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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

sich, Alles um sich vergessend, dem vollen Genusse des Eindrucks hin, den die großartige Scenerie auf ihn machte.

Plötzlich weckte ihn ein gellender Schrei aus seinen stillen Beobachtungen und Betrachtungen, und ein Ruck des Kahnes, der das Hintertheil desselben herumwarf, und ihn mit seinem Breitbord dem Strome entgegenstellte; er erschrickt, blickt nach der Seite, woher der Ruck und Schrei kommt, und sieht seinen Bedienten verzweifelnd die Hände ringen und – das Haltseil – ihm entschlüpft. Die beiden Schiffer am andern Ufer strengen sich furchtbar an, den Kahn rückwärts und an dasjenige Ufer zu ziehen, auf dem sie ihren Posten haben; allein die Macht des Stromzuges übersteigt ihre Kraft; soll sie nicht das Seil in die Fluth reißen, so müssen sie es los und den Kahn und Sir Humphrey seinem Schicksale, nämlich mit dem Kahne in den Fall hinunter gerissen zu werden, überlassen. Vergeblich strengen sich die Starken an, den Kahn zu halten. Ihre Kräfte erlahmen; das Seil entgeht ihnen – und – der Kahn schwebt auf den aufbrausenden Wogen des Kammes, über den sich der Fluß hinabstürzt.

Denkt man sich in die Lage Sir Humphrey’s, so schwindelt es Einem auf ebener, trockener Erde! An ein Anderes, als mit dem Falle in das tiefe Becken hinabgeschleudert zu werden, wo dennoch, wie auch seit Jahrtausenden die wilden Wogen schlagen, lecken und peitschen, spitzige Felsen anstehen, war nicht mehr zu denken, wenn nicht ein kühner Sprung, riesige Kraft und außerordentliche Schwimmkunst rettet. Für dies Alles aber war es zu spät, denn mit furchtbarer Eile zieht das Wasser den Kahn dem brausenden Abgrunde zu. – Einen Augenblick hatte er selbst an diesen Rettungsversuch gedacht, aber ein Blick auf die außerordentliche Schnelle, Macht und Gewalt, womit der Wasserstrom nach der Tiefe zieht, überzeugt ihn, wie wenig das helfen kann.

Hören wir, wie er selbst mit kurzen, aber ergreifenden Worten seine Lage und Stimmung zeichnet:

„Also noch einen Blick nach dem heitern Himmel und der lachenden Erde unter dem Regenbogen; ein paar Worte des Gebetes an den Urquell des Lichtes und des Lebens – und einen Augenblick ungeheures Toben und Nacht, die mich umgeben!“

Begreiflicher Weise entschwand ihm schnell das Bewußtsein[WS 1]. –

Auf einer Sommerreise im untern Italien, gerade ein Jahr früher, als dies entsetzliche Abenteuer dem großen Naturforscher begegnete, saß er auf einem mächtigen Quadersteine, den eine stolze Pinie beschattete, und betrachtete in stummem Staunen die gewaltigen Ueberreste des Tempels von Pästum. Sir Humphrey war weniger Kenner als Freund der Alterthümer; weniger eingeweiht in die Regeln altgriechischer Architektur, als er ihre kolossalen und herrlichen Werke bewunderte. Dennoch wünschte er über Manches eine aufklärende, tiefer eingehende Belehrung und vermißte sie in diesem Augenblicke recht sehr schmerzlich. Da hielt unfern von ihm ein Wagen, aus dem ein Mann ausstieg, dessen Kleidung zwar unscheinbar, dessen Haltung und Wesen aber etwas imponirend Hohes hatten. Der Fremde grüßte leicht, aber sehr zuvorkommend, besah mit Ruhe die edlen Reste einer untergegangenen Welt und trat dann, von der stechenden Sonne belästigt, zu Sir Humphrey, mit der Bitte, im Schatten der Pinie, auf dem Steine neben ihm Platz nehmen zu dürfen. So entspann sich auf die einfachste und natürlichste Weise ein Gespräch, und der artige Fremde entwickelte einen reichen Schatz kunstgeschichtlicher und architektonischer Kenntnisse, denen Sir Humphrey um so freudiger das Ohr lieh, als sie ganz seinem Bedürfnisse und seinen Wünschen entsprachen. Die Unterredung, welche bald auch in Gebiete übergriff, die Sir Humphrey Davy in seltenem Umfange beherrschte, war ganz geeignet, anderseitig Achtung zu erwecken. Sie dauerte lange, denn die Sonne neigte sich schon zum Niedergange, als der Fremde sich erhob, kurz, aber mit artigen und anerkennenden Worten sich empfahl, in seinen Wagen stieg und den Blicken Sir Humphrey’s entschwand. Es ärgerte ihn baß, den Fremden nicht nach seinem Namen gefragt zu haben, indessen hoffte er ihn doch wiederzusehen, allein nirgend, wie lange er auch in Italien weilte, sah er ihn wieder. Lange blieb ihm die lehrreiche Unterhaltung im Gedächtnisse. Das Bild des Fremden prägte sich ihm tief ein. Als er ihn aber nicht wiedersah, drängten die wechselnden, den Geist so sehr in Anspruch nehmenden Ereignisse, Anschauungen und Eindrücke, welche ihn überall in Italien erfaßten und fesselten, auch diese Erinnerung in den Hintergrund.

