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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

des Lichtes oder von einer Decke von Pflanzenthieren, welche deren Oberfläche mit ihren ausgebreiteten feinen Tentakeln überziehen, so weiß wie Schnee aussehen. Da liegen sie flach und platt, ihre schönen Zweige und Aeste untereinander mischend; die lange Laminaria saccharina, mit ihren gleich Busenstreifen gekräuselten Rändern, alle in dem Wasser sich wiegend, und in unendlichen Bewegungen auf- und niedersteigend; aber Bewegungen so zierlich und würdevoll, daß sie den besten Eindruck der Beständigkeit machen, womit sie sich in ihren felsigen Betten hin- und herbewegen, und von der Festigkeit des Gefüges, sowie der Biegsamkeit des Baues, durch welchen sich diese Art Algen charakterisiren. Doch findet man hier nicht blos vegetabilisches Leben, zwischen den Seepflanzen schwimmen auch verschiedene kleine Fische und in- und außerhalb denselben wiegen und kriegen Dutzende von großen orangefarbenen Sternfischen (cribellae) herum. Auch Eremitenkrabben, in ihren geborgten Häusern, und wunderbare Seeanemonen, mit ihren tausendfarbigen Scheiben, ausgebreitet um kleine Krabben und Weichthiere zu fangen, welche alle in der Nähe herumschwimmen und dem schönen unterseeischen Schauspiel Leben und Abwechselung verleihen.

In diesem Augenblick streift der Kiel an den Grund des kleinen Bassins, in welchen unser Bootführer uns gefahren hatte, und zuerst an das Land springend half er uns Allen über den Rand der schlüpfrigen Seegewächse, welche unsern Landungsplatz bildeten. Sein Fahrzeug der Aufsicht eines Knaben übergebend, stand er mit Hammer und Meisel in der Hand, fertig, seinen Antheil an unsern Thaten zu nehmen.

Herr D., der Führer und Fürst unserer Expedition rief uns bald um einen der schönsten Fluthteiche zusammen.

Was sind Fluthteiche? Wie oft ist mir diese Frage vorgelegt worden! Jeder wird leicht einsehen, daß wo Erhöhungen auch Vertiefungen sind, und ebenso daß es Felsenarten von verschiedener Festigkeit gibt, so daß einige vom Wasser leichter abgerieben werden als andere. Der weichere Theil des Steines wird von den rastlosen Arbeiten des Wassers weggespült; dadurch bilden sich größere und kleinere Höhlen. Diese werden bei gewöhnlich hohem Wasserstande von der See bedeckt, und halten das Wasser, wenn die Fluth abgelaufen ist, zurück und sind folglich stets angefüllt. Wenn kein Sturm die Tiefe beunruhigt, ist das Wasser in diesen außerordentlich klar und durchsichtig. In diesen Lagunen hausen alle Arten von Uferthieren, beschützt durch die überhängenden Zweige der Seegewächse. Da sie immer unter Wasser sind, gehören sie oft zu den Arten, welche gewöhnlich nicht so nahe am Lande gefunden werden.

Ein Fluthteich ist eine tiefe, ovale, tassenförmige Höhlung, ungefähr 3 Fuß im weitesten Durchmesser und von derselben Tiefe und so schön von der Natur in Kalkfelsen eingehauen, mit einer so glatten Oberfläche, als ob sie von einem Steinhauer gearbeitet wäre.

