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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Entdeckung, die ich nun gemacht habe, den Verlust von meines verstorbenen Vaters Sohn – meines einzigen – meines Zwillingsbruders zur Folge hat, – dann soll sich eher die Hölle mit dem Himmel verbinden, als das Blut unserer Geschlechter! Es ist keine schwere Sühne, Hans, der Verlust selbst einer so treuen Hand als dieser – und vielleicht würde ich als fromme Schwester sie durch meine Thränen und meine Gebete zu erleichtern versuchen. Aber ich weiß, daß Du eben so zärtlich als tapfer bist; ich weiß, daß wenn Dein Auge auf seinem Gesichte ruht, welches Du durch das meine erkennen kannst, Du daran denken wirst (und sie ließ sich von ihrem Geliebten an seine Brust drücken, während ihre Stimme durch Thränen erstickt wurde, die sie nicht länger zurückhalten konnte) – daß Du daran denken wirst, daß er – der Bruder Deiner Lenore ist!“ –

„Möge mich Gott verlassen,“ schrie Hans, „wenn ich es nicht thue! Der Arm soll verdorren, der anders auf sein Haupt fällt als in Güte und Gnade!“

Er hatte kaum geendet, als ein ferner Kanonendonner das Anrücken des Feindes verkündete, der bereits die Außenposten der Tyroler angegriffen hatte. Hans drückte seine Geliebte an sein Herz, küßte ihre blasse, feuchte Wange und sprang über die Felsen hinweg zum Sammelplatze seiner Kameraden.

Als Hans das Hauptquartier der Tyroler erreichte, fand er Alles in guter Ordnung. Hofer war von seiner zuverlässigen Schaar umgeben; jeden Augenblick kam ein Bote mit Nachrichten an; die Bewegungen der Baiern waren so gut bekannt, als hätte man ihre ganze Armee vor Augen und kein anderes Gefühl ward in den Reihen der Tyroler laut, als Ungeduld.

Einige kleine Abtheilungen waren abgesendet worden, um den Feind bei seinenn Eintritt in die Gebirgsthäler zu beunruhigen; allein es war beschlossen, daß das Hauptcorps einen entscheidenden Kampf in der vortheilhaften Stellung versuchen sollte, die es gegenwärtig einnahm.

Unter diesen Umständen machten die Nachrichten, welche Hans brachte, wenig Eindruck auf die Anführer. Er hatte keine andere Gewährschaft als die eines Mädchens, welches als halb närrisch galt und deren Bruder vor allen Dingen in bairischen Diensten war. Außerdem war Hans zu glücklich auf der Jagd und bei den Preisschießen gewesen, um ohne Feinde zu sein, und das Resultat seiner Mittheilung war ein Befehl, entweder zu den Plänklern zu gehen, oder hinten zu bleiben.

„Ihr werdet dies bereuen!“ sagte der Gemsenjäger, als er seinen Hut ärgerlich in die Stirn drückte und sich anschickte, fortzugehen. „Ich für meinen Theil habe kein Recht, mein Vaterland zu verlassen, weil seine Angelegenheiten durch unfähige oder eigensinnige Leute geführt werden. Ich gehe, um wenigstens eine treue Brust zwischen den Tyrannen und sein Opfer zu werfen.“

Eine Stunde, nachdem er den Rath der Anführer verlassen hatte und Lenore allein in ihrer Wohnung saß, hob sich die Klinke und Hans, dem sein Lieblingshund folgte, trat mit schnellen aber nicht übereilten Schritten herein.

„Lenore,“ sagte er ihre Hand ergreifend und sorgenvoll in ihr abgezehrtes, marmorbleiches Gesicht blickend, „sind die Nachrichten, die Du mir gabst wahr, so wirst Du mich nicht mehr wiedersehen. Nimm diesen Hund, laß ihn mir nicht dahin folgen, wo vielleicht ohne ihn zu viel Todte sein werden. Lenore, falle ich, so hab’ ihn meinetwegen lieb und glaube bis zum letzten Augenblicke Deines Lebens, daß Du, nach meinem Vaterlande, mir das Theuerste auf der Welt warst.“ Während er so sprach, küßte er ihre blassen Lippen und ging.

„Hans!“ rief sie aufspringend und ihm zur Thüre nacheilend, „denke daran, daß Du Lenorens Leben bist!“

„Lebe wohl – lebe wohl!“ – Der Hund winselte und heulte vorwurfsvoll, als er sich von seinem Herrn getrennt sah; Lenore warf sich auf die Knie, um ihren sinkenden Muth durch Gebet aufzurichten.

Schrecklich verging der Tag und Lenore, welche durch ihr Gebet Ruhe gefunden hatte, wurde auf’s Neue durch Gedanken emporgeschreckt, welche sich dunkel und unbestimmt gleich Gespenstern in ihrem Traum erhoben. Diesen Augenblick horchte sie, ob sie nicht irgend einen unterscheidbaren Laut von der Schlucht her vernehmen könne, – im nächsten lief sie an die Thür, als sei sie entschlossen, ihrem Geliebten zu folgen und sein Schicksal zu theilen. Eine geheimnißvolle Ahnung hielt sie jedoch stets zurück; wenn sie ihre Hand zur Klinke erheben wollte, so zitterte sie und es fehlte ihr der Muth sie zu öffnen, und endlich setzte sie sich wieder, denn ihre Beine konnten sie in der That nicht länger tragen, und versank in eine Art von Gefühllosigkeit, welche – wenn dergleichen möglich ist – gleich Elend ohne Bewußtsein zu sein schien.

