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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Legenden, um Stoffe für die Bilder zu finden, womit er die stolzen Hallen des alten Stammschlosses schmücken sollte. Und war dann seine Seele von all’ den lieblichen Bildern erfüllt, ging er hinaus in die feierliche Stille des Parkes, um die einzelnen Gestalten, die vor ihm auftauchten, zu fesseln und zu einem lebensvollen Bilde zu vereinigen.

So war es an einem schönen Herbstabend. Der Mond schien hell und warf sein magisches Licht auf das buntgefärbte Laub. Da gewahrte er den Obersten mit seiner Braut im sinnigen Liebesgespräch lustwandeln. Indem er sich zurückzog, bemerkte er die düstere Gestalt eines Fremden, welche dem jungen Paare folgte. Aber der Fremde mußte ihn ebenfalls gesehen haben, denn alsbald war er verschwunden, und der Meister sah, von ferne folgend, das Brautpaar ungefährdet das Schloß erreichen. Der Fremde war im Park nicht zu finden. Dies Ereigniß hatte einen solchen Eindruck auf den Meister gemacht, daß er noch in selbiger Nacht die äußern Umrisse eines Bildes entwarf, das nachmals einen Theil der Halle auf dem von steinau’schen Herrensitze schmückte.

Der Hochzeitstag kam heran. Der Bund der Herzen ward am Altar geheiligt und die Gäste ergingen sich in heiterer Lust. Einschmeichelnde Melodien flogen durch den Saal und im wirbelnden Tanze flogen die Paare dahin. Der Oberst und Rosa standen seitwärts und die junge Gattin schien zu überlegen, ob sie den Wunsch des Gatten gewähren dürfe, der um die Blumen bat, welche ihre Brust schmückten, oder ob sie diese verweigern müsse, um sich als Herrin zu zeigen, die nicht nöthig habe, sich den Launen des gebietenden Eheherrn zu fügen. Aber indem sie noch sinnend dastand, hielt sie schon die schönste der Blumen in der Hand, um die Bitte des Geliebten auf das schönste zu erfüllen. Graf Eberhard stand seitwärts am Pfeiler und betrachtete seine Kinder mit dem gerechten Stolze eines Vaters, wenig achtend auf Alexis, der ihm eine Zeichnung brachte, die er morgen der lieben Rosa zum Geschenk darbringen und erst dem Vater zeigen wollte. Auch der wackere Meister war nicht weit und hatte bereits den Gedanken zu einem neuen Bilde empfangen, als er plötzlich in dem Gewühl eine Gestalt auftauchen sah, die dem Fremden, den er neulich im Park gefunden, auf ein Haar zu gleichen schien.

Das war kein Ungefähr. Der Meister ahnte irgend einen geheimnißvollen Zusammenhang. Er suchte in die Nähe des Fremden zu gelangen. Umsonst. Dieser hatte den Saal schon wieder verlassen.

Die Feste waren vorüber. Graf Eberhard begab sich auf sein fern am Meere liegendes Stammschloß. Der Meister folgte ihm dahin, um sein Werk sofort zu beginnen und Alexis ging an dessen Hand dem Traum einstiger hoher Künstlerschaft entgegen. Der Oberst und seine junge Gattin blieben in der Residenz.

Ein glückliches Jahr ging vorüber. Am Schlusse desselben legte der Oberst mit freudestrahlendem Gesicht einen Enkel in die Arme des Grafen. Die Fortdauer des so schön begonnenen Glückes schien für lange Zeit gesichert.

Mit dem Beginn des neuen Winters erschien Rosa an der Hand ihres Gatten wieder in der Gesellschaft. Die junge Mutter, strahlend in Anmuth und Schönheit, wurde von allen Seiten mit unerheuchelter Theilnahme begrüßt und Alle beeiferten sich, der jugendlichen Herrin eines erlauchten Geschlechtes ihre Huldigungen darzubringen.

Aber die Freude, die ihr so verführerisch entgegen lachte, währte nur kurze Zeit. Das Ungewitter, welches seit lange sich am Horizonte zusammenzog, brach endlich los. Den Meisten kam es unerwartet, sie konnten das schützende Dach nicht finden. Die Sturmglocken läuteten, die Trommeln wirbelten. „Feuer!“ hieß es dort, „Feuer!“ riefen sie hier. Das war kein zufälliges Zusammentreffen mehrerer Unglücksfälle. Das war ein vorher bedachtes Werk. Die allgemeine Verwirrung sollte den Rebellen die ersten Schritte erleichtern. Der Plan gelang. Ueberall wehten die Fahnen des Aufruhrs; seine wilden Lieder klangen bis in die entfernten Straßen. Wer sich gestern scheute, seine Unzufriedenheit laut auszusprechen, trat heute offen zu der Revolution über. Andere, die bis zur Stunde jeden Umsturz haßten, schlossen sich aus Furcht an. Die Hefe des Pöbels tobte mit wilder Siegesfreude in den Straßen und auf den Märkten, die noch nie eines solchen Anblickes Zeuge gewesen.

