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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Spaziergänge auf dem Meeresboden.
(Von einer in England lebenden deutschen Dame.)
Zweiter Ausflug.

Als wir am Abend desselben Tages in dem D.’schen Hause versammelt waren und gehörig gegessen und getrunken hatten, kehrten wir in das Familienzimmer zurück, um unseres Wirthes aufgespeicherte Marine-Weisheit zu studiren.

„Nun, jungen Leute,“ sagte Herr D., „kommt her zu mir. Nehmt diese Lupe und Ihr werdet einen Baum voll Affen erblicken. Sie sitzen so dick darauf, daß kaum Platz für alle ist, ohne daß sich Einer auf des Andern Rücken hockt.“

Ein schreckliches Gelächter entstand unter den Mädchen, als sie durch das Vergrößerungsglas in den Wasserbehälter schauten, worin ein Zweig des vielfarbigen Seegrases von ungefähr 6–8 Zoll Höhe sich befand.

„O seht nur! Da ist Einer auf des Andern Schultern geklettert, und bewegt und küßt seine Hand, während er dahinfährt! Hier ist ein anderer auf dem höchsten Zweige, welcher dasitzt, als ob er eine Rede halten wollte. Jetzt verläßt er plötzlich seinen Platz und macht Sprünge von Zweig zu Zweig. Das sind gewiß ganz eigenthümliche Thiere, wie sie zwischen den Zweigen des Seegrases herumschwärmen und in der That nicht unähnlich auf Bäumen herumkletternden Affen.“

„Ach das müssen doch wenigstens 30–40 sein,“ sagte Fräulein C.

„Mehr noch! Zum wenigstens springen und klettern Hundert hier herum. Ich habe niemals solche komische Bewegungen und Possen gesehen. Bitte, sagen Sie uns, was das für Thierchen sind?

„Es sind dies kleine Fangkrebschen, Caprella, welche an den Gestaden herumschwärmen,“ erwiederte Herr D. „Sie pflegen sich mit den Hinterfüßen fest an Zoophyten zu halten, um sich mit ihrer gespenstigen Gestalt frei im Wasser, durch welches sie sich rück- und vorwärts bewegen, aufzurichten und mit ihren eigenthümlich geformten Vorderfüßen irgend eine vorüberziehende Beute zu fangen. Man braucht nicht viel Kenntniß dazu, um zu sehen, daß die Caprella zum Geschlecht der Raubthiere gehört. Es sind, von Ferne gesehen, komische gerippenähnliche Geschöpfe, mit langen dünnen, aus wenig Gelenken zusammengefügten Körpern und langen zappelnden Gliedern. Seht, wie es sich mit den sechs Hinterfüßen an das Seegras angeklammert hat! Und dann beobachtet diese eigenthümlich aufgerichteten Fangfäden, welche von dem Scheitel des Kopfes ausgehen, und die Bewegungen der Vorderfüße des Geschöpfes, welche ihm das Ansehen eines seine Hand küssenden Affen geben. Seht Ihr die eigenthümlich viereckig geformten Taschen an seinem Körper, welche wiederum mit schaufelähnlichen Figuren versehen sind?“

„Diese komischen Bewegungen, welche sie mit floßfederartigen Rudern machen, müßt Ihr sehen,“ sagte Fräulein C. „Wie diese Geschöpfe an den glätteren Theilen des Grasstengels hinklettern! Es bewegt sich wie eine Raupe, seinen langen fußlosen Körper in Schlingungen biegend, wie es sich mit seinen Vorderfüßen festhält, und die Hinterfüße an die Vorderfüße bringt, um sich dadurch vorwärts zu schieben. Und wie schnell geht das! Jetzt hat es sich von dem Grasstengel losgelassen und ist bis auf den Boden des Glases getaucht, was aussah, wie wenn ein Knabe sich mit dem Kopfe zuerst von einem Felsen herab in die See stürzte.“

