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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

einer Tochter des Volkes geschenkt, deren Portrait wir heute mittheilen. Um Gottes willen, denke dabei Niemand an ein gewöhnliches sinnliches Liebesverhältniß. Frau Rollwenzel war sieben Jahre älter als Richter und stand, als er sie kennen lernte, schon in den höhern vierziger oder im Anfang der fünfziger Lebensjahre, und Richter war erst einige Jahre mit der jugendlichen schönen, ja reizenden und hochgebildeten Karoline Meyer aus Berlin verheirathet. Auch ist aus seinen Schriften bekannt, wie hoch er die sittliche Reinheit der Ehe hielt. Frau Rollwenzel war dem Dichter die Repräsentantin des von ihm so heiß geliebten deutschen Volks oder vielmehr der Volksweiblichkeit, die seiner Wesenheit näher stand als das männliche Element, und sie war ganz die Frau, diese ihr von ihm zugedachte bedeutende Stelle würdig auszufüllen.

Frau Rollwenzel.

Als Richter im Jahre 1804 seinen bleibenden Wohnsitz m Bayreuth aufschlug, fühlte er bald das Bedürfniß, in einiger Entfernung von der Stadt nach dem Fichtelgebirge zu eine Lokalität zu finden, wo er sich ein gemüthliches „Nest bauen“ könne, eine Neigung, die ihm stets eigen war und aus der Tiefe seines Gemüths hervorging. Das Glück begünstigte ihn auch in dieser Angelegenheit. Das kleine einstöckige Wirthshaus am Fuße der Anhöhe, welche die Eremitage trägt, bot ihm die ersehnte süße Villagiatur und die stille heimliche Feier für einen großen Theil seiner spätern poetischen Schöpfungen. Aber das kleine Haus gab ihm noch mehr als er gesucht und erwartet, ein verständiges gemüthliches Ehepaar von vielfacher Erfahrung und Lebensverständniß, Menschen, die ihm klaren Geist, Ehrfurcht und Ergebenheit entgegen brachten. Dies war der Wirth Friedrich Rollwenzel und seine Ehefrau Dorothea Rollwenzel, geb. Beyerlein. Der Mann war in seiner Jugend vom Markgrafen Alexander von Anspach und Bayreuth, dem letzten Fürsten dieser beiden Länder, als Soldat mit seinem Regiment an England verkauft und nach Nordamerika geschleppt worden, um dort gegen die Union zu kämpfen. Es wird behauptet, Rollwenzel’s Ursprung sei im markgräflich bayreuthischen Hause selbst zu suchen gewesen. Richter pflegte sich gern mit ihm zu unterhalten und von seinen Fahrten erzählen zu lassen. Geistig näher als der Mann stand unserm Dichter aber die Frau. Sie war aus Hutschendorf, einem zwischen Thurnau und Kulmbach gelegenen Dorfe gebürtig, wo ihr Vater, der lange in Ungarn gelebt hatte und ein gewandter Mann war, Metzgerei und Bierwirthschaft betrieb. Dorothea Beyerlein verheirathete sich mit einem Manne desselben Gewerbes, Namens Friedmann, von dem, als wüstem Verschwender, sie sich, nachdem sie zwei Kinder geboren, wieder scheiden zu lassen genöthigt war. Sie vermiethete sich als Köchin in Bayreuth und verheirathete sich hier nach einigen Jahren mit Rollwenzel.

Nach Erwerb des kleinen Hauses, das später als Richter’s ländlicher Aufenthaltsort geheiligt, nun ihren Namen für alle Zeit trägt, wünschte die thätige und gewandte Frau als Kaffee- und Bierwirthin und Köchin darin zu wirken, aber sie konnte keine Concession zum Betriebe einer Wirthschaft erlangen, und betrieb sie ohne eine solche. Ein halberfrorner französischer Soldat, den sie im harten Winter aufnahm und pflegte, wurde die Veranlassung, daß sie durch den Marschall Junot die Concession erhielt. Sowohl wegen ihres muntern spaßhaften Wesens, das jeden Gast, den vornehmen wie den geringen, erheiterte, als auch wegen ihrer guten Bereitung der Speisen und Getränke, war sie allgemein beliebt, und Niemand ging gern an ihrem Hause vorüber. Wie das kleine Wirthshaus unserem Dichter ungemein bequem gelegen war, so entdeckte er in der Wirthin einen kostbaren Schatz; denn Frau Rollwenzel verstand es nicht nur, seine Bedürfnisse, Neigungen und Liebhabereien zu studiren und auf möglichst vollkommene Weise zu befriedigen, sie lebte sich auch auf überraschende Weise geistig in ihn hinein und verstand den Flügelschlag seines Genius so gut, daß er sich mit ihr über geistige Interessen unterhielt, ihr nicht selten seine Manuskripte vorlas und das natürliche gesunde Urtheil der lebhaften talentvollen Frau mit Vergnügen vernahm. Auch liebte er es, mit ihr in seiner, seinen Freunden wohlbekannten eigenthümlichen Weise zu disputiren. Richter war nichts weniger als unempfänglich für die schmackhaften Kunstwerke der Küche und die geistreichen Objekte des Kellers, er liebte starken Kaffee, schweres Bier und gehaltvollen Wein, und die Leistungen der höhern Kochkunst waren ihm an den Fürstentafeln nicht gleichgültig geblieben. Frau Rollwenzel labte ihren genialen Gast eben so mit einer Tasse delikaten Kaffee, einem Kruge köstlichen Bieres, einem prächtigen Braten und einem feinen Kuchen, wie sie ihn mit ihren witzigen Besprechungen menschlicher Narrheiten und Schwächen ergötzte.

So ist er denn fast zwanzig Jahre zu ihr gegangen, früher in der schönen Jahreszeit fast täglich und zwar schon in der Morgenfrühe. Da sah man den untersetzten, kräftig gebauten Mann im schlichten Oberrock mit offnem Halse, einen Knotenstock in der Hand, einen Büchsenranzen mit dem Manuscripte, an welchem er eben arbeitete, und mit Büchern, die er eben las, übergehängt, mit ein paar Flaschen Wein, deren Hälse aus den Rocktaschen ragten, den großen weißen Spitz, den treuen Begleiter, den er in mehr als einem Roman verherrlicht, zur Seite, in früher Stunde durch die Alleen des Hofgartens und durch die Lindenallee vor dem Eremitagethore die sanfte Höhe nach dem

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 485. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_485.jpg&oldid=- (Version vom 6.9.2021)