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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

mitten inne stehen), ausgemergelte knickbeinige Wüstlinge nicht stramme Burschen u. s. f. – Ueber die Vortheile des Turnens und über die Vorsichtsmaßregeln dabei s. Gartenlaube 1855. Nr. 7.).

Um nun Denen, die einen Turnplatz nicht besuchen wollen oder können, doch die Vortheile des Turnens auf etwas bequemere, aber jedenfalls nicht ganz so zweckmäßige und unterhaltende Weise wie auf einem Turnplätze zu Theil werden zu sehen, rathen Wir hiermit das Haus- und Zimmerturnen an, was recht gut ebenso vom Einzelnen, wie von einer ganzen Familie, ebenso im Thé und Café gymnastique von Damen, wie bei Spiel- und andern Kränzchen von Herren vorgenommen werden kann. – Hierbei ist, meines Erachtens, zuvörderst und hauptsächlich auf solche Bewegungen Rücksicht zu nehmen, welche die zur Ernährung (zum Stoffwechsel oder Leben) unseres Körpers unentbehrlichsten Processe, wie den Blutlauf, das Athmen und die Verdauung, kurz die Thätigkeit der Organe in der Brust- und Bauchhöhle, fördern. Denn Störungen in diesen Organen und in deren Thätigkeit sind es, welche den allermeisten Leiden zu Grunde liegen und bei unserer jetzigen Lebensweise so sehr leicht zu Stande kommen. Auf die genannten Organe (die glücklicher Weise von einer Menge willkürlich zu gebrauchender Muskeln umgeben sind) und Lebens-Processe können aber bestimmte Bewegungen ebensowohl unmittelbar, physikalisch (durch Druck der thätigen Muskeln auf die Ernährungsorgane und Blutgefäße), wie mittelbar, durch die Nerven (mittels Ueberstrahlung, Reflex oder Sympathie zwischen den Nerven der thätigen Muskeln und denen der Ernährungsorgane), bethätigend einwirken. Nur glaube man ja nicht etwa was die meisten gymnastischen Heilkünstler, welche womöglich für jede einzelne Beschwerde einen bestimmten Bewegungs-Hokuspokus erdacht haben, sich einbilden, daß nämlich durch die Zusammenziehung dieses oder jenes Muskels eine ganz besondere Wirkung auf dieses oder jenes innere Organ ausgeübt werden könne. Die Wirkung fast aller Bewegungen ist, wenn man von der Kräftigung der thätigen Muskeln absieht, immer nur eine mehr allgemeine und die dem Stoffwechsel dienenden Processe fördernde, höchstens können die Zusammenziehungen gewisser Muskelgruppen den einen oder den andern Proceß vorzugsweise und in höherem Grade bethätigen, als den andern.

Damit nun beim Hausturnen den meisten willkürlichen Muskeln (s. Gartenlaube 1856. Nr. 18.) ihr Recht werde, sollte man zunächst alle, in allen (wenigstens größern) Gelenken möglichen Bewegungen ausführen. Dies könnte so geschehen, daß entweder blos in einem Gelenke auf einmal oder in mehreren Gelenken gleichzeitig Bewegungen gemacht werden; in letzterem Falle könnten auch die Bewegungen in verschiedenen Gelenken verschiedene sein (z. B. Beugen des rechten Armes und Strecken des linken Fußes gleichzeitig u. s. f.).

Die einfachsten Bewegungen (Freiübungen im Stehen), welche in den einzelnen Gelenken der verschiedenen Körperabtheilungen, und wenn sie nützen sollen, mit allmälig steigender Kraft und Dauer ausgeführt werden müssen, sind folgende: der Kopf ist vor- und abwärts zu neigen (beugen), rückwärts zu ziehen (strecken), seitwärts zu beugen, in einem Halbkreise zu drehen und auf dem Halse zu kreisen (d. i. einen Kreis beschreiben); – die Wirbelsäule muß vorwärts, rückwärts und seitwärts gebeugt und gedreht werden; – das Becken läßt sich auf den Köpfen der feststehenden Oberschenkel nach vorn, hinten und seitwärts bewegen, sowie etwas nach den Seiten drehen; – die Achsel kann vor-, hinter-, auf- und abwärts gezogen werden; – der Oberarm ist (im Achselgelenke) nach vorn und hinten zu heben, vom Rumpfe ab- und an denselben anzuziehen, nach aus- und einwärts zu rollen und zu kreisen; – der Vorderarm läßt sich (im Ellenbogengelenke) nur beugen und strecken; – die Hand kann (im Handgelenke) nach ihrem Rücken hin (gestreckt), nach der Hohlhand zu (gebeugt), nach dem Daumenrande (abgezogen) und kleinen Fingerrande (angezogen) bewegt werden, zugleich aber auch (durch das Rollgelenk des Vorderarmes) nach aus- und einwärts gedreht, sowie gekreist werden; – die Finger lassen sich im Mittelhand-Fingergelenke beugen und strecken, an- und abziehen, und kreisen; in den einzelnen Fingergelenken aber nur beugen und strecken; – der Oberschenkel ist (im Hüftgelenke) zu beugen, strecken, an- und abzuziehen, ein- und auswärts zu rollen, und zu kreisen; – dem Unterschenkel ist (im Kniegelenke) fast nur Beugung und Streckung gestattet; – der Fuß kann (im Fußgelenke) gebeugt und gestreckt, an- und abgezogen, sowie gekreist werden. – Während und zwischen diesen Bewegungen ist der Athmungsproceß, gleichzeitig aber auch der Blutlauf im Unterleibe, so wie mittelbar die ganze Circulation des Blutes, durch tiefe, langsame und kräftige Ein- und Ausathmungsbewegungen zu unterstützen; natürlich muß auch auf eine gute (gerade, straffe und schöne, nicht steife) Haltung des ganzen Körpers dabei gehörig geachtet werden.

