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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

und Räthen der Collegien, deren Mitglieder oder gar Subalternbeamte sie nur waren.

Sie führten fast in der ganzen Monarchie ein und denselben Spottnamen; man nannte sie „Demagogenfänger.“

Ich war seit ungefähr acht Tagen an dem Orte meiner neuen Bestimmung. Bei meiner Ankunft hatte ich eine große Menge Amtsgeschäfte vorgefunden, Rückstände meines Amtsvorgängers. Stadt, Gegend und Menschen hatte ich daher noch wenig kennen gelernt. Von den letzteren beinahe nichts als meinen Präsidenten und Kollegen, die ich in der Sitzung des Gerichtshofes gesehen, und denen ich die üblichen Besuche gemacht hatte; dabei lernte ich kaum die Gesichter unterscheiden. Es bestätigte sich auch dort ein Vergleich eines Bekannten, der zu sagen pflegte: „Kommen Sie einmal in eine Gesellschaft deutscher Beamten und deutscher Gelehrten, und sehen Sie sich die Gesichter an; es wird Ihnen jedesmal sein, als wenn Sie in eine Schüssel mit getrocknetem Obst sehen; Sie können nicht einmal unterscheiden, ob Sie vertrocknete Aepfel, Birnen oder Pflaumen vor sich haben.“

Außerdem hatte ich flüchtig ein paar junge Assessoren kennen gelernt, mit denen ich an der gemeinsamen Tafel des Gasthofes speisete.

Ich sollte Alles, was zur Gesellschaft des Orts gehörte, mit einem Male, wenn auch nur sehr äußerlich, kennen lernen.

In dem Städtchen war eine „Kasinogesellschaft,“ die im Winter alle vier Wochen einen großen Ball gab. Es war einer dieser Bälle. Ich hatte mich noch nicht in die Gesellschaft aufnehmen lassen. Der erste Präsident des Gerichts hatte mir trotzdem eine Einladungskarte zu dem Balle geschickt; ich mußte hingehen, und machte dem Präsidenten und seinen Damen mein Kompliment, und mischte mich dann in die Gesellschaft, um mir dieselbe zu besehen.

Es war wirklich eine glänzende Gesellschaft in dem prachtvoll hergerichteten Lokale. Man sah, daß die hier an einem entlegenen Ende der Monarchie versammelte Welt, wenigstens zu einem großen Theile, in den Cirkeln der Residenz sich bewegt hatte. Toilette und Haltung der Damen wie der Herren von Civil zeigte das; die Uniformen und die Tournüre der Offiziere müssen ja auf Commando aus der Residenz geholt werden.

Einer von meinen Wirthshausbekannten nannte mir die Namen der Anwesenden, und theilte mir ihre Geschichte wie ihre Verhältnisse mit. Es war meist eine Skandalchronik. Junge Frauen der Räthe mit den vertrockneten Obstgesichtern und junge Kavallerielieutenants spielten eine Hauptrolle darin. Sodann ein paar Adjutanten, die von den schmachtenden Augen der Frauen ihrer corpulenten Vorgesetzten mit einer fast mehr als militairischen Strenge gegen jeden Blick auf hübsche „Civilisten“-Frauen und Töchter bewacht wurden.

Mein Berichterstatter wurde unterbrochen. Die muntere Laune der ganzen Gesellschaft in unserer Nähe schien auf einmal gestört zu sein. Es entstand plötzlich eine fast unheimliche Stille um uns, freilich nur auf kurze Zeit.

In unsere Nähe war ein Herr getreten, den ich vorher noch nicht bemerkt hatte. Es war ein Mann etwa in der Mitte der dreißiger Jahre; er war ziemlich wohl gebaut. Sein Gesicht machte einen desto unangenehmeren Eindruck; es hatte einen plumpen jüdischen Schnitt, stark gebogene, dicke Nase, aufgeworfene Lippen. Das war es aber nicht, was das Gesicht unangenehm machte; es war darin zugleich ausgeprägt der Ausdruck des unterwürfigen Kriechens gegen Höhere und des rohen Uebermuths gegen Niedere. Verrath und Tücke schienen in dem Auge zu lauern. Das Alles konnte mir nun freilich nur halb die unheimliche Stille erklären, die der Mann durch sein bloßes Erscheinen um sich her verbreitete. Ich sah ihn beobachtender an. Mein Berichterstatter bemerkte meine Neugierde.

