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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Der Bediente ging wieder; schnell kehrte er zurück.

„Die gnädige Frau erwartet den gnädigen Herrn in spätestens einer Stunde. Sie bedauert zugleich, den Herren nur dieses Zimmer anweisen zu können; außer den Familienstuben ist im Schlosse kein Zimmer geheizt.“

„Ich bin der gnädigen Frau verbunden.“

Der Bediente entfernte sich. Der Präsident wandte sich an mich.

„Ich erlaube mir jetzt, Sie von dem Gegenstande unseres Geschäfts in Kenntniß zu setzen. Der Domainendirektor von Grauburg verwaltet eine bedeutende Kasse, in der die Einnahmen der Domainenrentmeister des Bezirks zusammenfließen. Es sind schon seit einiger Zeit Anzeigen einer unordentlichen Verwaltung geeigneten Orts angebracht. Gestern hatte der Herr von Grauburg in der Stadt eine erhebliche amtliche Einnahme. Unmittelbar darauf hat er im Spiele eine große Summe Geldes verloren. Das Regierungspräsidium, dem hiervon die Anzeige wurde, mußte daraus Veranlassung zu einer außerordentlichen Kassenrevision nehmen. Bei der Wichtigkeit der Sache, bei dem dringenden Verdachte einer Veruntreuung, mindestens einer großen Unordnung, die eine gerichtliche Untersuchung hervorrufen könnte, erscheint es zugleich erforderlich, den Thatbestand sofort unter gerichtlicher Mitwirkung zu erheben. Daher Ihre Zuziehung, Herr Rath, zu den Verhandlungen, die wir nunmehr beginnen werden.“

Wort für Wort, was ich geahnt, was ich gewußt hatte.

„Darf ich mir vorher eine Frage erlauben, Herr Präsident?“

„Was wünschen Sie?“

„Von wem ist Ihnen die Anzeige des Spielverlustes des Herrn von Grauburg geworden?“ Ich warf einen durchdringenden Blick auf den Doktor Feder.

Der Mensch erblaßte, und unterbrach den Präsidenten, der mir antworten wollte.

„Gehört das zur Sache?“ fragte er.

Ich antwortete nicht, und hielt mich nur an den Präsidenten.

„Ich weiß nicht, Herr Präsident, wie weit Sie Ihrem Secretair das Recht eingeräumt haben, statt Ihrer zu antworten. Jedenfalls kann dadurch mein Recht nicht beeinträchtigt werden, meine Instruktion wie meine Information nur von Ihnen zu erhalten.“

Der Präsident zeigte sich mehr und mehr als ein eben so schwacher und unwissender, wie vornehmer Mann. Es gibt sehr viele solche Präsidenten. Der anmaßende Polizeiagent durfte gegen ihn doppelt anmaßend sein. Der Präsident wurde doppelt verlegen.

„Was bedürfen Sie noch zu Ihrer Information?“

„Den Namen des Denuncianten gegen den Herrn von Grauburg.“

„Aber wozu das, mein Herr?“

„Herr Präsident, räumen Sie mir das Recht ein für ein Verfahren, dem ich durch mein Mitwirken gerichtlichen Glauben verschaffen soll, vollständige Aktenkenntniß zu verlangen?“

„Ich kann Ihnen das nicht bestreiten.“

„So bitte ich um Antwort, oder um Mittheilung der schriftlichen Denunciation.“

Der Präsident konnte mir nicht mehr ausweichen. Er zögerte noch. Der Doktor Feder nahm die volle Frechheit des geheimen Polizeiagenten zusammen.

„Ich war es, der sich zu der Anzeige verpflichtet hielt.“

„Ist der Doktor wirklich der Denunciant, Herr Präsident?“

„Von ihm rührt die Anzeige her.“

„Ein Denunciant ist Ankläger, gar geheimer Ankläger; er kann nicht zugleich amtlich in der Sache verhandeln.“ Der Präsident wurde wieder blos vornehm.

„Das habe ich zu verantworten, Herr Rath.“

„Bitte um Verzeihung; ich habe hier darüber zu wachen, daß keine Ungesetzlichkeit des Verfahrens vorgenommen wird. Ich werde auf keinen Fall hier amtlich mit dem Herr Doktor Feder wirken.“

Ich war unbestreitbar in des Gesetzes und in meinem vollen Rechte. Auch der Doktor Feder sah das ein.

„Gut,“ sagte er. „Herr Präsident, ich werde Ihnen keine Verlegenheiten bereiten, und verzichte auf das Führen des Protokolls; dieser Herr wird dadurch seinen Zweck nicht erreichen, wenn er, wer weiß, aus welchen Gründen, das Geschäft der hohen Commission vereiteln will. Der Herr Regierungskassenrath kann das Protokoll führen.“

„So ist es,“ bestätigte der Kassenrath.

