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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Schaum hindurch erkennen. Dieser Anblick gab den Männern frischen Muth, sie ruderten mit erneuter Kraft, und schon zeigte sich ihnen in der Ferne, wenn auch kaum erkenntlich, in der Morgendämmerung die dunkele riesige Gestalt eines Schiffes. Als sie noch näher kamen, überzeugten sie sich, daß dasselbe auf die Seite geworfen worden war, die Wellen schäumend und spritzend an ihm sich hinaufbäumten und zum Theil schon über das Verdeck hinwegschlugen. An jeder Stelle des Deckes, die eine Möglichkeit von Schutz zu gewähren schien, standen Männer und Weiber dicht zusammengedrängt bei einander und klammerten sich in Verzweiflung an Balken und Taue fest, damit sie von den darüber stürzenden Fluten nicht mit hinweggespült würden. Das Schiff lag auf einer Art Bank, zum Theil festgehalten durch den Anker, welchen die Mannschaft niedergelassen hatte, ehe sie aufgefahren waren. In dieser Lage war es von den anstürmenden Wogen auf die Seite gedrückt worden; es hob und senkte sich mit dem Steigen und Fallen der Flut, und jeden Augenblick war zu befürchten, daß es in Trümmer zerschlagen werde.

Holmes brachte sein Boot so nahe an die geneigte Seite des Schiffes (vor dem Winde), daß er die Leute darauf anrufen und sie auffordern konnte, ein Tau von dem Ende der großen Raa herabzulassen. Die große Raa ist eine dicke Stange, welche horizontal oben an dem Hauptmaste liegt. Da das Schiff nach der Seite lag, so mußte ein am Ende dieser Raa befestigtes Tau in einiger Entfernung von dem Schiffsrumpfe gerade herunter auf das Wasser hängen. Die Leute hörten und thaten, was ihnen gesagt wurde. Mittels dieses Taues gedachte Holmes zunächst auf das Schiff zu gelangen, das auf keine andere Weise zu ersteigen war. Freilich war es schon gefährlich, diesem herabhängenden Taue sich zu nähern, weil es, von dem Sturme getrieben, mit ungeheurer Wucht hin und her schwankte und das Meer unten peitschte. Holmes ließ sein Boot gerade unter dies Tau steuern, und obwohl es um ihn her schlug und ihn ein Schauer überlaufen mußte, wenn er sich sagte, er müsse aus dem Boot springen, das Tau erfassen, sich mit ihm weit umherschleudern lassen und dabei an demselben ziemlich hoch hinaufklettern, wich er doch vor dem Unternehmen nicht zurück. Nach einigen vergeblichen Versuchen, das Tau zu erfassen, hielt er es mit aller Kraft fest, das Boot wich unter ihm hinweg und er hing frei in der Luft.

Jeder von uns wäre in der schwankenden Lage unrettbar verloren gewesen; etwas Anderes ist es bei einem erprobten Seemann, denn sobald ein solcher, in welcher Schwierigkeit und Gefahr es auch sein mag, ein Tau, das an einem Ende vollkommen fest gemacht ist, mit seiner Eisenfaust erfaßt, ist für seine persönliche Sicherheit nichts mehr zu fürchten. Auch Holmes wußte und fühlte jetzt, als das Boot unter ihm hinweggeglitten war und er frei über dem wüthenden Meere in der Luft schwebte, daß für ihn die Gefahr geendet sei. An dem Tau emporzuklettern, bis er die Raa oben erreichte, von der Raa an den Mast zu steigen und dann in dem Takelwerk hinunter auf das Verdeck, war etwas, zu dessen Ausführung nur gewöhnliches Matrosengeschick und gewöhnlicher Schiffermuth gehörte. Es geschah demnach in wenigen Augenblicken, und bald stand er auf dem Verdeck. Da aber hatte er seinen ganzen Muth und seine ganze Energie zusammen zu nehmen, um sich durch den Anblick des Entsetzens und Elendes, das sich ihm darbot, nicht überwältigen zu lassen.

Alle drängten sich um den, ihnen wie vom Himmel gesandten Fremden, in dem sie ihren Retter sahen, und horchten gespannt auf das, was er ihnen zu sagen haben werde. Er theilte ihnen mit, daß ihr Schiff auf einer schmalen Bank oder Barre festsitze, die parallel mit der Küste laufe, daß sich aber zwischen dem Schiffe und der Küste tieferes Wasser finde. Deshalb rieth er ihnen, das Ankertau zu kappen, weil er erwarte, daß das Schiff von den so gewaltig andrängenden Wogen über die Bank hinweg in tieferes Wasser und dann schnell an die Küste werde getrieben werden, wo sich wahrscheinlich Mittel finden dürften, die Leute zu retten.

