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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

selbst voll ungetrübten Sonnenscheins, weben und spielen schimmernde Lichtwellen um die Krautblätter, fließen in zitterndem Wogenschlage über die grünen Grasebenen und reichen als duftiger Streifen weit hinaus über den Rand ferner Bodenhebungen. Jetzt huschen zierliche Erdhäschen durch das Krautgestrüpp, spielen und tändeln mit einander im Sonnenschein, jagen sich durch ihre Löcher in den Hängen der Thäler, die sie meilenweit unterhöhlt haben, lassen hier und dort ihr melancholisches Zirpen vernehmen, richten sich neugierig empor, wenn sie einen Menschen erblicken, fliehen, richten sich langsam von Neuem auf und schlüpfen behend in ihr Erdloch, wenn sie Gefahr sehen. Klagend wiegt sich der Kiebitz in Schwärmen über den Weiden, jagen silberweiße Falken; weiden auf kahlen Strichen Trappenhorden, die der listige Kosack nicht selten beschleicht, kreisen Adler in den Lüften, fliegen Geier nach gefallenen Steppenthieren, schreit der Wiedehopf, speist das Birkhuhn Wurzeln und Larven, ziehen Schwärme von wilden Tauben rauschend hin und wieder, denen Habicht und blutrothe Falken folgen, schleicht der Wolf den Heerden nach, wandert die numidische Jungfrau bedächtig durch das Gras, als ob sie die beiden Federlocken hinter dem Ohre zu verletzen und ihren Schwanenhals anzustrengen fürchte. Während die graugelbe Lerche in den Lüften schwebend singt, die Biene summend die Blumenfelder durchirrt, das Heimchen an sandiger Stelle zirpt und der Kiebitz wehklagt, tönt Tag und Nacht der schaurige Unkenruf aus allen feuchten Thälern, wimmelt es auf lockern Flächen von Kröten, in feuchten Niederungen von buntschillernden Eidechsen, in den Flußthälern von Schlangen. In den Flüssen grünen die meilenlangen und meilenbreiten Rohrwaldungen, zwischen denen sich die schmalen Wasserfäden der Flüsse hindurchwinden, und in dem Schilf lärmt und zwitschert es von Zeisigen, Staaren, Stieglitzen, schlägt die Drossel und die Nachtigall, schreit die Dohle, wimmert die Eule, schnattern zahllose Gänse und Enten, tummeln sich Pelikane in Heerden von mehreren Hunderten, heult der Wolf, schleicht die verwilderte Katze und der zottige mordgierige Steppenhund, über sie schießt der milchblaue Falke und schreckt die lärmende Gesellschaft in das Schilfdickicht, wohin es mit großem Geschrei flüchtet.

Kaum sprießt das junge Gras aus dem reichlich getränkten Boden, so verlassen auch die abgemagerten Steppenheerden die Winterschuppen, in denen sie die Winternächte und stürmischen Wintertage verbrachten. Mit ungeduldigem Getrampel erwartet die Roßheerde, die oft gegen 1000 Stück zählt, die freie Weide auf der offnen Steppe. Wiehernd und den Boden stampfend geht es hinaus auf die unabsehbaren Grasflächen. Wie trefflich mundet das junge Gras, wie wächst da den abgemagerten Rossen der Muth, wie toben sie bald in wilden Sprüngen auf und nieder, daß sie der Roßhirt mit der langen Peitsche kaum zusammen halten kann! Unstät umreitet er die Heerde und muß deshalb oft das Reitpferd wechseln, denn bald hat er weit abirrende Pferde heranzuholen, bald die Hengste auseinander zu bringen, wenn sie mit Gebiß und Vorderfuß schnaubend und schreiend um die Oberherrschaft und Rangordnung in der Heerde kämpfen. Noch mühevoller ist sein Amt des Nachts oder bei Sturmwetter, vor welchem die Heerde zuweilen in wilder Flucht auseinander stiebt. Der wettergebräunte, langbärtige Hirt verwildert bei seinen Pferden; Hitze, Kälte, Regenguß und Sturm muß er ertragen, denn sein haariger Lederwams und Lederbeinkleid, sein grauwollner Mantel mit der Kapuze schützen ihn nur nothdürftig. Sieh, wie trotzig er zu Roß sitzt, seine hohe Gestalt noch durch die hohe Mütze aus Lämmerfell vergrößert und mit dem dunkel blitzenden Auge die Heerde überschauend! Küche, Zelt, Kleiderschrank und Waffen trägt er stets bei sich, denn am Sattel hängt der lange Fangriemen und die Keule mit dem Eisenknopf, am Leibgurt das Wasserfaß, Tabaksbeutel, seine Arzneikästchen, der Brotsack und allerlei Schmucksachen; auf dem Roß schläft er und ißt er. Nur zuweilen besucht er nach einem scharfen Nachtritt einen Steppenkrug oder hält mit seinen Genossen auf einem Mongolenhügel eine Zusammenkunft, um mit ihnen einige Stunden zu verplaudern, Verabredungen zu treffen oder zu würfeln.

