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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Rollwenzelhäuschen empor schreiten. Im Hinterhause eine Treppe hoch liegt eine wenig geräumige Stube mit ein paar Fenstern, welche eine liebliche Aussicht in den hier fast kesselartigen Thalgrund des rothen Mains, auf die waldigen Berghöhen zu beiden Seiten desselben, auf freundliche Weiler und Höfe im Thale und auf den Berghängen, auf die nahe bewaldete Höhe der Eremitage und endlich im Hintergrunde auf die blauen übereinander gegipfelten Berge des Fichtelgebirges gewähren. Es ist eine abgeschlossene reizende Idylle, wie sie Jean Paul so sehr liebte und gern schuf. Die Ausstattung des Zimmers ist heute noch nicht glänzend. Als es dem großen unsterblichen Dichter zum Schöpfungstempel diente, soll sie eine ärmliche gewesen sein.

An diesem Tische schrieb er einen großen Theil der Levana und des Komet und viele der kleinen Stücke, an welchen seine spätern Jahre reicher waren als die frühern. Aus diesen Fenstern schickte er die sehnsuchtsvollen Blicke nach den Bergen, hinter welchen er geboren war und seine idyllisch einfache, aber von ihm mit den Prismafarben der Poesie geschmückten Jugend verlebt hatte. Von diesem Häuschen aus durchstreifte er die reizende Umgegend. Dem Hause in der Entfernung einiger hundert Schritte gegenüber, schloß sich damals an den sogenannten Bogengang der Eremitage am Berghang ein reizendes Gebüsch mit einer Einsiedlerhütte, die jetzt verschwunden sind. In dieser Hütte brachte er viele Stunden zu, schrieb auch darin, der genialste aller Einsiedler. Nicht selten begleitete ihn sein Freund Christian Otto zur Rollwenzel und arbeitete in einer kleinern Nebenstube. Dann ergingen sich Beide in kritischem Gespräch mit der geistbegabten Wirthin. Abends kam dann in der Regel Richter’s Familie und holte ihn ab.

In den spätern Jahren ging der Dichter meist nur noch Nachmittags zur Rollwenzel und nur einige Male in der Woche. War er krank und in der letzten trüben Zeit, als er erblindete, kam Frau Rollwenzel auf seinen Wunsch oft zu ihm, und er tauschte mit ihr wie sonst das lebendige Wort. Die lebhafte Frau war ihm eben zum Geistesbedürfniß geworden. Sie überlebte ihn vier und ein halbes Jahr und starb fast 74 Jahre alt, am 22. April 1830.

Am Eingang des Hauses liest man jetzt auf einer dunkeln Marmortafel mit goldnen Lettern: „Rollwenzel’s Haus. Hier dichtete Jean Paul.“ Die Jean-Paul-Stube wird nur Besuchern geöffnet, welche das Andenken des Dichters ehren. Ein Album nimmt ihre Namen auf. Unter seinem Bilde hängt das der Frau Rollwenzel, das Original unseres Holzschnittes. Außer der Büste und einer Handschrift des Dichters sind keine sichtbaren Erinnerungen an ihn vorhanden.

Es ist vielleicht nicht uninteressant einige Werte über das materielle Leben Richter’s hinzuzufügen, welches nicht minder originell wie sein geistiges, durch die kunstgeübte Hand der Frau Rollwenzel so vielfache Befriedigung fand.

