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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

gerade, warum, wie Schiller sagt, selbst Götter vergebens mit der Dummheit kämpfen, weil letztere sich durch Belehrung in ihrem Dünkel und Dunkel bestärkt. Wer recht dumm und eingebildet ist, (Beides ist stets beisammen) denkt, wenn er Jemanden gescheidt sprechen hört und ihn belehren will: „Bei mir kommt der schön an! Ich bin nicht der Mann, sich etwas weiß machen zu lassen.“ Und so geht er viel stärker und steifer in seiner Dummheit von dem Gescheidten und schimpft ihn wohl noch gar aus, daß so ein Mensch klüger sein wolle.

So ist’s in Herat. Und ganz aus demselben Grunde kämpfen auch in Europa Götter und Doktoren vergebens gegen die echte, ein- und ausgebildete Dummheit. Wer etwas lernt, weiß immer schon viel, beinahe so viel, wie Sokrates, der auf der höchsten Spitze seiner Weisheit nichts so sicher wußte, als daß er nichts wisse, oder wie Faust, der, nachdem er alle Wissenschaften mit heißem Bemühen durchstudirt hatte, ausrief:

„Und sehe nur ein, daß wir nichts wissen können.“
Nicht wissen ist Wissenschaft, sondern lernen, lernen bis
in alle Ewigkeit.

Ferrier wurde bei aller Auszeichnung in Herat als geheimer Diplomat und Besitzer des Steines der Weisen, des Teufelswassers u. s. w. auch sehr gequält und stets ohne Ausnahme scharf bewacht. Yar Mohamed nannte ihn endlich, nachdem er vergebens alle List und Ränke angewandt, ihm die Geheimnisse und den Stein der Weisen zu entlocken, „Busior puukhti“ („gut gekocht“) einen „mit allen Hunden gehetzten Diplomaten.“ Sertip Lal Mohamed, ein hoher Beamter, in dessen Hause er wohnte und bewacht ward, suchte ihm die Gefangenschaft so angenehm als möglich zu machen und ließ Abends Wein und Bajaderen zu Tanz und andern Belustigungen holen. Wein und Weiber sollten ihm die vermeintlichen Geheimnisse und den Stein der Weisen entlocken, aber der Franzose blieb standhaft und enthaltsam, während die hohen muhamedanischen Herrschaften den koranverbotenen Wein bis zur Besinnungslosigkeit genossen.

Die Schilderung dieser Einzelnheiten und seiner Audienz bei Yar Mohamed sind zu lang und umständlich für Mittheilung in einem übersichtlichen Artikel. Kurz er bekam endlich nach vieler Mühe Erlaubniß, seine Reise nach Lahore fortzusetzen – über Berge, Thäler, Wiesen und Weiden, an Zeltenstädten und Nomadenlagern vorbei, durch Wüsten und Einöden – aber voller Abenteuer für ihn. Endlich kam er nach Balkh, der alten Hauptstadt des einst glorreichen Persiens, glorreich und blühend, als Alexander der Große vor mehr als zwei Jahrtausenden triumphirend einzog, später aber von den mongolischen Verwüstern und Eroberern Dschingis Khan und Timur zerstört, aber immer noch „die Mutter der Städte“ genannt. Obgleich sie jetzt nicht florirt, blühen doch die Gärten und Wiesen um sie her desto üppiger. Aus seinem Zuge über das Paropamisus-Gebirge durch die nomadisirenden Hasarah-Tartaren hindurch bis in die Nähe von Kabul können wir ihm nicht folgen, da der Weg zu lang und für uns mit zuviel kleinen Einzelnheiten bedeckt ist, die wir nur auf vielen kostbaren Spalten wiedergeben könnten.

Wir erwähnen nur, daß die Hasarah-Tartaren in Ferrier den ersten Europäer sahen, daß dieser unweit Kabul unter Stämme kam, die mit einander Krieg führten und ihn nöthigten, umzukehren oder auf einem Umwege (über Kandahar) vorwärts zu kommen. Auf diesem Umwege gerieth er unter die Seherais, einen heidnischen Tartarenstamm von patriarchalischer Einfachheit, Republikaner mit Haut und Haar und von undenklichen Zeiten her. Diese kleine Heidenrepublik mitten unter den grausamsten Despotien ist merkwürdig genug, so daß wir Ferrier darüber sprechen lassen.

„Die Seherais sind der Bedeutung ihres Namens nach „Bewohner der Ebene“ und bilden eine Republik, die nach ihrer eigenen Tradition folgenden Ursprung hat. Sie wurden von dem großen Eroberer Dschingis Khan hier übrig gelassen und haben seitdem die Unterjochungsversuche jedes Feindes tapfer zurückgeschlagen. Dies erschien mir sofort sehr glaubwürdig, da ihre fruchtbare Ebene, durch Berge und Wüsten geschützt, sehr schwer zugänglich ist und ihnen der Boden Alles liefert, was sie in ihrer patriarchalischen Einfachheit und Härte brauchen. Sie haben etwas von dem Islam gehört und schwören zuweilen bei Ali und dem Propheten Mohamed, verehren aber, wie die alten Perser, einen Gott des Guten und des Lichts, Khoda (Gott) und einen Beherrscher des Bösen und der Finsterniß, Shaitan (Satan). Sie beten niemals, halten kein Thier für unrein und essen Alles. Fern von Civilisation und Städten leben sie natürlich, hart und wild, was uns Civilisirten zuerst widerlich erscheint, aber bald angenehm wird, wenn man sieht, wie gesund, kräftig, anspruchslos, zufrieden und glücklich sie in ihrer König-, Kultur- und Steuerlosigkeit sind.“

