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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

und nehmen, wie man bestimmt nachgewiesen hat, etwas Sauerstoff auf, den sie aus der Luft anziehn, oxydiren sich also. Sie treten dann in Beziehung zu dem vorhandenen Gummi, wobei das letztere in Pflanzenfaser (Holzsubstanz) übergeht, welche sich zu einer dünnen, etwas Eiweisstoff umhüllenden Membran gruppirt. Der Traubensaft wird trüber, denn es entstehen auf die eben angedeutete Weise eine große Menge sehr kleiner, nur mit Hülfe des Mikroskopes sichtbarer Kügelchen. Diese Kügelchen zeigen den niedrigsten Grad von Lebenserscheinungen; sie sind kleine, der Klasse der Pilze (Gährungspilze) angehörige Pflänzchen, denen man den Namen Hefe gegeben hat. Die Hefebildung macht in wenigen Stunden große Fortschritte und fast alle Eiweißstoffe, sowie das Gummi, vielleicht auch etwas Zucker des Traubensaftes werden hierzu verwendet. Allein der von der Membran des Hefekügelchens eingeschlossene Eiweißstoff erleidet eine weitere Veränderung und tritt dann zum Theil durch die Poren der Membran wieder in die Flüssigkeit heraus. Auch hier zersetzt er sich fortwährend, kömmt mit dem Zucker des Saftes in Berührung und theilt diesem seinen Zustand mit, wirkt als Gährung erregendes Ferment auf ihn, so daß er zu Weingeist und Kohlensäuregas zerfällt. Wie von einem brausenden Sturme getrieben, pflanzt sich die Zersetzungsbewegung von einem Zuckertheilchen auf das andere über. Die Flüssigkeit geräth in die lebhafteste Bewegung; sie scheint zu kochen, sie schäumt und zischt. Von kleinen Gasbläschen getragen, steigen die Hefekügelchen geschäftig in die Höhe, geben an der Oberfläche das Gas ab und sinken, um mit neuer Ladung emporzusteigen.

Das ist ein Treiben und Leben,
Ein Sinken und Heben,
Daß nirgend auf Erden
Es toller sein kann.

Ungefähr 10–14 Tage dauert dieser lebhafte Kampf fort; dann tritt wenigstens scheinbare Ruhe ein. Die stürmische Gährung ist vorüber. Ihr folgt die stille Gährung oder Nachgährung. Die Schaumdecke verschwindet, das Blasenwerfen und Zischen wird immer schwächer, die Hefekügelchen, die sich größtentheils ihres Inhaltes entledigt haben, sinken, nebst einer großen Menge von sich ausscheidenden mineralischen Salzen und wirklichen Unreinigkeiten zu Boden und bilden einen schmutzigen schlammigen Satz, von welchem der entstandene Halbwein rasch auf neue Fässer abgezogen wird. Der Halbwein ist noch trübe, schmeckt weinig, sauer und scharf und wirkt nun schon berauschend. Er verändert sich aber fortwährend; denn durch die vorhandenen, aus den niedergefallenen Hefekügelchen ausgetretenen Eiweißstoffe werden immer mehr Zuckertheile zum Zerfallen in Kohlensäure und Weingeist angeregt. In dem Maaße, als sich aber mehr Weingeist bildet, werden andere Körper in der Flüssigkeit unlöslich; es entsteht daher ein neuer Bodensatz, der weniger Eiweißkörper und Hefetheilchen enthält als der erste, dagegen größtentheils aus dem sauren weinsteinsauren Kali, aus weinsteinsaurem Kalk, weinsteinsaurer Magnesia und bei rothen Weinen aus einem Theile des Farbstoffes und der Gerbsäure besteht und sich in Form einer festen krystallinischen Kruste, als sogenannter roher Weinstein ablagert. Die Flüssigkeit nimmt nun immer mehr den Charakter des Weines an; sie wird noch oft auf frische reine Fässer abgezogen, um zu vermeiden, daß die Bestandtheile des sich fortdauernd ablagernden Bodensatzes eine seiner Entwicklung nachtheilige Einwirkung ausüben; oft wird er auch durch Beimischung verschiedener Mittel rascher geklärt oder geschönt und dann in die Fässer zum Lagern gefüllt. Der junge Wein ist nun fertig und daher wollen wir zunächst einen kurzen Vergleich zwischen seinen Bestandtheilen mit denen des Traubensaftes entwerfen.

