen nicht. Die Verbindungen, welche sie schließen, können durch ihre Herren jederzeit gelöst werden, ohne daß sie gezwungen wären, darüber Rechenschaft abzulegen. Jetzt war es nur eine Laune, nichts Anderes – aber auch dann muß der Sklave gehorchen. – Lydia gehorchte nicht. Wenn auch ihre Schönheit ihr die Gelegenheit gab, auf andere Weise die 32 Cents zu verdienen – sie liebte ihren Gatten und war zu jeder Aufopferung für ihn bereit. Lydia gehorchte nicht, und somit machte ihre Herrin von dem Gebrauch, wozu sie gesetzlich befugt war. Sie sperrte eines

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 539. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_539.jpg&oldid=- (Version vom 16.12.2022)