Seite:Die Gartenlaube (1856) 484.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Liedern, die freilich nicht in die Ausgabe seiner Schriften aufgenommen sind, am stürmischsten aus. Mit diesen politischen Anschauungen harmonirten ihre religiösen. Nie hat ein Mensch erhabenere Worte über Jesus Christus gesprochen, als Jean Paul in den „Dämmerungen,“ und doch stand er mit seinen Ueberzeugungen außerhalb der christlichen Kirche auf dem Standpunkte einer poetischen Naturreligion, deren Lehrer und Hohepriester er selbst war.

An keinem deutschen Dichter hat sich das Mißverhältniß der Poesie zum wirklichen Leben schreiender offenbart, als an Richter, und es konnte nicht anders sein, eben weil er den Kultus des deutschen Gemüths wie kein Andrer poetisch gefeiert und verklärt hat und zwar eben so in der Endlichkeit als in der Unendlichkeit diese Gemüths, mit andern Worten, weil er als der größte deutsche humoristische Dichter das edelste reinste und größte Herz haben mußte. Durch die schwere Schule einer Armuth gegangen, deren Beschreibung beleidigt, von der nobeln Gesellschaft der guten Stadt Hof ausgeschlossen wie ein Verbrecher, ja selbst noch zurückgestoßen und geringschätzend behandelt, als die vornehme, intelligente Welt Deutschlands für den Verfasser des Siebenkäs und des Hesperus schwärmte und hervorragende Individuen ihn, den großen, bald so heilig ernsten, bald so schalkhaft lachenden Herzenspriester in seiner kleinen engen höfer Welt aufsuchten, liebte dieser wunderbar begabte einzige Mensch dieses Volk, diese mittlern Stände und die Mündigkeit des deutschen Volks, seine Emancipation, seine geistige und materielle Freiheit waren der Inhalt seiner heißen Dichterträume, das Ziel seiner hohen Sehnsucht, der geile Boden, aus welchem seine üppigen Schöpfungen aufschossen. Sind sie ja doch der Boden aller echten und wahren Poesie überhaupt, und Goethe’s Faust ist ihm eben so gut entsprossen, wie Jean Paul’s Titan.

Das ist aber der Krebsschaden der Dichterbrust, der immer augenfälliger zu Tage tritt, daß diejenige Klasse der Gesellschaft, an welche sich der Dichter wegen ihrer Intelligenz gewiesen sieht, seinen heiligsten Tendenzen abhold ist, und das Volk, für dessen Emancipation er das Flammenschwert des Geistes schwingt, aus Unempfänglichkeit, Mangel an Verständniß, und dem alten ekelhaft bornirten: „Der Narr will klüger sein als wir!“ ihn beleidigt, zurückstößt, schändet. Der echte Dichter ist ein geborner Aristokrat, der, sobald er zum Verständniß des Lebens und seiner Widersprüche und Mißverhältnisse kommt, zum wohlwollenden Mann der Freiheit wird, der nur einen großen heißen Wunsch hat: das Wohl des deutschen Volks und die harmonische Ausbildung aller seiner Kräfte zur Erzeugung der höchsten Blüthe Deutschlands. Aber der Dichter ist auch wie ein zartes schönes Mädchen, das das Bedürfniß zu gefallen hat; er bedarf des Verständnisses, der Anerkennung, der Pflege; zu seinem Glücke gehört unerläßlich die Liebe seines Volks, für das er glüht und dichtet. Darf man ihn schelten, wenn er dort die Seele hingibt, wo er Verständniß, Anerkennung, Liebe und Pflege findet, auf den Höhen der Gesellschaft, und wenn er mit Schmerz und Wehmuth, ja wohl mit Bitterkeit auf die blickt, denen sein höchstes Streben, seine glühendste Begeisterung gewidmet ist, und die gleichgültig an ihm vorübergehen, ja wohl gar ihn kalt und höhnisch zurückweisen? Kein deutscher Dichter ist von höchsten und hohen Personen, gegen deren Standesinteressen er schrieb, so ausgezeichnet und geehrt und Keiner ist so von den untern Ständen, für deren Interessen er schrieb, so vernachlässigt worden, als Richter. Dieser eigenthümliche und auffallende Widerspruch geht sogar über sein Grab hinaus: das deutsche Volk verweigert dem größten deutschen Gemüthsdichter, dem hohen, reinen, begeisterten Freiheitsmann das Denkmal und – ein König setzt es ihm.