Die Sommermonate hindurch durchstreift der Roßhirt mit seiner Heerde die Steppe, langsamer durchzieht sie der Schafhirt, der von den Hunden, Gehülfen und dem Ochsenwagen mit Lebensmitteln und Pelzen erlegter Wölfe begleitet, die langöhrigen Thiere mit dem Fettschwanze oder Merinos von Weideplatz zu Weideplatz treibt, sie mit dem langen Hakenstock in Ordnung hält und Nachts mit den Wachen der Hunde und Gehülfen umstellt, damit der Wolf nicht eindringt. Des Abends melkt er die milchgebenden Schafmütter, während ein Gehülfe das Mahl bereitet und durch den lauten Schlag an den Kessel die Genossen zu Tische ruft. Auf andern Triften weidet der Rinderhirt seine hochbeinigen silbergrauen Rinder, die ihm zwar manche Ruhestunde erlauben, wenn sie wiederkäuend auf der Steppe rasten, aber ihm durch ihren Eigensinn und ihre Ungeduld manche Noth machen.

Kaum zwei Monate dauern diese Frühlingsfreuden, denn die Sonne brennt mit jedem Tage heißer hernieder und so oft sich auch Gewitterwolken sammeln, so läßt sie die aufsteigende Hitze doch nie in Regen sich entladen, sondern treibt sie sturmschnell nach dem Meere, wo das Wetter losbricht. Die Gräser wenden trocken, die Thiere müssen mühevoller nach frischerem Gras suchen, liegen während der Tageshitze am Boden oder stehen dicht gedrängt neben einander, um sich gegenseitig Schatten zu machen, indem sie durch Hin- und Herschaukeln des Kopfes sich Kühlung zu verschaffen suchen. Plötzlich brechen Streitigkeiten aus, wenn ein Thier das andre gestoßen hat, die ganze Heerde geräth in Aufruhr, den die Peitsche nur mit Mühe beschwichtigt. In der Dämmerung aber leuchten die gelbglänzenden Augen des Wolfes aus dem Steppengrase, in welches er sich geduckt hat, um ein von der Heerde abkommendes Thier zu überfallen, ihm mit einem Sprunge am Halse zu sitzen und mit einem Ruck die Gurgel auszureißen, daß es zappelnd zu Boden stürzt. Doch der wachsame Hengst hat den Feind bemerkt, er schnaubt pfeifend durch die Nüstern, stürmt auf den Feind ein, die ganze Heerde folgt ihm in geschlossener Kolonne, und der Wolf muß froh sein, wenn er den Wüthenden noch entrinnen kann. Sehr häufig werden die Heerden durch Wölfe allarmirt, zuweilen kommt es aber auch zu erbitterten Zweikämpfen, wenn zwei Roßheerden sich begegnen; denn sofort springen die Hengste vor, um sich zum Kampfe herauszufordern.

Ehe jedoch das Gras ganz abwelkt, bietet die Steppe noch ein andres Lebensbild; denn die menschenarme Steppe füllt sich plötzlich mit jubelnden, singenden Menschen. Sieh, von der Ukraine wie aus den Städten der Meeresküste jagen Leiterwagen voll Männer und Weiber in wildem Fluge durch die Steppe, daß der schwarze Staub in langen Wolken emporwirbelt. Es ist die Zeit der Heuernte, in welcher man viel rüstiger Hände bedarf, weshalb von allen Seiten her Arbeiter gedungen und in die Steppe geschafft werden. Von früh bis Abend klingt die Wiese nun wieder vom Gesang der Weiber, vom Rauschen des fallenden Grases und vom Gehämmer des Sensenschärfens, und des Abends sammeln sich malerische Gruppen um das dünne Kochfeuer. Männer schärfen Sensen, Andre ruhen in den Pelz gewickelt, Frauen und Mädchen singen und schwatzen, in der Ferne aber sieht man den hochbeladenen Heuwagen nach dem Platze fahren, wie die Heuschober nach Art der Häuser reihenweise aufgebaut und die Schoberdörfer mit Wall und Graben umgeben werden. Nicht minder lebhaft ist’s im Schilfwald geworden, da mit Schilf ein großer Handel getrieben wird, weil es als Hausdach und Hauswand dient, als Gartenzaun und Brennmaterial benutzt wird. Ganze Regimenter sendet die Krone zum Schilfschneiden, ganze Städte und Dörfer wandern aus; da werden Wege durch Sumpf und Fluß mittelst der Schilfbündel gebaut, da rauscht es von Sensenhieben, vom Jubel der Arbeiter, da schwirrt es von aufgescheuchten Enten, Gänsen und Pelikanen, da giebt es mitunter ein Wolftreiben, oder einen Jagdfang, bis nach wenigen Wochen der Erntejubel auf der Steppe und am Fluß verstummt, die Menschen verschwinden und den Heerden wie dem Wild freien Raum gewähren. Schweigend liegt die Steppe in der Sonnenglut; aus den Regenschluchten steigt ein glühendheißer Luftstrom, weite Risse klaffen auf am steinharten Boden, das Gras verdorrt. Teiche und Brunnen verdunsten, das Vieh magert ab und erträgt mit Ungeduld Hitze und Durst in schattenloser Steppe. Unaufhaltsam trabt die sonst so langsame Heerde dem Tränkplatz zu und tritt regelmäßige gradlinige Pfade aus; am Brunnen des Dorfes steht sogar eine Schutzwache. Schwarzer Staub steigt bei jedem Schritte empor und mehrt die Qualen der Hitze; das Gras zerfällt mürbe in Asche, die Luftspiegelung zeigt ihre trügerischen Wasser- und Baumlandschaften, träge liegen die Heerden den Tag über in der Sonne, verlieren den Appetit und die Lebenslust. Erst mit Anfang des Septembers

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 459. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_459.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)