Der Fremde, welcher Sir Humphrey Davy so sehr angezogen hatte, war niemand anderes, als König Ludwig von Baiern, damals noch Kronprinz, welcher sich in jenem Sommer in Italien aufhielt, und seine reichen Kunstschätze studirte und sammelte.

Im folgenden Sommer war der kunstliebende Prinz nicht in Italien, wohl aber machte er eine Reise in die Hochlande Baierns und die angrenzenden Berggebiete Oesterreichs. Auf dieser Reise kam der Prinz gerade zu der Zeit, als Sir Humphrey und sein Neffe oberhalb des Traunfalles angelten und sich vergnügten an der reizenden Landschaft, unter dem Falle der Traun an, um Lachse zu angeln, die hier sehr häufig sind.

Es ist eine den Lesern bekannte Eigenthümlichkeit des Salms oder Lachses, daß er aus dem Meere in die Flüsse und Ströme steigt und von da selbst bis in die Quellgebiete derselben, in die kalten, seichten Bergbäche, um dort zu laichen. Kein Hinderniß ist schier im Stande, den Fisch in diesem instinktiven Wandern aufzuhalten. Er hat in seinem Schwanze eine so immense Muskelkraft, daß er sich über jede Stromschnelle, jedes Währ hinausschnellt und selbst die Fluthenmacht des Rhein- und des Traunfalles überwindet. Oft freilich macht er den Versuch, sich darüber hinwegzuschnellen, zwanzig bis dreißig Mal; wird allemal wieder zurück in das wirbelnde Becken des Falles geschleudert und sammelt immer wieder neue Kraft, um den mächtigen Schwung noch einmal zu versuchen, bis er endlich gelingt oder der Fisch ein anderes Nebengewässer aufsucht, das seinem Triebe genügt. So findet es sich denn, daß die mächtigen Lachse, welche aus dem schwarzen Meere die Donau und die Traun heraufsteigen, oft in außerordentlicher Menge in dem Becken, das der Traunfall ausgehöhlt hat, sich sammeln, um sich hinüberzuschwingen und oberhalb des Falles ihre Reise fortzusetzen. Da werden denn eine große Menge geangelt. Dies geschieht, begreiflicher Weise, nicht mit jenen schwanken Angelruthen, die sich zum Wanderstabe in einander schieben lassen, sondern mit verhältnißmäßig derben Stangen, Schnüren und Angelhaken. Auch der Kronprinz fand großes Vergnügen an diesem Angeln und stand eben unter dem Traunfalle, als Sir Humphrey das Unglück begegnete, daß sein Bedienter, weil ihm vom Halten gegen den mächtigen Zug des Stromes zum Falle die Hände völlig taub, gefühllos und unmächtig geworden waren, das den Kahn haltende Seil fahren lassen mußte.

Als nun der Kronprinz da unten steht und seinen gewaltigen Angelhaken in die wildtosende Fluth senkt, macht ihn plötzlich etwas Dunkeles über dem hell von der Sonne beleuchteten Wasserfalle aufmerksam. Er richtet schnell den Blick dahin und – seine Haare sträuben sich vor Entsetzen – denn – er erblickt hoch auf den sich aufbäumenden Wellen einen Kahn und in dem Kahne einen die Arme flehend gen Himmel hebenden Menschen, der in demselben Momente aber auch schon wirbelnd in der Fluth und von ihr verschlungen, und in der grauenvoll gähnenden Tiefe begraben ist.

Es war ein furchtbarer, erschütternder Anblick. Der Prinz wußte, daß in dem Becken abgewaschene Felsstücke mit scharfer Spitze und Kante liegen, daß also, wenn man auch den Leichnam finde, doch an ein Retten des Lebens nicht wohl zu denken sei. Voll Geistesgegenwart sagt der Prinz zu seinem Leibdiener, der unfern sitzend auch Zeuge des furchtbaren Schauspiels gewesen war: „bleibe hier bei mir und hilf mir den Körper heranziehen, wenn ihn das Wasser hebt!“

Kaum hatte der Kronprinz dies Wort gesprochen, so hob der Wellengischt den bleichen Leichnam Sir Humphrey’s wieder zur Oberfläche, und geschickt warf der Prinz den Angelhaken aus, der sich in Sir Humphrey’s Rock festhakte und nun zogen Beide, der Kronprinz und sein Diener mit Kraft, aber auch mit der nöthigen Vorsicht, daß die Schnur nicht zerreiße, den Körper zu sich heran. Dies gelang endlich vollkommen, und eben als ihn Beide auf den grünen Uferrasen ziehen und hinlegen, stürzen die beiden Bauern herbei, die auf ihrer Seite an dem Seile gehalten, aber außer Stande gewesen waren, gegen den Andrang der Fluth den Kahn zurückzuziehen. Schnell ließ ihn nun der Prinz in den Ort und zu dem Hause bringen, wo er wohnte und wo sein Leibarzt sich befand, der denn sofort kunstmäßig alle Belebungsversuche unternahm und emsig fortsetzte, bis er dem eifrig handanlegenden

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Bewußsein
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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 491. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_491.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)