Inzwischen war eine solche Anerkennung von Seiten der Höhen und Spitzen der Gesellschaft, eine Anerkennung und Pflege des Dichters, wie sie uns heute schon fast fabelhaft vorkommen, nur in der zweiten Hälfte des vorigen und im ersten Viertel unseres Jahrhunderts möglich, wo die Intelligenz der höhern Stände sich von der Gewalt der neuen Ideen und von dem Feuer der Begeisterung wie von der Schärfe des Spottes hinreißen ließen. Das allgemein Menschliche ergriff die gebildeten und darum empfänglichen Herzen, sie ergaben sich dem neuen Evangelium der Liebe und Freiheit, zumal es ihnen auf so überraschend neue, herrliche, eigenthümliche Weise gepredigt wurde, und sie spielten mit dem Feuer, das ihnen erst in Funken von Jean Jacques und dann in rothen, grünen und blauen lodernden Flammen und in neckisch hüpfenden Flämmchen von Jean Paul gebracht wurde, sie spielten damit aus Passion, aus Mode, aus Zeitvertreib, und sie dachten nicht daran, daß dieses Feuer auch in Deutschland brennen könne. Von der andern Seite verfiel Jean Paul in den verzeihlichen Irrthum, als habe er die höhern Stände, die ihn so sehr vergötterten, namentlich die Frauen derselben, für seine philanthropischen Ideen gewonnen und die neue Aera des allgemeinen Herzenskultus sei vor der Thüre. Naivetät von beiden Seiten, über die wir heute lächeln. Die hohe Aristokratie ist klüger geworden und die Dichter auch. Kein aristokratischer Fuß kam über die Schwelle in der rue d’Amsterdam, an welcher der große deutsche Dichter sechs Jahre sterbend lag, kein deutscher Fürst wird ihm ein Denkmal setzen (wir fürchten: eben so wenig das deutsche Volk), und doch hat Heinrich Heine nichts Schlimmeres drucken lassen, als Johann Paul Friedrich Richter.

Nichts legt für die sittliche Größe Richter’s glänzenderes Zeugniß ab und gereicht ihm zu größerer Ehre, als daß er sich an keinem der kleinen Höfe, wo er so ungewöhnlich ausgezeichnet wurde, fesseln ließ (der Herzog von Meiningen wollte ihm sogar ein Haus bauen), daß er an jeder Fürstentafel offen und ehrlich seinen Freimuth äußerte, wodurch er bei dem formellen Goethe und fast noch mehr bei dem ängstlichen Schiller anstieß, und daß er die Herzensverbindungen mit den reichen adeligen Damen, die, zu einem Ehebündniß geführt, ihn in eine glänzende äußere Lage versetzt haben würden, abbrach, sobald er die Ueberzeugung gewonnen, daß sie bei aller brillanten Geistesbildung seiner doch nicht würdig seien. Er heirathete eine von Geist und Herz gleich hoch und schön gebildete Bürgerliche und kehrte schon nach einigen Jahren für immer in sein kleines Vaterland zurück, und schlug in der ihm so theuren stillen Stadt Bayreuth seinen bleibenden Wohnsitz auf.

Und so ist er ein armer Mann geblieben, aber ein edler verehrungswürdiger, ein deutscher Dichter von so hoher trefflicher Gesinnung und Geistesthat, wie wir keinen zweiten zu nennen wissen. Von allen Fürsten, die ihm den Hof gemacht, gab ihm Keiner etwas, außer dem edeln Dalberg, Großherzog von Frankfurt, aber die Pension betrug nur tausend rheinische Gulden, und der Dichter mußte sie nach Beseitigung der französischen Einrichtungen in Deutschland einige Jahre missen, bis sie der König von Baiern übernahm. Mochten ihm von den Verlagsbuchhandlungen auch nicht gewöhnliche Honorare gezahlt werden, so hat er doch in den letzten zwanzig Jahren seines Lebens, gerade während seines bleibenden Domicils in Bayreuth, verhältnißmäßig wenig geschrieben, und seine Einnahmen von dieser Seite können unmöglich glänzende gewesen sein.

Es ist ungemein betrübend, wenn seine Lebensbeschreiber (Spazier, Z. Funck) wiederholt versichern, Bayreuth habe ihm die gebührende Achtung versagt. Dies kann sich, wie wir versichern können, nur auf die mittlern und untern Stände beziehen; von den Familien der höhern Stände war er sehr geachtet und geehrt. Das Andenken an die ihm gezollte Verehrung hat sich in einigen der ersten Familien der Stadt bis heute lebendig erhalten, und sehr viele der ältern Einwohner erinnern sich noch lebhaft seiner stattlichen würdigen Gestalt mit den milden edlen Zügen.

Man erzählte mir: in den letzten neun Jahren seines Lebens sei Richter in Bayreuth weit mehr und allgemeiner geehrt worden, als früher und zwar auf folgende Veranlassung. Die verwittwete Prinzessin von Holstein-Oldenburg, geborne Großfürstin von Rußland, Katharina Paulowna, eine der hochherzigsten Fürstinnen, kam 1816 als Braut des Kronprinzen (wenige Monate darauf Königs) von Würtemberg durch Bayreuth und der Stadtkommandant, der Regierungspräsident und andre vorragende adelige Häupter beeilten sich, der hohen Reisenden die Honneurs zu machen. Sie werden angemeldet, Niemand wird angenommen. Der Kammerherr der Großfürstin fragt nach Jean Paul, der soll unverzüglich eintreten, kaiserliche Hoheit wünsche nichts sehnlicher, als ihn zu sprechen. Aber der Herr Legationsrath Richter ist nicht zugegen und muß eiligst herbeigeholt werden. Er bleibt über eine Stunde bei der Großfürstin, sie entläßt ihn äußerst gnädig und reist ab ohne einen der andern Herrn angenommen zu haben.

Trotz alledem bewahrte Richter, der Sohn der Armuth, dem Volke seine treue innige Neigung, und vor Allen hat er sie

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 484. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_484.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)