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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

No. 39. 1856.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.

Weihnachts-Heiligerabend.
Vom Verfasser der „neuen deutschen Zeitbilder.“
(Schluß.)

Maria Gamkow war gleichfalls keinen Augenblick ungewiß darüber, daß es sich um ein großes Unglück für ihre Freundin handle. Sie vergaß ihren eignen Schmerz.

„Wie helfen wir? Auch ich bin ohne Geld; mein Vater kann über die erforderliche Summe nicht verfügen.“

„Sie sprachen von einer Erbschaft Theresens, die sie täglich erwarte?“

„Einen Theil derselben.“

„In baarem Gelde?“

„In Banknoten.“

„Sie sind wie baares Geld. In welcher Weise erwartet sie die Zusendung?“

„Mit der Post. Es wäre möglich, daß sie schon angekommen ist.“

„Wie weit ist Vornholz von hier?“

„Drei Meilen.“

„Fräulein, schreiben Sie ein paar Zeilen an Therese – oder nicht an sie; sie würde sich zu viel ängstigen und vielleicht ohne Noth. Schreiben Sie an Grauburg zwei Zeilen, daß er noch heute einen amtlichen Besuch zu erwarten habe, er möge sich darauf vorbereiten. Das wird genügen. Senden Sie ihm den Zettel durch einen reitenden Boten; ich werde Reise und Geschäft so viel als möglich aufhalten; unterdeß kann er zur Post und wenn er dort nichts findet, zu einem Banquier eilen.“

Sie schickte sofort nach einem Boten, und schrieb das Billet.

Ich verließ langsam ihre Wohnung. Beim Abschiede hatte sie mir noch gesagt, daß der Vicepräsident der Regierung, der Chef der Commission, zu den erbittertsten Feinden des Herrn von Grauburg gehöre, die dieser sich früher durch seinen Uebermuth zugezogen.

Ich fand bei dem Präsidenten den Kassenrath der Regierung und den Doktor Feder. Der Präsident hatte das Aussehen eines vornehmen Ladestocks; der Kassenrath sah aus, wie ein alter zu einem Menschen gewordener Silbergroschen, klein, dünn, abgeschabt, das Gesicht von schmutzigem Kupfer und grauer Silberplattirung; der Doktor Feder glich vollständig einer tückischen Katze. Hätte ich noch einen Zweifel über das Geschäft der Commission haben können, durch den Anblick dieser drei Personen wäre er mir gelöst worden.

„Sie kommen sehr spät, Herr Rath,“ empfing mich ziemlich vornehm der Präsident.

Die Impertinenz ärgerte mich.

„Ich stehe erst von diesem Augenblicke an unter Ihrem Befehle, Herr Präsident.“

Er erwiederte nichts, sondern forderte uns nur auf, ihm zu folgen; zu welchem Geschäfte, sagte er nicht, ich hatte auch keine Lust, ihn danach zu fragen. Vor der Thür standen zwei angespannte Reisewagen und neben jedem ein Regierungsexecutor. Der Präsident stieg in den einen Wagen, zu ihm setzte sich der Kassenrath. Zu mir sagte er: „Ich bitte in dem zweiten Wagen Platz zu nehmen, mit dem Herrn Doktor Feder.“

Ich wurde ärgerlicher.

„Herr Präsident, gehört der Herr Doktor Feder zu der Commission?“

„Ja.“

„In welcher Eigenschaft?“

„Wozu die Frage?“

„Darf ich um Antwort bitten?“

Er besann sich.

„Er begleitet die Commission als Secretair.“

„Herr Präsident, ich vertrete bei der Commission die Justiz, und bin außerdem, was meine Person anbetrifft, nicht gewohnt, mich mit Subalternbeamten zusammenwerfen zu lassen.“

Der Kassenrath entsetzte sich, der Demagogenfänger wurde leichenblaß, der Präsident feuerroth.

„Sie wollen nicht mit dem Herrn Doktor fahren?“

„Nein.“

„In meinem Wagen ist kein Platz mehr.“

„Herr Präsident, ich muß Ihren Anordnungen Folge leisten, aber nur so weit Gesetz und Anstand es mir gestatten. Es ist mir nicht anständig, von Ihnen auf gleiche Linie mit einem Ihrer Subalternbeamten gestellt zu werden.“

„Der Herr Doktor Feder ist kein Subalternbeamter.“

„Er versieht heute bei der Commission einen Subalterndienst.“

Der Präsident wurde verlegen. Keiner der beiden Wagen hatte einen Rücksitz; es konnten jedesmal nur zwei Personen darin sitzen. In seinem Wagen konnte er nach dem Vorgefallenen mich nicht aufnehmen; mit dem Doktor schien er gleichfalls nicht fahren zu wollen; andererseits drängte ihn Eile.

„Ich werde mich über Sie beschweren, Herr Rath.“

„Zu einer Beschwerde haben Sie immer das Recht, Herr Präsident.“

„Sie sind unter meine Befehle gestellt; Sie verfahren subordinationswidrig.“

„Ich werde mein Verfahren verantworten.“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 517. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_517.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)