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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

No. 40. 1856.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Die Rechte des Herzens.


I.

„Es drängt mich, Sie zu sprechen, Henriette, ich muß Sie sprechen, denn ich leide! Doch nein, ich leide nicht, ich bin im Gegentheil glücklich, da ich Sie diesen Abend auf dem Balle sehen kann. Ach, Sie werden in Ihrem blauen Kleide so schön sein, daß Sie einem Engel glichen, wenn Sie nicht schon ein Engel in Wirklichkeit wären. Da ich vermeiden will, daß die schlechte Welt unsere Liebe ahnt, beklatscht und bekrittelt, so werde ich mich auf dem Balle nur wenig mit Ihnen unterhalten; aber finden Sie sich um elf Uhr, wo der Tanz am lebhaftesten ist und Niemand unsere Abwesenheit bemerkt, in der Orangerie eh. Als Zeichen der Gewährung meiner Bitte befestigen Sie die rothe Rose in Ihrem Gürtel, die ich Ihnen während des ersten Walzers, den wir zusammen tanzen, geben werde. Ich bringe ein schweres Opfer, indem ich Sie den ganzen Abend am Arme eines Andern sehe, aber ich bringe es der Welt wegen.

Adolf M ..“

Diesen Brief hatte Adolf Morgens an die Adresse befördert, und Abends war er der erste, der mit hoffnungsfrohem Herzen das kleine duftende Wäldchen betrat, denn er hatte die rothe Rose in Henriette’s Gürtel gesehen. Aber auch die Eifersucht hatte sich seiner bemächtigt, die Eifersucht auf einen jungen Mann, der oft mit der reizenden Henriette getanzt hatte. In tödtlicher Unruhe erwartete er die Stunde des Stelldicheins. Es war das erste Mal, daß ein Zweifel, eine finstere Ahnung in ihm erwachte.

Endlich schlug die ersehnte Stunde; aber es verging noch einige Zeit ehe Henriette erschien. Sie war sichtlich aufgeregt und zitterte.

Die beiden jungen Leute traten Arm in Arm in die Dunkelheit des Wäldchens. Die ruhige, aber mondlose Nacht verbreitete nur einen schwachen Schimmer über die schlummernde Erde. Geheimnißvoll, wie die Liebesgedanken, welche diese beiden Herzen bewegten, war das rings herrschende Schweigen.

„Warum sind Sie so traurig, mein lieber Freund?“ fragte Henriette mit sanfter, schmeichelnder Stimme.

Er antwortete nicht sogleich, die Eifersucht beherrschte ihn völlig. Erst nach einigen Augenblicken schilderte er mit Schmerz und Leidenschaft die Ahnungen, die sich ihm aufdrängten, und die Furcht, daß dieser Ball ihrer Liebe verhängnißvoll werden könne.

„Sie sind thöricht!“ rief sie aus. „Also deshalb, weil ich mit einem andern jungen Mann getanzt habe, quälen Sie sich mit Sorgen und Befürchtungen! Gestehen Sie es nur, Sie sind auf Otto Winter eifersüchtig!“

„Ja, Henriette, ich bin auf ihn eifersüchtig!“

„Ich schwöre Ihnen, Adolf, daß er nicht ein Wort von Liebe zu mir gesprochen hat.“

„Wahrhaftig? Ach, Henriette, dieses Geständniß macht mich unaussprechlich glücklich! Aber es schien doch, daß er sich oft zu Ihnen neigte. Jedes Wort, das Sie ihm sagten, war für mich ein Dolchstoß.“

„Er unterhielt mich von meiner Cousine Friederike, die Sie kennen; auch befragte er mich über das Vermögen meiner Tante.“

„So will er Friederiken wohl heirathen?“

„Man möchte es glauben.“

„O welch’ ein Glück!“

Nun folgte ein süßes Schweigen, das den Verliebten eine glückseligere Unterhaltung gewährt, als die leidenschaftlichsten Worte. Dieses Schweigen unterbrach Henriette; ganz leise, als ob sie fürchtete von einem Lauscher gehört zu werden, flüsterte sie:

„Sie wissen es ja, Adolf, daß ich nur Ihnen angehören werde!“

„O wiederholen Sie noch einmal diesen süßen Schwur, daß ich ihn in mir aufnehme und in den geheimsten Falten meines Herzens aufbewahre!“

Und wie schon oft, so wiederholten jetzt feuchte Blicke und zärtliche Händedrücke zum hundertsten Male jene heiligen Gelübde, die nur Gott allein hört.

Das Gesicht des jungen Mannes flammte in Purpurröthe; er ergriff die Hand Henriette’s, legte sie auf sein heftig klopfendes Herz, und sagte:

„Wie Sie, habe auch ich einen Eid zu leisten – wie Sie, Henriette, nehme auch ich Gott zum Zeugen, daß ich Sie liebe, und daß ich nie eine Andere lieben werde! Ich schwöre, daß ich von Morgen an alle Energie und Kraft, die in mir ist, anwenden werde, um Ihrer würdig zu werden und Sie vor den Augen der Welt besitzen zu können. Nehmen Sie diesen Eid an, Henriette, und wenn ich je meineidig werde, so verdammen Sie mich ohne Mitleiden!“

Der Engel der Liebe, der die Herzen und Gewissen durchschauen kann, und mit Liebe aufrichtige Seelen sucht, um einen Augenblick bei ihnen zu ruhen, hätte vor Glück erbeben und den reinen Duft zu Gottes Thron emportragen müssen, der diesen Abend dem geheimnißvollen Wäldchen entströmte.

„Bewahren Sie die rothe Rose, die ich Ihnen geschenkt habe und die Sie im Gürtel tragen,“ fügte Adolf hinzu.

„Und ich gebe Ihnen diese rothe Rosenknospe, die ich für Sie gepflückt habe!“ sagte Henriette.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 533. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_533.jpg&oldid=- (Version vom 5.3.2017)