Ferrier ward von dem Präsidenten dieser Republik, Timur Beg, rauh, aber herzlich empfangen. Ein Dreißiger, beinahe bartlos, kurz, aber in jeder Muskel ein Herkules. Er ließ ein Mahl bereiten, das trefflich mundete, eben so der Apfelwein, in welchem sich der Herr Präsident so gütlich that, daß er bald zusammenfiel und fürchterlich schnarchte. Jetzt zog sich Ferrier mit seinen Begleitern zurück, begleitet von den Damen, die bei Tische aufgewartet hatten. „Die Aufmerksamkeit dieser Damen ging weiter,“ schreibt Ferrier, „als ich irgendwo erlebt hatte. Erst wuschen sie uns die Füße und dann nöthigten sie uns zu einer Generalwäsche. Kurz sie wuschen und badeten und bürsteten uns auf das Sorgfältigste vom Kopfe bis zum Fuße, und zwar auf die ungenirteste Weise mit der größten Unbefangenheit. Die mir zur Aufwartung gegebene Dame ließ mir keine Ruhe vor lauter Aufmerksamkeit und obgleich ich stets allen Sitten und Gebräuchen, unter welche ich kam, Genüge leistete, bat ich sie doch am folgenden Morgen, ihren neuen Versuch, mich zu scheuern und zu bürsten, gefälligst aufzugeben und mich lieber noch ein Bischen schlafen zu lassen. So kam ich diesmal davon. Ich glaubte, mir sei diese Ehre allein zu Theil geworden. Aber hernach klagte mir mein Diener, daß ihn die Damen ebenfalls tüchtig gescheuert und selbst des Präsidenten Tochter geholfen habe. Diese Sitte erstreckt sich in Div pissar (dem Hauptorte der. Republik) auf alle gastfreundlich aufgenommenen Freunde als Pflicht aller Damen.“

Später wurde ihm freilich der Kopf ganz anders gewaschen. Bald nach seinem ersten Versuche, wieder vorwärts zu kommen, ward er arretirt und nach Herat zurücktransportirt, dann auf einem andern Wege wieder aufgehalten, von Ort zu Ort escortirt, in Gefängnisse geworfen und mißhandelt, von einem andern Stamme wieder einmal wie ein Gott angebetet u. s. w., so daß er eine Menge der seltsamsten Dinge, Menschen und Zustände, von denen wir bisher nichts wußten, genau kennen lernte und uns damit bekannt macht. So lesen wir merkwürdigere Geschichten in seinem Buche, als je in einem Romane vorkommen, von Turcomanen, Usbeken und Beludschen, ihren Bazars, Kaffeehäusern, Lagern, Reisekaravanen, Festungen, Palästen, Gefängnissen, Hirten und Schäferinnen, Soldaten, Zigeunern, Gaunern und Räuberbanden und allen möglichen seltsamen Lebensverhältnissen der Völker, die sich vom arabischen Meere und persischen Meerbusen bis zu den chinesischen Gebirgen ausdehnen. Mehrere dieser Völker und Stämme wurden bisher noch von keinem Europäer besucht und beschrieben, so daß das Buch außer seinen sonstigen Verdiensten auch in geographischer und ethnographischer Beziehung einen großen Werth hat. Manche Erlebnisse unter diesen Völkern klingen so fabelhaft, daß wir Bedenken tragen würden, daran zu glauben, wenn sie nicht von einer so guten Autorität kämen. Hören wir von den Beludschen:

„Die Bewohner von Beludschistan haben wegen der Nähe des Meeres Manches von Europäern gehört, aber so mit Aberglauben und Barbarei gemischt, daß nichts von unserer Civilisation daran wieder zu erkennen ist. Im Wunder über unsere Macht, Intelligenz und Reichthümer glauben sie nicht nur steif und fest, daß wir Gold machen könnten, sondern auch unsere Körper, Kleider, Meubels und Häuser dieses kostbare Metall enthalten. Ein englischer Arzt, Forbes, wagte sich vor einigen Jahren allein unter die Beludschen und bis in die Residenz des Khans Ali, Namens Nassuur. Der Khan ermordete ihn im Schlafe und hing dessen Körper vor seinem Zelte auf, wo er ihn unaufhörlich waschen und abspülen ließ.

„Ihr werdet sehen,“ sagte er zu seinem Volke, „daß dieser Hund von einem Ungläubigen sich bald in lauter Gold verwandeln wird.“

„Nachdem er den todten Körper 14 Tage lang gewässert und gewaschen hatte, ohne zu seinem Erstaunen Gold daraus werden zu sehen, ließ er das Wasser, womit der Gemordete gewaschen worden war, kochen, um das Gold durch Hitze auszutreiben. Als

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 527. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_527.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)