Ich war indessen noch nicht zufrieden mit der Demüthigung, die ich dem Menschen bereitet hatte. Ich leugne es nicht, meine Seele war erfüllt von Haß gegen den Bösewicht, der das Glück einer Familie vernichten wollte.

„Herr Präsident, ich muß Sie auch noch um die Entfernung des Herrn Doktor Feder bitten.“

„Herr Rath, Sie werden anmaßend.“

„Wenn ich es bin, so bin ich es für das Gesetz. Das Gesetz kennt und duldet keine amtlichen Verhandlungen in Gegenwart Dritter; über die Zuziehung und Zulassung von Zeugen und Denuncianten existiren sogar specielle Vorschriften.“

Es war mir wieder nichts einzuwenden. Der Präsident konnte nur etwas kleinlaut sagen:

„Aber, mein Herr, Sie haben gehört, daß kein anderes Zimmer im Schlosse geheizt ist. Wohin soll er?“

„Ein Bedientenzimmer wird geheizt sein.“

Der Polizeispion zitterte vor Wuth.

„Noch hat hier die amtliche Verhandlung nicht begonnen,“ sagte er.

„Ist das auch Ihre Meinung, Herr Präsident?“ fragte ich rasch, indem mir plötzlich ein Gedanke einkam.

„Gewiß.“

„So darf ich mich beurlauben, bis die amtliche Verhandlung beginnt. Ich bitte, mich, wenn Sie anzufangen befehlen, aus dem Zimmer der gnädigen Frau rufen zu lassen; ich habe mit ihr zu sprechen.“

Die Wuth des Doktor Feder verwandelte sich in Hohn.

„Ah, das war es! Durchschauen Sie den Plan, Herr Präsident?“

„Herr Rath,“ rief der Präsident, „Sie werden Ihres Amtseides eingedenk sein.“

„Ich bin kein Verräther.“

Ich verließ das Zimmer, und die drei Herren blieben allein. Mochten sie unter der Glut ihres Zornes ausschwitzen, was sie wollten. Eine ungesetzliche Maßregel, die sie beschlossen oder ausführten, brauchte ich ohnehin nicht anzuordnen, einer gesetzlichen konnte ich nicht entgegentreten; auch nicht, wenn eine gewaltsame Erbrechung der Kassenstube und der Kasse vorgenommen wurde. Sie waren in ihrem vollen Rechte, da der Domainendirektor sich entfernt und die Schlüssel nicht zurückgelassen hatte. Es drängte mich zu etwas Anderem. Ich mußte die unglückliche Frau sehen und zugleich versuchen, ob ich in irgend einer Weise retten könne, ohne den Pflichten meines Amtes untreu zu werden. Wie? darüber war ich allerdings selbst noch im Unklaren.

Ich trat in die Halle, an der das Zimmer lag; sie war schwach durch eine Flurlampe erleuchtet. Ich suchte einen Bedienten, um mich bei der Frau des Hauses anmelden zu lassen, fand aber Niemanden, und öffnete daher auf gut Glück eine Thür, welche in eine erleuchtete Stube führte. Eine Dame trat mir entgegen.

„Sie sind es?“ rief sie mir entgegen.

Die Frau von Grauburg stand vor mir, aber nicht mehr die schöne Therese und stolze Präsidententochter; sie war alt geworden und konnte wohl kaum dreißig Jahre zählen; ihre Gestalt war zusammengefallen und erschien mir wie eine Frau tief in den Vierzigen, die dieses Alter unter Gram und Sorgen erreicht hat. Ihr bleiches Gesicht hatte sich belebt, als sie mich erkannte. Meine Anwesenheit, die sie nicht geahnt hatte, schien sie mit einer plötzlichen Hoffnung zu erfüllen.

„Sie hier? Mir fällt ein schwerer Stein vom Herzen.“

Ich konnte, ich durfte ihr keine Hoffnung machen.

„Leider bin ich hier.“

Ihr Gesicht wurde bleicher, als es vorher gewesen war.

„O Gott! Sie sind Criminalbeamter!“

„Ich bin es. Aber fassen Sie Muth, Therese; lassen Sie uns überlegen; ich werde Alles thun, was ich, ohne meine amtliche Pflicht zu verletzen, verantworten kann; davon seien Sie überzeugt.“

„Das bin ich. Aber wer sind die Herren, die mit Ihnen hier sind?“

„Die Kassenbeamten der Regierung.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 519. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_519.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)