Die leiblichen Genüsse waren bei Jean Paul durchaus nur Anregungs- und Beförderungsmittel zu erhöhter Geistesthätigkeit. Philisterhafte Gewöhnlichkeit hat das oft mißverstanden und den Dichter darnach schief beurtheilt. Denn Richter aß und trank stark und gut. Im Sommer und Winter erhob sich Richter von seinem eigenthümlich construirten Bette und trank ein Maß frisches Brunnenwasser, wozu er Pfeffernüsse und andres feines Backwerk verspeiste. Dann las er bis zum Genuß des Kaffee’s (sehr stark) mit Backwerk um 8 Uhr. Um 9 Uhr trank er Wein, meist alten starken vom Rhein und in der Regel eine Flasche. Je nach der Arbeit, die er den Tag über verrichten wollte, vergrößerte er nicht nur die Quantität, sondern verstärkte auch die Qualität auf eine ungewöhnliche und eben nicht zu empfehlende Weise. Er setzte nämlich eine größere oder geringere Dosis (je nachdem er den Geist mehr oder minder beflügeln wollte) Rossoli oder Arac hinzu. Zu diesem Getränke verspeiste er eine ziemliche Portion guten Kuchen und machte den Küchenzettel für den Mittagstisch. Er wurde empfindlich, wenn die Speisen nicht nach seiner Angabe zubereitet waren. Von diesem zweiten oder vielmehr dritten Frühstück bis zum Mittagsessen um 2 Uhr arbeitete er unausgesetzt und nahm keine Besuche an. Seine Stube bei der Rollwenzel durfte außer ihm und ihr durchaus Niemand betreten. Nach Tische schlief er über eine halbe Stunde und brachte dann über eine Stunde im Familienzimmer bei der hochgebildeten taktvollen und in jeder Hinsicht trefflichen Gattin und bei seinen reichbegabten liebenswürdigen Kindern (zwei Töchtern und einem Sohne) zu. Dann ging er aus. Den Abend verlebte er entweder in der Harmoniegesellschaft, oder in befreundeten Familien, oder sah seine Freunde bei sich, mit welchen er im lebhaften Gespräch die wichtigsten und interessantesten Fragen verhandelte. Dazu trank er viel starkes Bier. Um 9 Uhr reichliches Abendessen. Unmittelbar darauf verfügte er sich mit der Familie zu Bette. Nachmittags trank er nie Kaffee, Wein oder Bier, sondern nur Wasser. Weder rauchte, noch schnupfte er Tabak; er verband vielmehr beide Genüsse auf eine eigenthümliche Weise, wie er denn fast in allen Verrichtungen originell war. Er drehte nämlich vom feinsten Rolltabak kleine Röllchen und schob diese in dir Nase. Er war ein Mann der strengsten Ordnung, des entschiedensten Willens, aber auch der unbegrenzten Liebe, und Hausherr in der vollsten Bedeutung des Wortes.

Von seiner liebenden Fürsorge für Menschen und Thiere, mit welchen er in Beziehungen stand, werden rührende Dinge erzählt. Leute, die ihn bedienten, hielt er über die Maßen gut und mochte ihnen gern jede Lebensfreude gewähren. Er fütterte nicht nur seinen Hund und seinen Kanarienvogel, auch Fliegen und Spinnen, und trug im Herbst ihr Winterfutter sorgsam ein.

So hatte Jean Paul Friedrich Richter nicht nur den klarsten, schwunghaftesten Geist, die reichste, kühnste gewaltigste Phantasie und den hohen edlen Sinn, er hatte auch das liebevollste, edelste und größte Herz, das je in eines Menschen Brust geschlagen, und dieses reiche, weiche, große, schöne Dichterherz ist’s, welches Millionen Menschenherzen entzückt, gehoben, veredelt, mit Gotteshauch erfüllt, mit Gottessegen überglüht hat und in die späte Zukunft hinein über Deutschland Segen bringen, seine Unsterblichkeit aber auch im Segen des deutschen Volks erhalten wird, „so lang die deutsche Zunge klingt.“




Die örtliche Faradisation.
Eine neue Methode der Elektrisation.

Zu den verschiedenen Methoden der Elektrisation ist wiederum eine neue hinzugekommen, welche endlich diesem Heilverfahren einen ebenbürtigen Platz unter den ärztlichen Kunstfächern errungen hat. Nur wenig wissenschaftlich gebildete Aerzte wandten vordem diesem Gegenstände ihre Aufmerksamkeit zu; höchstens veranlaßten augenblickliches Bedürfniß, neuerungssüchtigen Patienten gegenüber, oder Laune einmal den Erwerb einer Maschine, die aber nur allzubald wieder in einem entlegenen Winkel dem Staube preisgegeben wurde; bleibende Stätte fand der Apparat nur in den physiologischen Laboratorien zum Studium der Funktionen gewisser Körpertheile und Gewebe und es erfuhr namentlich die Lehre von der Thätigkeit des Nervensystems dadurch eine bedeutende Bereicherung; den elektrischen Strom in gleicher Weise am lebenden Menschen anzuwenden, daran dachte man nicht sogleich; erst nach und nach eröffneten sich Gesichtspunkte, welche eine derartige praktische Ausbeute versprachen. Was Nobili, A. v. Humboldt, Matteucci u. A. vermuthet und angedeutet, bewies der geniale Dubois-Reymond nach Jahre langem Studium als positive Wahrheit; daß nämlich das in den Nerven thätige Princip, das sogenannte „Nervenfluidum“ gleichbedeutend mit dem elektrischen sei; er definirte den Nerven als einen aus bipolaren Molekeln zusammengesetzten Elektricitäts-Erreger und Leiter und wies auch im Muskel einen solchen Strom nach. Somit lag die Vermuthung nahe, daß ein dem Nerven- und Muskelleben so nahe verwandter Reiz auch ganz vorzugsweise sich zur Belebung kranker Nerven und Muskeln eignen müsse; spätere Forschungen ergaben sogar, daß ein dermaßen in den „elektrotonischen“ Zustand versetzter Nerv für andere Reize unempfänglich sei. Der

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