„Haben Sie nie von einem Doctor Feder gehört?“

„Nein.“

„Auch nicht in B.?“

„Auch dort nicht.“

„Der Mann ist für unsere Provinz eine Berühmtheit.“

„Das will nicht viel sagen. Sie wissen, jedes Regiment hat den besten Reiter in der ganzen Armee, und doch weiß kaum das dritte Regiment von ihm.“

„Das ist wahr. Aber –. Freilich, jede Provinz hat auch solche Burschen.“

„Dieser ist?“

„Früher ein Jude, jetzt ein Christ.“

„Das heißt?“

„Sie wissen, der verstorbene Staatskanzler begünstigte die Juden. Herr Feder studirte, wurde Doctor der Philosophie, hoffte im Bureau des Staatskanzlers seine Carrière zu machen und blieb Jude. Der Staatskanzler starb; man wollte von dem Juden nichts mehr wissen; er wurde Christ. Man wollte auch von dem Convertiten nichts mehr wissen; er bot sich zu allerlei Diensten an und wurde lange Zeit zurückgewiesen; er wurde Literaturjude, versteht sich als Christ. Diesmal hatte er richtig spekulirt. Wir haben im Staate Leute genug, die einen vortrefflichen, unübertrefflichen Bureaustyl schreiben; aber die Regierung hatte keinen Menschen, der nur erträglich als Publizist auftreten konnte. Dieser Mensch bot seine publizistische Feder an; sie wurde angenommen ; er wurde nach der Hauptstadt geholt und dort in den verschiedenen Ministerien gebraucht, wenn Artikel für auswärtige Zeitungen zu schreiben waren. Nur für auswärtige, für den inländischen beschränkten Unterthanenverstand war der Bureaustyl gut genug; aber er wurde mager bezahlt, und durfte nicht einmal mit einer Miene andeuten, daß und wie er gebraucht wurde. Das behagte ihm auf die Dauer nicht. Er pochte auf seine Verdienste und drohete außer Landes zu gehen und dort die Geheimnisse zu verrathen, die man ihm oft hatte anvertrauen müssen. Er wollte selbst eine Zeitung gründen; die Regierung sollte ihm das Geld dazu geben, und man gab es ihm endlich. Nach anderthalb Jahren hatte seine Zeitung das Geld verbraucht und das Doppelte dazu. Kein Mensch wollte die Zeitung lesen, geschweige kaufen. Er forderte und drohete von Neuem und darüber kam vor etwa einem halben Jahre der jetzige Minister an das Staatsruder. Dieser hat ihn besser zu benutzen gewußt. Er wurde hierher versetzt.“

„Und er ist jetzt?“ fragte ich.

„Offiziell Regierungsassessor und im Geheimen Demagogenfänger.“

„Ach!“

„Er ist aber schon nicht mehr zufrieden. Er strebt nach etwas Höherem und ich fürchte, daß er sein Ziel erreichen wird.“

„Dieses Ziel?“

„Eine Domainendirektion, die mehr Geld einbringt. Er ist vor einigen Tagen von einer Reise nach der Hauptstadt zurückgekommen; soll dort viel denuncirt und intriguirt, und deshalb viel Hoffnung hierher zurückgebracht haben. Es spielen dabei eigenthümliche Verhältnisse mit; ich erzähle sie Ihnen ein ander Mal. Sehen Sie sich jetzt einmal jene Dame an, mit der der Bursche spricht.“

Ich sah mich um. Der häßliche, unangenehme Mensch stand im vertraulichen Gespräche mit einer jungen Dame, einem feinen, blassen, sehr leidenden Gesichte. Man konnte keinen auffallenderen Kontrast sehen, als dieses zarte, unglückliche Mädchengesicht, und diese plumpe, rohe, gemeine Physiognomie des Polizeiagenten. In den Bilderbüchern für Kinder findet man zuweilen das Bild eines großen, zottigen blutgierigen Fleischerhundes, gegenüber einem feinen, ängstlichen Lämmchen. Dieses Bild, passend oder nicht passend, kam mir bei dem Anblicke unwillkürlich in das Gedächtniß. Der Mensch schien, nach dem Ausdrucke seines Gesichtes, nur gleichgültige Worte mit der jungen Dame zu sprechen, vielleicht nur über den Ball, über die Toiletten der Damen oder dergleichen. Man konnte gleichwohl deutlich bemerken, wie sie ihm nur gezwungen, mit innerem Widerstreben zuhörte, und wie dieser Zwang sie unglücklich machte.

„Wer ist die Dame?“ fragte ich meinen Bekannten.

„Seine Verlobte.“

„Unmöglich!“

„Ist Ihnen unter Ihren Collegen der Geheimerath Gamkow aufgefallen?“

„Ich habe wenig auf ihn geachtet; er scheint sehr unbedeutend zu sein.“

„Das ist er. Die junge Dame ist seine Tochter. Sie ist desto ausgezeichneter an Geist und Herz.“

„Und dennoch die Braut dieses gemeinen Menschen?“

„Sie sehen, wie unglücklich sie ist. Ihr eigener Vater hat sie dazu gezwungen.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 495. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_495.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)