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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Lieben und Leben in Persien.

Kennst Du das Land, wo die Rosen von Schiras heißen rothen Liebesduft für die Nachtigallen glühen, jene Ebenen ewiger Sonnenglut und die Gebirgshäupter ewigen Schnees, den alten zoroaster'schen Kampfplatz zwischen dem Lichtgotte Ormuzd und dem Beherrscher der Finsterniß Ahriman, von wo einst vor anderthalb Jahrtausenden Cyrus und Cambyses und Darius Hystaspis und Xerxes drei Welttheile eroberten, über deren Weltreich der große Alexander erobernd und zerstörend hinzog, und über dessen Weltreich wieder andere Eroberer hinzogen, und so ein Reich über das andere begruben, bis endlich das lebendige Grab aller dieser Kulturen und Völker, das jetzige Persien, das Land unendlicher Liebe und unaufhörlichen Borgens und Bettelns, übrig blieb? Niemand kennt es, denn es gehen keine Chausseen und Schlagbäume, keine Paßbureaux, keine Flüsse und Kanäle, keine Eisenbahnen, nicht einmal Feldwege hindurch. Man kann hundert Meilen ohne Weg, ohne Wasser, ohne Grashalm auf glühendem Salze hinwandern, ehe man eine schattige Stelle, einen dunkeln, frischen Gebirgspaß mit Blumen und Leben findet. Aber dann ist das Leben auch Tod. Aus den Schluchten stürzen Räuber hervor und pumpen Dich höflich an, und schlagen Dich dann todt, weil sie Niemandem etwas schuldig sein wollen. Die Sitte des Pumpens, ohne je wieder zu bezahlen (womit man sehr viel Geld verläppern kann), ist überhaupt die herrschende in Persien. Zwar herrscht auch ein Schach, der sich aber gegen Schach-Matt nur dadurch wehrt, daß er als wirklicher Vater seiner Landeskinder dieselben fortwährend anpumpt, um sich ernähren zu können. Die Landeskinder pumpen sich das Geld für ihren gemeinschaftlichen Vater ebenfalls, und so ist das jetzige persische Leben ein ewiges Pumpwerk ohne Wasser. Warum gingen alle die weltbeherrschenden Reiche, die von Persien und dem Oriente aus erobert wurden, so schnell hintereinander wieder unter? Wegen des ewigen Pumpens, bis das Wasser alle war, wegen des unersättlichen Durstes der Soldaten und Satrapen, auf welche sich die Herrscher verließen. Ich denke bei solchen Militär- und Satrapenwirthschaften immer an den, weisheitlichen Fibelvers, den ich schon im fünften Jahre aus meinem A-B-C-Buche lernte und nie wieder vergessen habe:

„Xerxes verließ sich auf sein Heer;
Darauf ward er geschlagen sehr.“

Thronzimmer des Schach von Persien.


Er wurde sogar ermordet, der große Perserkönig Xerxes, nachdem er an der Spitze eines Weltreiches und einer Million Soldaten von einem Häuflein Griechen fünf-, sechsmal total geschlagen worden war. Er wurde ermordet und seine Nachfolger wurden ebenfalls alle ermordet.

Was hilft es jetzt dem Schach von Persien, daß er in des Wortes verwegenster Bedeutung Landesvater ist? Er ist und bleibt matt, und muß sich stets an das starke Rußland lehnen und von ihm leihen, bis er verfallen ist. Die Engländer, welche gern einen bequemen, sichern Landweg nach Indien über Persien haben möchten, sehen diesem Verfalltage mit großer Besorgniß entgegen, und möchten gern mit ihrer allmächtigen Flotte dazwischen fahren, wenn nur das Wasser in Persien nicht zu knapp wäre. Ohne Wasser hilft ihnen die Flotte nichts. Aber Wasser thut’s freilich auch noch nicht. Das Unten muß ein Oben, einen Kopf haben. Für die englische Flotte fehlt es aber seit langer Zeit an einem Kopfe. So haben sie’s seit langer Zeit auf trocknem, d. h. diplomatischem Wege versucht, den Russen in Teheran, der Residenz des persischen Landesvaters, den Rang abzulaufen. Aber es ging bis jetzt nicht. Die Köpfe der englischen Aristokratie, der geschlossenen Regierungskaste, werden erwiesener Maßen immer kleiner und verlieren sich mit der Zeit wohl ganz und gar, so daß die rothen Republikaner, welche sie ihnen abschlagen wollen, am Ende gar nichts abzumähen finden; während sich Rußland ohne alles Ansehen von Geburtsschein und Nationalität aus allen Ständen und Nationen fortwährend mit den tüchtigsten Köpfen versieht, und sie in Staats- und gelehrten Sachen tüchtig anstellt, bezahlt, und für seine Zwecke Früchte treiben läßt. Unter diesen Umständen können die Engländer mit ihren verschwindenden Kasten-Köpfen und zusammenschrumpfenden, exclusiven Gehirnkasten auch am, Hofe von Teheran nichts ausrichten.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 502. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_502.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)