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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

einmal, zwischen Liederstedt und Reinsdorf (dem Städtchen Nebra gegenüber), dem Feinde die Stirn geboten und immer neue Frankenschaaren heranzogen, warf er sich in seine Hofburg. Die Waffen, namentlich die gewichtigen Streitäxte[1]) seiner Thüringer, hatten unter den Feinden so gewüthet, daß diese, obgleich Sieger, sich genöthigt sahen, die Sachsen zum Antheil am Kampfe anzurufen. Bald rückten denn auch 9000 Mann dieser Hülfsvölker heran, geführt von Herzog Bärnward dem Askanier. Ihr Haar reichte bis auf den Schwertgriff herab und sie waren so große und stammhafte Leute, daß selbst ihren Bundesgenossen vor ihnen bange ward. Die Sachsen waren es denn auch, welche endlich – im October 528 – Schidingi, Stadt und Burg, erstürmten. Nachdem sie ihre ungeheure Beute in Sicherheit gebracht, zündeten sie den Ort an. Die Einwohner waren bereits größtentheils niedergeschlachtet.

Befand sich das thüringische Königspaar auch unter den Ermordeten?

Amalberga war mit dreien ihrer Kinder entflohen und erreichte glücklich Italien, wo sie ihr Bruder Theodat, König der Ostgothen, in Schutz nahm. Ihr Sohn Amelfried kämpfte später als Reiteranführer des oströmischen Kaisers Justinian mit Auszeichnung gegen die Gepiden und starb dann als der letzte männliche Sprosse seines erlauchten Geschlechtes im fernen Morgenlande. Seine Schwester Rotelinde wurde mit dem Longobardenkönig Audoin und seine andere Schwester Ranekunde mit dem König Walcho vermählt.

Hermannfried entkam ebenfalls. Als er jedoch auf eine „freundschaftliche Einladung“ Theuderich’s des Franken (im Jahre 531) nach Zülpich am Rhein ging, ließ ihn dieser dort bei einem Gange aus den Befestigungswerken der Stadt in den Wallgraben stürzen, so daß er elendiglich ertrinken mußte. Eine andere Sage, der auch Jahn Glauben schenkte, berichtet hingegen, daß der letzte Thüringerkönig nach dem Falle Schidingis im nahen Eichenhaine bei der Mündung der Hassel in die Unstrut auf sein Bitten von dem ihn begleitenden Waffenträger erstochen worden sei.

Mit der Schlacht an der Unstrut endigte das thüringische Königreich nach einer Dauer von hundert Jahren. Die Sachsen erhielten die Gaue zwischen der Unstrut und dem Harzgebirge (Nord-Thüringen), das eigentliche Thüringen ward fränkische Provinz, und in die noch wenig angebauten Lande zwischen der Saale und Elbe wanderten slavische Stämme ein. Die zerstörte Hauptstadt aber fiel an Bärnward den Askanier.

Als wir so die historischen Vorfälle durchsprachen, sagte Jahn unter Anderm – und der Ton seiner Stimme zeugte dabei von einer bei ihm seltenen, innigen Wehmuth: – „Ich liebe es sonst nicht, in fremden Zungen zu reden; aber so oft ich nach Burgscheidungen gekommen, so oft ist mir auch der Ausspruch entfahren: „Sic transit gloria mundi!“ Und nach einer Pause fuhr er fort: „Hermannfried mag den einen seiner Brüder erschlagen und gegen den andern in offner Feldschlacht gekämpft haben; aber die Beweggründe hiervon sind jedenfalls anderer Natur, als sie uns von seinen Widersachern, den fränkischen Geschichtsschreibern, namentlich von dem listigen Bischof von Tours, Gregorius, geschildert werden. Die Thüringer waren so recht geeignet, ein Dauer-Volk zu werden – und dazu wollte sie ihr unglücklicher König machen. Fränkische Federn haben ihn und die Seinen mit Unrecht angeschwärzt und mein Freund Luden spricht wahr, wenn er in seiner Geschichte des deutschen Volkes von dem thüringischen Königshause sagt: Es ist nicht angefüllt mit Haß, Blut und Mord, sondern mit Wohlwollen, Treue und Liebe. – Und nun erst die hochsinnige Amalberga! Wohl lebe ich des Glaubens, daß alles Böse, so in die Welt gekommen, entweder einen Pfaffen oder aber ein Weib zum Ursprunge gehabt; aber dieses Weib hat man verläumdet. Amalberga, unter den Augen ihres großen Ohms, Theodorich, herangewachsen, gebildet von dessen Geheimschreiher, dem vortrefflichen Cassiodor, sie, die Herzensfreundin der edlen und geistreichen ostgothischen Königstochter Amalasuntha – wie hätte sie hier in unserm traulichen Thüringen mit einem Male so umschlagen und Brudermord anstiften sollen?! – Ihr großer Ohm schreibt in einem Briefe an Hermannfried über sie unter Anderm Folgendes:

