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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

durch das Pferd, schießt er Dutzende von Pfeilen unter dem Halse des Pferdes hervor auf die Feinde, die außerdem durch furchtbares Gellen und Schreien verwirrt diesem Pfeilregen wehrlos unterliegen. Am unerbittlichsten und wüthendsten sind sie gegen die Weißen, in denen sie ihren Untergang ahnen und welche in großen Wanderschaaren nach Californien ziehend den Besteuerungstrieb dieser Eingebornen in der Regel im kürzesten Prozeß kühlen. Der in civilisirten Ländern organisirte Eingangs- und Durchgangszoll wird blos entrichtet, weil die einzelnen Kauf- und Handelsleute zu schwach sind, sich gegen diese organisirten Angriffe auf ihr Eigenthum zu wehren. Den Indianern gestehen die starkbewaffneten Californien-Wanderer dieses Durchgangszollrecht nicht zu und schlagen es deshalb zurück, wie sie können, z. B. auf folgende Weise.

„Ein langer Californien-Zug von Wagen, Reitern, Ochsen, Mauleseln und Menschen kam eines Morgens in der Gegend der Pawnee’s (wie die Kansas-Indianer heißen) vorn in’s Stocken, so daß die Nachzügler bald näher kamen. Bald verbreitete sich die Nachricht durch die ganze Länge des Zugs, daß eine Heerde Pawnee’s die Weiterreise nur unter der Bedingung eines Tributs an Vieh gestatten wollten. Alle Bewaffneten eilten mit ihren Büchsen herbei und bildeten so in kurzer Zeit den Indianern gegenüber eine respectable, geschlossene Macht. Die Pawnee’s, um ihren Häuptling versammelt, forderten eine Abgabe. Sie ward barsch verweigert und ihnen befohlen, sich zu entfernen. Dies thaten sie auch, mit Ausnahme des Häuptlings, der sich stolz näherte und die Fliehenden zurückzurufen versuchte. Er fiel sofort von 15 Kugeln durchbohrt. Von den Fliehenden fielen über funfzig und selbst die, welche durch den benachbarten Platte-Fluß zu entkommen suchten, wurden noch zum Theil im Wasser erschossen.“

Eine muthwillige, ekelhafte Grausamkeit der Civilisation gegen die Barbarei, die wenigstens in diesem Falle nicht viel besser, als in der Form eines Bettlers auftrat. Außerdem glaubten sie wohl ein Recht auf Durchgangsabgabe zu besitzen, aber da sie dieses Recht nicht weiter geltend machten, warum Fliehende erschießen?

Das Leben und die sittliche Anschauungsweise der Pawnee’s tritt in ganzer Eigenthümlichkeit drastisch und dramatisch aus folgendem Erlebniß unseres Freundes hervor. Er erzählt es in seinem Briefe ausführlich. Wir geben es in den wesentlichsten Zügen.

„Am Fuße eines jener Kegel-Berge, welche das Land charakterisiren, lebte ein Häuptling mit seiner jungen, schönen, edelherzigen Tochter, um deren Gunst die tapfersten und kühnsten Jünglinge eiferten. Sie ward bald von dem „jungen Adler“ gewonnen, dem sie auch in treuherziger Offenheit das Geheimniß ihres Herzens offenbarte, wie sie gegen die andern Bewerber kein Hehl davon machte. Unter Letzteren fühlte der „raubende Wolf“ den Stachel der Eifersucht und Rache am tiefsten, und schärfsten; aber er ging schweigend und finster um den „jungen Adler“, mit welchem er oft auf der Buffalo-Jagd freundschaftlich gewetteifert, und gab seinem Groll unter finsterer Braue keine Worte. Der junge Adler und seine Braut trafen sich oft an hellen Mondabenden auf dem Berge, um sich ihres Herzensglückes ungestört zu freuen. Eine Seite des Berges ist 30 – 40 Fuß hoch beinahe perpendiculär aufsteigende Felswand. An deren Rande oben zieht sich ein Fußweg mit einigen Sandsteinblöcken hin. Auf einem derselben saß der junge Adler mit einem Revolver, dem theuer erkauften Artikel von einem Weißen, denn er war vor dem „raubenden Wolfe“ öfter gewarnt worden. Er wartete auf seine Taube. Plötzlich raschelte es in den Büschen hinter ihm. Er sprang freudig auf. Statt der strahlenden Augen seiner Taube aber blitzte ein Tomahawk im Mondschein vor seinen Augen. Die Blicke der Feinde verdunkelten den sanften Strahl des Mondes.

Sie rangen auf Leben und Tod am Abgrunde, wobei sich der Griff des Tomahawk im Gürtel des „Wolfes“ umdrehte, so daß er ihn mit dem gewohnten Griff nicht zog, und der junge Adler sofort mit der freigewordenen Hand seinen Revolver in das Herz des Feindes abdrückte. Mit einem Augenblitze des brennendsten Hasses sank er zusammen und ward von dem Sieger den steilen Abhang hinuntergestürzt, wobei er alle Schüsse des Revolvers ihm nachfeuerte. Noch nicht gesättigt in seiner Rache stieg er hinunter und zog dem Gefallenen die Kopfhaut ab.