„Nun, Ihr Kleinen,“ sagte Madame D., „nehmt das Glas mit den Affen in das Fenster und amüsirt Euch damit, hier ist eine Lupe, damit Ihr sie besser sehen könnt. Jetzt, Fräulein O., werde ich Ihnen etwas zeigen, was Sie noch nicht gesehen haben. Bemerken Sie den langen rosafarbnen hornigen Zweig, welcher parasitisch an dem Korallenzweige wächst? Es ist dies die Coryne squamata eine der schönsten und interessantesten Zoophyten, jedoch nicht selten vorkommend. Wenn Sie die Säulen genau betrachten, von welchen die Nebenzweige ausgehen, werden Sie finden, daß die Zweige sowie die Säule mit Roth umzogen und hohl sind, und eine eigenthümliche Masse einschließen. Diese Substanz ist der lebende Zoophyte, die hörnige Schale sein Polypidom oder Wohnplatz. Können sie die Büschel der kleinen rothfarbenen Knöpfe dieser Scheiben, welche die Enden der Zweige kräuseln, sehen? Jede von diesen gefransten Scheiben (einige, welche Sie sehen, sind rund, andere länglich viereckig, andere von noch seltsameren Formen) ist ein Polypenkopf, und diese kleinen Punkte mit knotigen Enden wie die Fühler eines Seeigels, mit welchen es umgeben ist, sind die Fangwerkzeuge oder Tentakeln. Es ist eine Art Hydra. Jedes dieser Thiere hat nicht weniger denn neun Köpfe, jeder mit zwei bis zwölf Tentakeln besetzt. Die Köpfe sterben aus und ersetzen sich nach einer gewissen Jahreszeit durch neue. Sobald sich ein solcher bildet, bemerkt man anfänglich einen rosafarbigen, sich nach und nach vergrößernden Knopf und ein zweiter und dritter erscheint, bis der Kopf vollständig ist. Wenn Sie genau darauf achten, können Sie deren graziöse, doch langsamen Bewegungen sehen. Jedes Tentakel ist in Bewegung, die Scheiben verändern ihre Gestalt fortwährend: die welche jetzt rund war, verlängert sich, und die lange und schmale rundet und kugelt sich wieder. Seht wie schön es den großen Kopf an seinem zerbrechlichen Stamme bewegt, gleich einer Dame, welche den auf ihrem Schwanenhalse sitzenden Kopf auf- und niederbückt und den Haarlocken freies Spiel läßt. Aber seht doch diese kleine liebliche dunkle Kreatur zwischen den Korallenzweigen auffahrend? Was ist das?“

„Ich kann Sie versichern, daß ich es nicht weiß,“ sagte Herr D. „Immer findet man etwas Neues und glaube ich, daß meine Entdeckungen nicht eher ein Ende nehmen werden, bis daß ich zu blind bin, länger danach zu sehen.“

Der Gegenstand, von welchem ich sprach, war eine Feder mit außerordentlichen flaumenartigen Fransen – zum wenigsten schienen sie mir so. Sie war nicht, wenn ausgedehnt, über 1/6 Zoll groß, aber schön genug, um Augen und Gedanken Stunden lang zu beschäftigen. Die Feder bestand aus zwölf kleinern.

Zuerst stieg sie gleich einem gallertartigen Klumpen in die Höhe, der sich nach und nach vergrößerte und an seinen äußern Spitzen anfing zu entwickeln. Bald hatte sie die Gestalt einer mit Regenbogenfarben geschmückten aufgeblüheten Blume. Ihre natürliche Farbe war fleischig, aber die Strahlen des Lichtes brachen sich auf eine so eigenthümliche Weise, daß in einer Entfernung der brennenden Kerze (denn alle diese Dinge wurden bei einem Lichte besehen, und immer so gestellt, daß es seine Strahlen in’s Glas werfen konnte) seine Schattirung blau ward, während es in einer andern mit Orangegelb, Weiß, Rosa und noch ein Dutzend andern Farben punktirt erschien. Aber das schöne reine Blau war immer die hervorstechendste. Durch eine Berührung des Wassers fiel das zierliche Geschöpf in das Korallenbad zurück, erhob sich jedoch dann wieder in solcher schattenhaften Weise, daß es Einer von uns mit einem Traume, ein Anderer mit einem Gedanken verglich.

Während Herr D. und ich mit einigen Andern unser Korallenfeld untersuchten, hatte Madame D. ein hohes enges Glas herbeigebracht, mit klarem Seewasser gefüllt und einen Zweig des gemeinen groben Seegrases (Fucus serratus) hineingetaucht. Sie rief mich zu sich und ließ mich nach dem Zweige und den Blättern des Grases sehen. Wie unendlich groß war mein Entzücken über das sich meinen Augen darbietende Schauspiel. Zurst sah ich nichts als eine rauhe braune Rinde, welche den ganzen Zweig einschloß und in runden Flecken auf den Blätter desselben lag. Nach einer Weile jedoch entdeckte ich kleine weiße durchsichtige Klümpchen, welche immer eins nach dem andern sich vergrößerten und am Ende sich zu Spitzen bildeten, aus welchen noch andere herausschossen – gerade wie die Röhren eines Fernrohres, das man auseinander zieht. – Aber eine kleine Bewegung des Tisches machte meiner bewundernden Erwartung ein Ende; denn in einem Augenblick verschwanden alle die Spitzen, welche in Hunderten herauszukommen schienen, und nichts als der braune unansehnliche Ueberzug blieb zurück.

Noch gab ich Achtung und ward bald für meine Geduld durch das Wiedererscheinen der Spitzen reichlich belohnt, welche diesmal viel schneller und in viel größern Massen zum Vorschein kamen.

Bald war die ganze Oberfläche der Rinde mit diesen bedeckt; eins öffnete sich nach dem andern mit ungefähr zwanzig eiszapfenähnlichen Tentakeln, die sich in die Form eines offnen Lampenschirmes ordneten. Ich erinnere mich nicht, jemals ein so reizendes

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