Nach dem empfohlenen Plane wurde gehandelt. Man kappte das Ankertau; das Schiff wurde in der That sofort über die Barre hinweggehoben und von dem Sturme dahin gejagt, so daß die Leute darauf in eine andere Art von Angst geriethen, und von Neuem verzweifelnd laut aufschrieen. Zu lenken und zu regieren war das Schiff nicht mehr; man mußte es treiben lassen, wie und wohin Wind und Flut es jagen würden. Es wurde aber an die Küste einer der dort liegenden, langen schmalen Inseln geworfen, wo in der Sturmbrandung die Wogen von Neuem über ihm zusammenschlugen.

Nach vieler Mühe und Anstrengung gelang es der Mannschaft, mit Hilfe des Bootes, in welchem sich die Freunde des muthigen Holmes befanden, das stets in der Nähe geblieben war, ein Tau von dem Schiffe an das Land zu bringen, und mittels dieses Taues wurde dann ein Rettungsboot trotz der heftigen Brandung von der Küste an das Schiff und von dem Schiffe an die Küste gezogen. Auf diese Weise gelang es auch, die ganze Mannschaft und sämmtliche Passagiere zu retten. Als sich Alle am Lande befanden, wurde von Raaen und Segeln ein Zelt aufgebaut, das zwar nichts weniger als Bequemlichkeit, aber doch einigen Schutz für die ganze Gesellschaft gewährte. Die Passagiere waren, 120 an der Zahl, deutsche Auswanderer, meist ziemlich bemittelte Leute, die von ihrer Habe freilich wenig oder nichts gerettet hatten, aber für die Erhaltung ihres und der Ihrigen Leben dem muthigen Holmes aus tiefstem Herzensgründe dankten.




Ein Abenteuer Lord Byron's

Der Aufenthalt Lord Byron’s in Venedig ist bekannt, sammt den mancherlei Extravaganzen, deren Grund in seiner Eigenthümlichkeit lag. Die nachfolgende Begebenheit ist wohl im Allgemeinen weniger bekannt.

Lord Byron war, als guter Sohn Albions, ein Freund der See, und wenn er sich eine Zeit lang in Gallerien, Sammlungen, Bibliotheken, Palästen und auf der Piazzetta herumgetrieben, war ihm die Fahrt auf den stagnirenden Kanälen Venedigs so zuwider, daß er ein wahres Heimweh nach der See und ihrem belebenden, frischen Athem oder einem Bade in ihren Wellen hatte.

Alle Seeleute Venedigs kannten ihn so gut, wie die Gondoliere, und wenn er nach einem Boote rief, waren zehn zu seiner Verfügung. Seine Freigebigkeit hatte ihm bei dieser Sorte von Leuten einen so klangvollen Namen gemacht, wie seine Poesie in höhern Kreisen.

Die kleine Insel Sabioncello, nahe bei Ragusa, war sein Lieblingsplätzchen, wohin er sich, begleitet von der Gräfin Luiccolli und einigen Freunden, gar oft in einer Barke begab, geführt von einigen bewährten Seeleuten. Die Gräfin zeichnete dann, jeder der andern Begleiter that, was ihm beliebte, und Lord Byron setzte sich im Schatten eines Baumes nieder und schrieb, was ihm sein Genius eingab. Das war aber nicht der ausschließliche Zweck solcher Fahrten. Im Bereiche der dalmatinischen Küsten, näher oder entfernter dem Lande, liegen kleine, grüne, mitunter bewaldete Inselchen. Auch diese waren häufig das Ziel der Lustfahrten Lord Byron’s und seiner Freunde, um dort zu jagen und zu angeln.

Die Insel Grossa minore ist fast nur eine Klippe, gar nicht bewaldet, an einigen kleinen Stellen nur mit Büschen bewachsen und spärlich mit Grün bedeckt, die etwa eine halbe englische Meile lang, und auch nicht breiter ist. In der Mitte der Insel befindet sich eine schöne klare Quelle, um die herum einige Büsche so hoch aufgeschossen sind, daß sie dürftigen Schatten gegen die glühenden Sonnenstrahlen bieten können. Die kleine Gesellschaft beschloß einst hier Mittag zu halten, vorher aber die Fische zum Mahle selbst zu fangen. Das Meer ist bei Grossa minore sehr fischreich. Es währte daher nicht lange, so hatten sie eine hinlängliche Anzahl gefangen. Die Schiffer waren beschäftigt gewesen, dürres Holz zu lesen, mit dem sie nun ein Feuer anfachten, damit die köstlichen Fische zum Mahle bereitet werden konnten. Nie hatte es der Gesellschaft besser gemundet, als hier in der frischen Morgen- und Seeluft, und nach mehreren froh verlebten

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