Und was in der Hauptstadt geschah, wiederholte sich im ganzen Lande. Die gesetzliche Gewalt, von der rohen Uebermacht erdrückt, lag ohnmächtig in Fesseln. Die Revolution behielt die Oberhand. Sie pflanzte ihre Banner auf und ihre Schreckensherrschaft begann. Alle, die es vermochten, wichen vor dem Ungeheuer zurück. Aus allen Thoren strömten die Vertriebenen in die Verbannung.

Die traurige Geschichte jener Tage wird hier nur berührt. Die Kunde von diesem Wechsel der Dinge gelangte auch endlich auf das entlegene Stammschloß des Grafen. Der Oberst sandte ihm die Botschaft und zugleich den Entschluß, vor dem Feinde nicht zu weichen, sondern ihm Widerstand zu leisten, so lange er es vermöge. Graf Eberhard rühmte den Muth des Sohnes und reiste sofort nach der Residenz, um gemeinschaftlich mit ihm zu handeln.

Er kam zu einem traurigen Anblick. Auf dem fürstlichen Schlosse hatte der Ausschuß für die allgemeine Wohlfahrt seinen Sitz aufgeschlagen und einer der einflußreichsten Mitglieder derselben war Theodor Steinau, wie er sich jetzt nannte. Sein Name stand unter den Dekreten, welche die allgemeine Ordnung der Dinge stürzten, und mit kaltem Hohn entwarf er die neuen Gesetze, durch welche der Staat der Zukunft regiert werden sollte.

Mit Energie arbeitete Graf Eberhard diesem Unheil entgegen. Er sammelte die Wenigen um sich, die auf dem Platze ausharrten und bewog viele, die in der ersten Bestürzung entflohen waren, zur Rückkehr. Die kleine Schaar der Treuen hielt fest aneinander; doch war sie nicht stark genug, um der immer mächtiger wogenden Brandung Trotz zu bieten. Sie ward gesprengt; die Hauptmitglieder gefangen gesetzt und als Volksverräther peinlich angeklagt.

In dem Hotel der Grafen von Steinau herrschte die größte Verwirrung. Bereits begannen die Diener, bis dahin der Herrschaft treu ergeben, zu schwanken und entfernten sich unter wichtigen Vorwänden. Als die Kommissarien des Volksausschusses erschienen, um den Obersten zu verhaften, war Niemand da, der ihm diesen drohenden Besuch meldete. Der alte Graf ward in gleicher Weise überrascht und bereits durch ein Seitenportal abgeführt. Als der junge Graf von seinem Weibe Abschied nahm und die Kommissarien fragte, ob er nicht vorher für die Sicherheit der verlassenen Frau sorgen dürfe, erhielt er keine Antwort. Rosa war in Verzweiflung. Vergebens bat sie, ihren Gatten begleiten zu dürfen, vergebens versuchte sie, ihm bis an die Thür seines Kerkers zu folgen. Als sie die Schwelle ihrer Wohnung überschreiten wollte, wurde sie von den dort aufgestellten Wächtern zurückgewiesen.

In wachsender Angst, weniger bekümmert um ihr eigenes Schicksal, als um das ihrer Lieben, irrte sie in den leeren Gemächern umher. Sie war allein mit ihrem Kummer und ihren Sorgen. Nein, nicht allein! Es klang, wie kräftiger Männerschritt. Den langen Corridor kam es herauf. Furchtsam blickte sie nach dem Eingange und laut schrie sie auf vor Entsetzen. Theodor Steinau stand vor ihr.

Mit einem höhnischen Lächeln stand er der unglücklichen Frau gegenüber, die verzweifelnd zu ihm aufschaute.

„Nun, gnädige Gräfin? Gefällt es Ihnen nicht, mich bei sich zu empfangen?“ sprach er mit schneidender Kälte. „Und ich komme doch nur, um die Pflichten eines besorgten Verwandten zu erfüllen.“

Rosa suchte sich zu fassen; sie drängte die Thränen, welche ihre Augen füllten, gewaltsam zurück und fragte:

„Was wollen Sie hier?“

„Ihnen den Schutz bieten, den Sie bedürfen, da Ihre bisherigen Beschützer weit von Ihnen sind und sobald nicht wiederkehren!“ antwortete Theodor kalt.

„Nicht wiederkehren?“ schrie sie auf.

„So sagte ich. Die Grafen von Steinau, des Verrathes überwiesen, sind auf Tod und Leben verklagt und keine Macht der Erde vermag sie zu retten.“

Rosa schwankte einem nahen Sessel zu. Ihre Augen schlossen, sich. Theodor eilte ihr zu Hülfe, sie fuhr bei seiner Berührung auf, als fühle sie den Biß einer giftigen Schlange. Theodor sah es mit verbissenem Aerger und sagte, einen Fluch zwischen den Zahnen murmelnd:

„Sie sind in diesem Palast sicher. Keiner wird es wagen, bis zu Ihnen zu dringen. Aber merken Sie es sich: Sie sind in diesem Palast auch mir sicher. Ich allein habe Zutritt zu demselben und meine Treuen werden mir den Schatz bewachen, den ich mir erobert habe.“

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