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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Nicht minder wichtig wäre Fremont’s Wahl für Europa, da sie die Gefahr, welche England von einem Kriege mit Amerika droht, sofort und wahrscheinlich für lange Zeit beseitigen würde.

Eben dieser günstigen Aussicht wegen dürfen wir jedoch kaum darauf hoffen, Fremont jetzt schon gewählt zu sehen. Die Demokratie ist noch zu mächtig, sowohl durch ihren Reichthum, als durch die Furcht des Nordens vor einer Trennung von dem Süden, als daß es den Republikanern schon gelingen könnte, die Demokratie zu überwinden. Sie hoffen es freilich, aber wir können ihre Hoffnung nicht theilen.

Müßte Fremont indessen jetzt noch Buchanan weichen, so bliebe er doch als Mann der Zukunft bestehn und ihm würde immer eine wichtige politische Rolle zu Theil werden, weil die Republikaner Alles anzuwenden haben, zu verhindern, daß Kansas zum Sklavenstaate gemacht werde, und daraus leicht ein Krieg zwischen dem Norden und Süden entstehen kann, der die Union faktisch aufhöbe.[1] – „Old Buck“ (Buchanan) würde freilich, sobald er gewählt wäre, sich bemühen, diese Gefahr zu beseitigen, indem er zu vermitteln suchte, aber die Dinge sind so weit gediehen, daß nur die Vermittlung möglich ist, welche die Demokraten zum Nachgeben veranlaßt.

Die Republikaner werden ihnen daher fortan ihre Gesetze vorschreiben, und ihr Führer Fremont ist der Mann, der die Gestaltung der Zukunft in der Hand hat, sobald er ihre Forderungen mit der rechten Energie verfolgt.

Die Wahl des Präsidenten geschieht, wollen wir noch erwähnen, durch Wahlmänner, welche die Wahlstimmen des Staates vertreten und der Verfassung gemäß theils von der Gesetzgebung der einzelnen Staaten, theils vom Volke gewählt werden können, in der jüngsten Zeit aber durchweg vom Volke erwählt wurden, so daß die Wahl ebensowohl eine direkte, als eine indirekte ist, denn indem Jeder den Wahlmann nach seiner Partei wählt, stimmt er damit zugleich für den Präsidenten,und sobald die Wahlmänner erwählt sind, weiß man, wie das Resultat der Wahl ausfallen wird. Formell treten die Wahlmänner am ersten Mittwoch des December zusammen und geben ihre Stimmen in jedem Staate ab, welche der Congreß entgegennimmt.

Äm Fall keiner der Kandidaten eine absolute Majorität hat, bestimmt der Congreß den Präsidenten und Vicepräsidenten nach der Mehrheit der Stimmenanzahl.

Die Union enthält 16 freie und 15 Sklavenstaaten, und die Wahlstimmen sind folgendermaßen vertheilt: 1) freie Staaten: Maine 8, New-Hampshire 5, Vermont 5, Massachusets 13, Rhode Island 4, Connecticut 6, New-York 35, New-Jersey 7, Pennsylvania 27, Ohio 23, Indiana 13, Illinois 11, Michigan 6, Wisconsin 5, Iova 4, California 4, zusammen 176. 2) Sklavenstaaten: Delaware 3, Maryland 8, Virginia 15, North-Carolina 10, South-Carolina 8, Georgia 10, Florida 3, Alabama 9, Mississippi 7, Louisiana 6. Texas 4, Tennessee 12, Kentucky 12, Missouri 9, Arkansas 4, zusammen 120. Gesammtsumme 296. Zur Erwählung sind somit nöthig 149 Stimmen. Ueber die Stimmen der Staaten entscheidet die einfache Majorität derselben. Wenn von Neu-Yorks 35 Stimmen z. B. 20 für Fremont, 8 für Buchanan und 7 für Fillmore gehn, so hat New-York für Fremont entschieden. Jeder Wahlmann ist gehalten, streng für das Ticket (den Wahlzettel) zu stimmen, für das er gewählt ist, und ein Betrug oder eine Täuschung der Urwähler durch die Wahlmänner ist nicht möglich.

Von der Persönlichkeit Fremont’s wäre noch Manches zu sagen. Doch darüber herrschen noch verschiedene Urtheile, die sich erst später consolidiren werden. Nur so viel ist sicher bekannt, daß er ein gedrungener, energischer Mann mit freiem Bartwuchse in ziemlich germanisch aussehendem, ausdrucksvollem Gesichte, ein Mann von großer Vorliebe für deutsche Bildung ist, Deutsch spricht und sich eben so sehr auf die Deutschen verläßt, wie diese, namentlich die 60,000 Turner, auf ihn. Man darf hoffen, daß er diesmal oder über 4 Jahre mit Hülfe derselben siegen wird. Damit ist dann auch ein wirkliches transatlantisches Deutschland gewonnen, um so mehr, als sich Amerika selbst nur dadurch aus Verwilderung und nacktem Materialismus retten kann, daß es sich seiner ursprünglichen Kraft und Größe, welche in den anglosächsischen, altgermanischen Institutionen liegt, erinnert und sich wieder aus dieser alten Quelle erfrischt. Die alten germanischen Institutionen, von Parlamentsakten in England überwuchert, flohen nach Amerika und entwickelten sich dort mit Urwaldskraft. Mit den von Geld- und Habgier ausgerotteten Urwäldern sank auch diese Kraft und wurde kahle, trockne, verspekulirte Ebene. Fremont ist mit seiner deutschen Bildung und seinem deutschen Heere von 60,000 Turnern Persönlichkeit und Repräsentant der alten germanischen Freiheitsinstitutionen gegenüber dem verspekulirten, versklavten Yankeeismus.