Wie im Traubensafte, so haben wir auch im Weine als Hauptmasse das Wasser, welches gleichsam das gemeinschaftliche Lösungsmittel aller Weinbestandtheile ist, dieselben zu einem Ganzen verknüpft. Wir finden in jedem Weine freie Säuren; Zucker, doch stets viel weniger als im Traubensafte; Weingeist; veränderte (oxydirte) Eiweißstoffe; eigenthümliche Riechstoffe; sogenannten Extractivstoff, der aber der Hauptsache nach aus Zucker, Gummi und veränderter Gerbsäure besteht; und Salze, doch ebenfalls in viel geringerer Menge als im Traubensafte. Die rothen Weine enthalten außerdem noch den blauen Farbstoff der Beerenhüllen, der durch die Säuren geröthet worden ist und mehr oder weniger Gerbsäure. – Die Säuren des Weines sind im Allgemeinen denen des Traubensaftes entsprechend. Ein saurer Most liefert daher auch einen sauren Wein und umgekehrt. Die Weinsteinsäure, welche, wie wir gesehen haben in größter Menge im Traubensafte vorkommt und vorzüglich den sauren Charakter desselben bedingt, verändert sich nämlich bei der richtig geleiteten Gährung des Mostes nicht oder nur wenig und findet sich daher ziemlich ihrer ganzen Menge nach auch im Weine. Nur während des langjährigen Lagerns der Weine scheint sie langsam mit dem Weingeist in Beziehung zu treten und in neue nicht saure, eigenthümliche Verbindungen überzugehen, daher alte Weine immer weniger sauer sind, als junge. Ein gewisser Säuregehalt gehört jedoch zu den wichtigsten Erfordernissen eines Weines und übt einen höchst wesentlichen Einfluß auf den Geschmack und die Eigenthümlichkeit desselben aus. Im Allgemeinen kann man sagen, daß ein Wein in je 1000 Theilen wenigstens 41/2 Theil, am besten 6 Thle., höchstens 7 Thle. freie Säuren enthalten muß und daß ein Wein von zu geringem Säuregehalt ebenso wenig gut schmeckt als ein zu Säure-reicher. Die Weine enthalten übrigens auch Säuren, die wir im frischen Traubensafte nicht finden, so namentlich die Essigsäure, welche bei einer zu lebhaften Gährung auf Kosten des Weingeistes entsteht, besonders wenn während der Gährung die Luft nicht möglichst abgehalten wird. Die Essigsäure ist in geringer Menge wohl in jedem Weine enthalten; doch wird sie der Haltbarkeit eines Weines gefährlich, weshalb man ihre Bildung möglichst zu vermeiden suchen muß; denn sie gehört durchaus nicht zu den nothwendigen Weinbestandtheilen. Die jungen Weine enthalten auch aufgelöste Kohlensäure, besonders wenn die Gährung bei niedriger Temperatur vor sich ging. Sie verdanken dieser schwachen Säure ihren prickelnden Geschmack und ihre Eigenschaft, beim Ausgießen zu perlen oder bei mehr Kohlensäure zu schäumen. Weine, welche noch Zucker und Eiweißstoffe enthalten, beginnen alle Frühjahre, sowie die wärmere Witterung eintritt, von Neuem zu gähren und Kohlensäure zu entwickeln; eine üble Eigenschaft, die leicht die Ursache zu ihrem zu Grundegehen werden kann. Sie wird vermieden, wenn man den Most in Räumen gähren läßt, deren Temperatur durch künstliches Heizen allmälig auf 20° R. (25° C.) gesteigert wird. Hierbei erlangt man zugleich auch den großen Vortheil, daß die Kohlensäure vollständiger aus dem Weine entweicht, überhaupt die Gährung ziemlich mit einem Male beendigt und daher der Wein in viel kürzerer Zeit völlig ausgebildet gewonnen wird. – Der Zuckergehalt des Weines ist sehr verschieden. In den sogenannten sauren oder trockenen Weinen findet man im Durchschnitt noch 2–5 Procent; in einzelnen Fällen jedoch kaum ein Procent oder bis 12 Procent. Der Zucker des Weines ist etwas verschieden von dem Traubenzucker des Mostes. Er wird daher gewöhnlich Schleimzucker genannt, weil er nicht krystallisiren kann. Jedenfalls ist er durch eine allmälige Umwandlung des Traubenzuckers entstanden, welcher während der Gährung nicht zersetzt worden ist. Jeder Wein muß wenigstens eine geringe Menge von Zucker enthalten. Die süßen oder Liqueurweine sind stets sehr reich an Zucker und enthalten bis zu 26 Procent davon. Die Ursache, daß bei manchen Weinen so viel Zucker unzersetzt geblieben ist, rührt theils von der Eigenthümlichkeit des Zuckers her, in concentrirter Auflösung weniger leicht zu gähren, als in verdünnter, theils von der Eigenschaft des Weingeistes, die Gährung aufzuheben, sobald sich eine gewisse größere Menge desselben in einer Flüssigkeit gebildet hat. Ist nun der Most sehr zuckerreich, so wird bei seiner Gährung bald so viel Weingeist gebildet, daß die Gährung nicht mehr fortschreiten kann und der viele Zucker selbst wirkt derselben entgegen. Unter solchen Umständen muß daher ein süßer Wein entstehen. – Der Weingeistgehalt des Weines ist von der größten Wichtigkeit und trägt sehr viel dazu bei, die Kraft, den Geschmack, die Haltbarkeit und die Wirkung eines Weines zu bedingen. Der Weingeist findet sich, wie wir schon mehrmals erwähnt haben, nie in dem frischen Traubensaft, sondern ist neben der Kohlensäure, die wegen ihres luftförmigen Zustandes entweichen muß, das Hauptproduct, in welches der Zucker bei der Gährung zerfällt. Seine Quantität hängt also hauptsächlich von der Menge des sich zersetzenden Zuckers ab und beträgt in den verschiedenen Weinen 7–20 Procent. Ein Wein von geringem Weingeistgehalt ist sehr zur Zersetzung geneigt, indem der Weingeist in verdünnten Flüssigkeiten, besonders wenn die Luft zutreten kann,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 448. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_448.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)