„Wir senden sie Dir als eine Zierde Deines Hofes, als eine Vermehrerin Deines Geschlechts, als eine treue Gehülfin Deiner Rathschläge, als eine liebliche Süßigkeit der Ehe, welche nicht nur die Last der Herrschaft mit Dir theilen, sondern auch Dein Volk durch bessern Unterricht bilden wird. Das glückliche Thüringen wird nun besitzen, was Italien gepflegt hat; denn gebildet in den Wissenschaften, und der feinen Sitten kundig, ist sie nicht allein durch ihre Abkunft eine Zierde, sondern auch durch ihre weibliche Würde: so daß Dein Vaterland nicht weniger hervorleuchten wird durch ihre edle Sitte, als durch seine Triumphe.“

Gegenwärtig ist Burgscheidungen nur ein mäßiges Dorf; doch hat es noch immer ein recht stattliches Schloß. Dasselbe liegt auf einem isolirten Berge hoch über der Unstrut und soll sein südlicher Theil, wie Jahn behauptete, ein Fragment der alten Königsburg sein. In der That zeugt dieser Theil, namentlich die steinerne Wendeltreppe, von einem alten Ursprunge und contrastirt in seiner Bauart gewaltig mit den übrigen Parthien, die erst in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts und zwar von dem Reichsgrafen Johann Mathias von der Schulenburg im ächten Rokokostil erbaut worden sind. Ein äußerst geräumiger Saal wird außer vielen andern werthvollen Oelgemälden auch von dem Bilde dieses berühmten Feldherrn geziert. Als General-Feldzeugmeister der „erlauchten“ Republik Venedig kämpfte er auf der Insel Corfu gegen die Türken so glücklich, daß ihm noch bei seinen Lebzeiten dort zum Dank der Senat ein Standbild errichten ließ, das die Inschrift enthielt: „Christianae reipublicae fortissimo assertori.“ Auch war er es, der im Jahre 1704 durch die Art und Weise, wie er die sächsische Armee rettete, selbst dem so kriegskundigen Schwedenkönig Karl XII. Achtung abzwang, indem dieser gestand: „Heute hat mich der Schulenburg besiegt.“

Das Schloß ist mit herrlichen Parkanlagen umgeben und gewährt wundervolle Aussicht; denn die hier in mäandrischen Krümmungen sich hinschlängelnde Unstrut mit ihren schmucken Schifflein, die stattlichen Berge mit waldigem Haupt und Rebengewand, die üppigen Wiesen, geziert durch Gruppen schöner Obsthaine, die reichen Saatfelder und die unzähligen freundlichen Dörfer: – Alles dies macht diese Landschaft zu einer der schönsten in Thüringen.

Burgscheidungen, noch jetzt der gräflichen Familie Schulenburg gehörend, wurde im Jahre 952 von Kaiser Otto dem Großen, dem bekannten ritterlichen Herzog Hermann Billung als ein „Mark“ überlassen. Im Jahre 1320 kam es an einen gewissen Beringer, der sich von der Zeit an von Scheidingen nannte. Spätere Besitzer waren: die Herren von Wiehe, die Grafen von Hoym und der Feldmarschall von Flemming, von dem es dann in den Besitz der Familie Schulenburg überging. Derselben gehört auch das in der Nähe gelegene so freundliche Dorf Kirch-Scheidungen, woselbst im Jahre 1784 der bekannte Philolog und Griechenfreund Friedrich Wilhelm Thiersch geboren wurde.

„Nun aber müssen wir Sie Ihrem Schicksale überlassen“ – sagte Jahn zu meinem berliner Reisegefährten – „denn die Abenddämmerung tritt bereits ein. Wenn Sie nach Ihrem Sand-Jerusalem, Berlin, zurückgekehrt sein werden, können Sie bei Ihrem Hausnachbar nach rechts als mein außerordentlicher Botschafter auftreten. Dieser vornehme Bummler hat nämlich unter die Leute gebracht, ich läge immerwährend auf der Bärenhaut, weil mich das Zipperlein plage. Sagen Sie ihm, er solle sich um seine Vatermörder und nicht um mich bekümmern. Wie die Verfassung meiner paar Unterthanen beschaffen, das haben Sie die beiden Tage erfahren, namentlich heute, wo Sie mehr als ein Mal über meinen Turnerschritt geseufzet. Und nun wenden Sie sich dort süd-westlich nach dem Saubach-Thale: in ¾ Stunden können Sie – am Wasser aufwärts – ihr heutiges Ziel, Bibra, erreichen. Morgen besuchen Sie dann die Steinklebe, jenen hohen und schönbewaldeten Berg unterhalb Wendelstein, auf dem im Jahre 640 der Thüringerherzog Rudolf die Franken bis zur Vernichtung geschlagen. Möge unser herrliches Thüringen denn auch Ihre Seele erfrischen und der güldene Mund seiner Sagen Sie erquicken! Gut Heil!“ –

  1. Solcher Streitäxte hat man erst neuerdings wieder bei Burgscheidungen aufgefunden. Sie sind schwerer als die der andern deutschen Stämmen in Gebrauch gewesenen und unterscheiden sich außerdem auch durch ihre eigenthümliche Form. Man kann an ihnen nicht gut herausfinden, wie der Schaft befestigt gewesen sein mag.
    Anmerk. d. Verf.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 452. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_452.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)