Blätter und Blüthen.

Das Associationswesen in Belgien, Frankreich und England.

Die Leser der Gartenlaube haben sich so entschieden für unsere deutschen Associationen interessirt, daß es ihnen sicher von Interesse sein wird, etwas über den Stand dieser hochwichtigen Angelegenheit in den obengenannten Nachbarländern zu erfahren. Während bisher ein ziemlich mühsames Studium dazu gehörte, und man aus einer Menge einzeln verstreuter Notizen sich nur ein höchst unvollständiges Bild der einschlagenden Zustände verschaffen konnte, hat sich ein auch um die deutschen Associationen hochverdienter Mann, der Professor Huber, gegenwärtig in Wernigerode am Harz, der schwierigen und mühsamen Arbeit unterzogen, Alles hierher Gehörige zu sammeln und durch eigne Anschauung an Ort und Stelle zu prüfen und zu sichten. Die reiche Ausbeute seiner Entdeckungsreise – denn eine solche verdient das Unternehmen genannt zu werden – liegt nun gegenwärtig in seinen „Reisebriefen aus Belgien, Frankreich und England im Sommer 1854, zwei Bände 8., Hamburg, Agentur des rauhen Hauses,“ vor, einem Werke, welches man für Jeden, der den Stand der Sache gründlich kennen lernen will, für unentbehrlich achten muß. Von den großartigen Cités ouvrières zu Paris bis zu den Associationen abgelegener Vorstädte, von den Unternehmungen der belgischen Regierung bis zu den zahlreichen Privatvereinen Englands gibt das Buch die werthvollsten statistischen und geschäftlichen Details. Bei der Beschränktheit des uns gestatteten Raumes lassen wir nur in Kürze einige Fingerzeige in Bezug auf den reichhaltigen Inhalt hier folgen, welche besser, als jede Empfehlung, dazu dienen werden, das Publikum für die Lektüre des interessanten Buches zu interessiren.

Von den vier Cités ouvrières zu Paris bestehen drei in einem einzigen großen Hofe, eine in einzelnen kleinen Wohnhäusern mit Gärten und gemeinschaftlichen Wirthschaftsgebäuden. Ausgeführt und benutzt ist bisher nur eine der erstern, die Cité Napoleon, ein Gebäude von drei Stockwerken, welches Wohnungen von einer Stube, zwei Kammern, Küche und Vorplatz zum jährlichen Preise von 200–300 Franken enthält, einem Miethzins, der nicht viel geringer als der gewöhnliche ist, wofür aber die Wohnungen besser sind und obenein ein gemeinschaftliches Wasch- und Badehaus enthalten.

Die Arbeiterkolonie zu Mühlhausen im Elsaß, 1851 von einer Aktiengesellschaft mit einem Kapitale von 900,000 Franks gegründet, hatte bis 1854 200 Wohnhäuser gebaut und wollte noch 100 hinzufügen, jedes für eine Familie mit Gärtchen, welche gemiethet und als Eigenthum gegen gewisse, nicht lästige Abschlagszahlungen erworben werden können. Sie ist eine wahre Musteranstalt für gemeinnützige Baugesellschaften dieser Art, und ihr Beispiel nicht genug anzuempfehlen.

Eine diesen Bestrebungen verwandte Wirksamkeit, die Arbeiter mit einem kleinen Grundeigenthum zu verseben, üben die in England bestehenden 130 Gesellschaften zur Erwerbung von Ländereien im Großen und deren Parzellirung, ursprünglich zu dem Zweck, zur Parlamentswahl stimmfähig zu machen. Sie repräsentiren ein Aktienkapital von 3,600,000 Pfund St., hatten bis 1854 bereits 310 Güter gekauft und in 19,500 Parzellen ausgethan, welche großentheils mit einem Wohnhause bebaut wurden.

Eine enorme Bedeutung haben ferner in England die vom Verfasser als Distributiv-Associationen bezeichneten Vereine, welche die Anschaffung von Bedürfnissen im Großen bezwecken, um ihren Mitgliedern bei Abnahme kleinerer Parthien billige Preise und gute Qualität zu sichern. So zählte man in England, ohne Irland, 190 solcher cooperative-stones, d. h. von Associationen gegründete Läden und Magazine, welche sowohl die billige Versorgung ihrer Mitglieder, als eine Dividende am Geschäftsgewinn gewährten, und von denen einzelne sich bis zu einem jährlichen Umsatz von 12,000 Pfund und mehr erheben.

Auch für die Kooperativ-Associationen, die Vereinigung von Arbeitern einer bestimmten Branche zum Betriebe eines Gewerbes für gemeinschaftliche Rechnung ist in England das Meiste geschehn. Der Verfasser


  1. Er ist, wenn auch in der Minorität bei der Präsidentenwahl, erst recht der Mann der Zukunft, weil die Freimänner, die in ihm einen Kopf gefunden, dann auch sehen, wie viele Glieder und Organe dazu gehören. Deren sind so viele und gesunde, daß sie mit Zuversicht den Sieg bei der nächsten Wahl darauf sichern können.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 475. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_475.jpg&oldid=- (Version vom 9.5.2017)