„Jetzt erhob sich die Rachepflicht der Familie des Gefallenen vor ihm. Der Sitte seines Stammes gemäß mußten die Angehörigen des Gemordeten dessen Blut am Mörder rächen. Gelang es dem Letzteren, den Rächern beim ersten Angriffe lebendig zu entkommen, stand es diesen frei, eine Buße, ein Lösegeld von ihm anzunehmen. Der Adler nahm also seine Stellung auf der Spitze des Berges zwischen Gebüsch, wo er, verborgen, jeden Nahenden sehen konnte. Seine Waffen, sein Muth, ein scharfer, kluger Hund und die Liebe seiner Braut waren seine Verbündeten. Der Bruder des „Wolfes“ schlich sich Tag und Nacht um die Festung des Adlers, aber er konnte sich nicht nähern, ohne von dem Hunde schon in der Ferne angemeldet zu werden. So verfiel er endlich auf eine List. Er studirte Gang, Mienen und Kleidung des jungen Weibes seines Feindes, das ihm alle Tage Nahrung und Trost hinaufbrachte, und in Nachahmung und Kleidung dieses Weibes gelang es ihm eines Nachts, sich dem Adler bis auf wenige Schritte zu nähern, ehe der Hund sein freudiges Wedeln plötzlich in das fürchterlichste Gebell der Wuth verwandelte, ihn bei dem Halse packte und niederwarf. Der junge Adler entwaffnete seinen Feind und band ihn. Aber von einem Gefühle der Großmuth ergriffen, gab er ihm Waffen und Freiheit wieder und stellte sich den folgenden Tag dem Gerichte seines Stammes. Dieses versammelte sich auf einer großen Ebene in der Mitte unzähliger Zeugen. Der „Adler“ ward unbewaffnet hereingeführt. Neben ihn legte der Richter ein Messer, mit welchem er von Rechtswegen erstochen werden sollte, wenn das von ihm gebotene Lösegeld nicht angenommen ward. Neben ihm saß sein schönes Weib, Hand in Hand mit ihm. Ihnen gegenüber dicht vor dem Messer nahm die Familie des erschlagenen Wolfes ihre Sitze, mit dem alten Vater an der Spitze. Es ward eine rothe Decke über den Boden ausgebreitet, Zeichen, daß noch ungesöhntes Blut vergossen, darüber eine reine blaue, Zeichen der Hoffnung, daß das Blut möge ausgewaschen werden im Himmel und vergeben, darüber eine reine weiße, Zeichen des Wunsches, daß weder im Himmel noch auf Erden ein Flecken Blut unausgetilgt bleiben und solch’ ein Flecken überall vergeben und vergessen werden möge. Der Aelteste des Stammes sprach diese Worte, während die rothe, die blaue und die weiße Decke über einander auf dem grünen Rasen ausgebreitet wurden.

„Die vielen Freunde des jungen Adlers häuften Sühnegaben auf diesen Decken vor den Augen des Vaters des Ermordeten. Er betrachtete sie schweigend und ruhte dann mit stechenden Augen auf dem blitzenden Messer. Das schöne Weib des Adlers schlang ihre Arme um den Gatten und sah fest und mit stummer, vorwurfsvoller Bitte in das Gesicht des Alten, der seine nach dem Messer ausgestreckte Hand zurückzog, als er diesem schönen Frauenblick begegnete. Wie viele Männer würden in ihrem Rathe die Hand vom zweischneidigen „Gesetze“ zurückziehen, wenn edler, weicher, strafender Frauenblick ihr kaltes Auge träfe! Die Lippen des Alten zitterten, eine Thräne trat in sein Auge. „Vater“, rief jetzt der Sohn, „er schenkte mir das Leben, das in seiner Gewalt war!“ Der Alte verhüllte sein Gesicht. „Ich nehme die Sühnegaben an“, rief er; „das Blut meines Sohnes ist weggewaschen. Ich sehe keine Blutflecken mehr auf der Hand des Adlers und er soll an der Stelle meines Sohnes sein.“

Das junge schöne Weib umfaßte dankend die Knie des Häuptlings. –

Das Innere von Kansas gehört zur großen amerikanischen Wüste, die sich 250 Meilen breit zwischen den westlichen und östlichen Staaten dehnt, aber der zu Kansas gehörige Theil ist reich an herrlichen Oasen, wie unser Freund aus eigener Anschauung versichert, und dadurch den Angaben aller frühern Autoritäten entgegentritt. Diese Oasen sind aber noch ganz unbewohnt, und selbst die entzückendsten, üppigsten Theile hatten zu Ende des Jahres 1854 nur erst eine sehr dünne Bevölkerung und 50 bis 103 Meilen auseinander liegende kleine Ansiedelungen und Squatter-Cities. Wie sich einzelne Familien dort einrichteten, davon gab ein gebildeter Literat mit seiner aus den feinsten Cirkeln Ohio’s entführten Frau ein hübsches Musterbild.

„Einige Meilen hinter Tecumseh, einer indianisch-anglosächsischen Misch-Ansiedelung, erreichten wir das Haus eines Literaten, dessen „Briefe aus Kansas“ in amerikanischen Zeitungen viel Aufsehen erregen. Wir fanden blos seine Frau zu Hause, d. h.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 406. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_406.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)