Was nun die Bewegungen betrifft, die vorzugsweise auf die Bauch- und Brustorgane einwirken, so würden für die ersteren besonders das Rumpfbeugen und Rumpfstrecken, überhaupt die Rumpfübungen und diejenigen Bewegungen von Vortheil sein, welche mit Zusammenziehungen der Bauchmuskeln (die sich durch Straff- und Hartwerden der Bauchwand zu erkennen geben) verbunden sind. Der Brust dagegen sagen außer den Athembewegungen, hauptsächlich die Schulter- und Oberarmübungen zu, demnach solche Bewegungen, welche zur Erweiterung der Brusthöhle und Kräftigung der Athmungsmuskeln beitragen. – Um nun aber Abwechselung und allmälige Steigerung an Kraft und Geschicklichkeit in die Turnübungen zu bringen, werden dieselben auch als Freiübungen im Liegen, Gehen und Laufen, Hüpfen und Springen, sowie mit Handgeräthen (Stäben, Schwungseil, Kautschukstränge, Hanteln) und an Geräthschaften (an Leiter, Reck und Barren) ausgeführt. – Auf diese Uebungen nur im Allgemeinen aufmerksam zu machen, sowie dem Leser, zumal wenn er eine sitzende Lebensweise führt und mit seinem Unterleibe uneins ist, die beiden für das Haus- und Zimmerturnen empfehlenswerten Schriften zu bezeichnen, nämlich: „Schreber’s ärztliche Zimmer-Gymnastik“ und „Kloss’s weibliche Hausgymnastik“, ist der Zweck dieses Aufsatzes.

Bock. 




Eine Begebenheit aus Beranger’s Leben.

Es ist wohl als allgemein bekannt anzunehmen, daß der Dichter Beranger in Paris, der liebliche Chansonnier, dessen Lieder in Frankreich in Aller Munde klingen, nie reich war. Er hat in Tagen, wo ihn hohe Gunst mit Wohlthaten überschütten wollte, mit der edelsten Uneigennützigkeit seine Freiheit gewahrt, und abgewiesen, was ihm geboten wurde. Seinen Bedürfnissen entsprach sein bescheidenes Einkommen jederzeit, und immer hatte er noch übrig, um reichlicher als solche, die in Fülle hätten geben können, die Nothleidenden im Stillen zu unterstützen. So ist manche Thräne von dem edeln Dichter getrocknet worden, ohne daß die, die sie geweint, die Hand der helfenden Liebe kannten, und wenn je von Einem, so galt von ihm selbst, was er in einem seiner Chansons sagt:

„Er bringt die Freude in der Armen Hütte“
„Und schützt vor Langeweile den Palast.“

Es war im Spätherbste des Jahres 1827, als eines Tages Beranger in einem Kaffeehause der Vorstadt Saint Germain in Paris, bei einer Tasse Kaffee saß, sein kurzes irdenes Pfeiflein, wie es die Franzosen lieben, rauchte, und in einem Zeitungsblatte las. Jeden Tag, um dieselbe Stunde, pflegte er da einzusprechen. Die Wirthin kannte ihn wohl, und viele der Gäste auch, aber man ehrte zu sehr den allgemein geliebten Dichter, um ihn zu belästigen. Das würde ihn auch sicher vertrieben haben, und die Wirthin mochte guten Grund haben, das nicht zu wünschen, da Mancher unter den Gästen nur darum ihr Kaffeehaus besuchte, weil er Beranger dort zu sehen hoffen durfte.

Gerade, als Beranger sein Pfeiflein gezündet hatte, tritt ein schönes Kind von etwa dreizehn Jahren schüchtern herein und spricht leise mit der Wirthin. Der wohlklingende Ton der Stimme des Kindes macht Beranger aufmerksam. Er blickt über sein Zeitungsblatt weg nach dem Kinde und hört schärfer hin, weil des Kindes Stimme durch Weinen unterbrochen wird. Jetzt sieht er,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 416. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_416.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)