Aus diesem Zustande ward sie emporgeschreckt durch ein Geheul von Hansens Hund, das durch das Haus erschallte. Das Thier hatte lange Zeit in tiefem Schlaf gelegen; allein durch einen Traum erweckt, sprang es auf und blickte ernsthaft und jammervoll in Lenorens Gesicht. In diesem Augenblick durchkreuzte der Gedanke an ihren Bruder ihren Kopf. Ihr Herz klopfte heftig, denn sie hatte, seit Hans sie verlassen, nicht an ihren Bruder gedacht.

„O heilige Mutter Gottes!“ rief sie fast kreischend, „wenn er falsch sein könnte, – und ich habe das Blut meines Zwillingsbruders für einen Kuß verrathen! Warum heultest du, stummer Zeuge? Warum, mein treues Thier?“

Der Hund winselte, leckte ihre Füße, und kroch dann auf dem Bauch zur Thür.

„Geh – fliege und ermahne ihn, den Bruder seiner Lenore zu schonen!“ rief sie, und mit fieberhaft gerötheten Wangen und dem Feuer des Wahnsinns im Blick öffnete sie die Thür, und als der Hund mit freudigem Gebell davon sprang, sank sie in einen Stuhl und brach in ein schreiendes, hysterisches Gelächter aus, welches weithin im Dorfe gehört wurde.

Hans hatte unterdessen, wie gewöhnlich bewaffnet, allein den Weg nach dem geheimen Engpaß eingeschlagen. Er lag hier zwei Stunden lang unter demselben Felsen, der Lenoren als Beobachtungsplatz gedient hatte, in der Absicht, mit seiner nimmer fehlenden Büchse die Führer der Baiern wegzublasen, wenn sie vorrückten, und dann mit dem Schwert in der Hand den Engpaß so lange zu vertheidigen, als seine Kräfte ausreichen würden.

Dadurch wurde für seine Landsleute wenigstens Zeit gewonnen, denn der Pfad war so eng, daß er es nur mit einem der Feinde auf einmal zu thun haben konnte. Kein Feind zeigte sich jedoch; allmälig bezog sich der Himmel immer schwärzer und es fing an zu regnen, als ob Himmel und Erde zusammen kommen wollten.

Hans ward ungeduldig. Er fing fast an, die erhaltene Nachricht zu bezweifeln, stand endlich von seinem Lager auf und in das Dickicht von Föhren und Lärchen lauschend, beschloß er, die Schlucht bis zu ihrem Ende auszukundschaften, um entweder mit den Baiern zusammenzutreffen, oder sich zu überzeugen, daß Lenore sich geirrt habe.

Er war noch nicht weit gegangen, alle Augenblicke horchend und um sich schauend, wie ein Wild aus seinem Lager, als ein dumpfes unbestimmtes Gemurmel im Grunde der Schlucht ihn überzeugte, daß die Zeit und die Feinde gekommen wären. Sie wurden ihm durch eine Reihe von Felsen verborgen, welche über den Fluß hinweg hingen, und krochen wahrscheinlich mühsam längs des Randes des Wassers – wenn nicht die bisherige Dürre, die erst seit den letzten zwei Stunden unterbrochen war, ihnen einen breitern Weg für ihren Marsch vorbereitet hatte.

Da der Streifen von Dickicht ohne Unterbrechung von dem Platze, wo er stand, bis zu dem fortlief, den er sich zum Schauplatz seines Kampfes ausgewählt hatte, so war der Weg ohne Gefahr, und selbst wenn der Zwischenraum weniger gedeckt gewesen wäre, so war es bei der Plötzlichkeit und Heftigkeit des Regens nicht unwahrscheinlich, daß die Gewehrschlösser seiner Feinde durchnäßt waren, da die Baiern in solchen Dingen in ihrer Ausrüstung weit weniger vorgesehen waren, als die tyroler Jäger.

Hans entschloß sich daher, die Seite der Schlucht hinabzugleiten, um durch die Zwischenräume der Felsen einen Blick auf die Truppen zu erlangen, gegen deren Uebermacht er kämpfen sollte, und im Fall der Entdeckung verließ sich der Gemsjäger auf seine Büchse und auf die Schnelligkeit seiner Füße.

Als er den Rand des Dickichts erreicht hatte, fand er, daß zwischen demselben und dem Felsen noch ein beträchtlicher Erdabhang lag, von welchem der Regen den Pflanzenwuchs hinweggespült hatte. Während er überlegte, ob es möglich sein würde, ihn im Fall der Entdeckung mit genügender Eile wieder zu erklimmen, brach der Baumast, an welchem er sich hielt und er schnurrte – nicht ganz willenlos, aber doch ohne die Vorsicht, die er sonst angewendet haben würde – bis an den Rand des Felsens,

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