Um den Rand herum wachsen Büschel der gewöhnlichen Koralle, welche eine weiße buschige Krause bilden, und ungefähr sechs Zoll in die Tiefe reichen. Einige Exemplare des blasigen Fucus findet man daselbst vereinzelt. Die gewölbten Vordertheile der schön geblätterten Laminaria, welche ich schon früher erwähnt, hingen ziemlich bis zum Boden hinunter, genau gleichend, ausgenommen in ihren braunen Farben, den mit Hirschzungenkraut überwachsenen Häufen, welche oft die Vorderseiten englischer Häuser zieren. Unter den Korallen findet man einige kleine rothe Seekräuter, wie z. B. Rhodomenia palmata und den dunkelrothen Chrondus crispus in schönen Büscheln wachsend, und einen stahlblauen regenbogenfarbenen Schein wiederspiegelnd. Alle die niedern Parthien der Seiten und des Bodens sind, mit Ausnahme von zwei oder drei kleinen Ulvas, ganz frei von Seekraut bis auf wenig überrindete Flecke des Korallengrundes. Die ganze Oberfläche des Felsens in diesen tiefen Theilen ist ganz klar, so daß uns nichts die Ansicht der Seeanemonen (actiniae), welche aus den Löchern hervorragen, stören kann. Sie breiten ihre runden Scheiben gleich flachen Blüthen aus, welche an der innern Fläche hängen. Es liegt etwas ungemein Reizendes in einem solchen Vivarium. Wenn ich an den felsigen Rand niederkniee und mein Gesicht an das Wasser bringe, wird das ganze Innere deutlich sichtbar. Die verschiedenen Formen und wunderschönen Farben der Seegewächse, vorzüglich des purpurfarbenen Chrondus, sind wohl der Bewunderung werth, und kann ich die kleinen Seeheuschrecken und andere Crustacea geschäftig von Gewächs zu Gewächs schwimmen sehen, oder wie sie ihren instinktartigen Bewegungen unter den Zweigen – wahre Wälder für sie – folgen. Kleine Fische, zu dem Geschlecht der Meerquappen gehörend, verbergen sich unter dem Schatten der Büschel, oder schießen zuweilen mit zitterndem Schwänze hervor. Ein oder zwei zartgeformte Sterne kriechen vermittelst ihrer langen und biegsamen Arme bedächtig herum, und zwar in einer Weise, die eine lächerliche Karrikatur eines mit Händen und Füßen in die Höhe kletternden Menschen darstellt; nur muß man sich einen von dem Scheitel des Kopfes herausgewachsenen Arm hinzudenken.

Dies ist das treue Bild eines dieser Fluthteiche, welche sich durch Abreibung des Wassers in den festen Felsen unter dem Meere bilden. Andere Vertiefungen zwischen den Felsen sind abschüssig und die Lagunen in vielen Fällen von 20–30 Fuß im Durchschnitt und nicht so tief im Verhältniß. Es war eine von letzteren, an welche Herr D. die ganze Gesellschaft rief. Eine unvergeßlich schöne, zauberhafte Scene. Ungeheuere Wälder jener großen schlüpfrigen, braunen Seegewächse, deren lederartige Zweige hier und da an das Ufer geworfen werden, standen an den Seiten der Vertiefung aufgerichtet, welche ungefähr halb voll des klarsten Wassers war und sich ganz bis an das Meer hinaus erstreckte, theilweis ganze Morgen von Felsen über den außerordentlichen niedern Wasserstand bedeckend. Die Vertiefungen an den Seiten bis in die Tiefe dicht mit allerhand marinevegetabilischer Stickerei und Häkelei von den verschiedensten Farben und Schattirungen umfranzt, z. B. der Cystoseira ericoides, prangend und schillernd in jeder Farbe des Regenbogens. Während wir hin- und hergingen, spielten die Farben von Lila in Erbsengrau, von Blau zu Braun und Gelb, je nachdem sich die Sonnenstrahlen an ihnen brachen. Es war eine dicke, fleischige Pflanze, welche diese brillante Wirkung hervorbrachte. Natürlich ließen wir es uns angelegen sein, mit unsern Hakenstöcken schöne Zweige herauszufischen; aber in dem Augenblicke, als sie aus dem Wasser herausgenommen waren, verschwanden alle deren herrliche Farbentinten, und wir fanden nichts als ein dunkles Gewirr von leblosem, grünbräunlich aussehendem Gras.

„Das schadet nicht,“ sagte Herr D, „thut es nur in diesen mit Wasser gefüllten Glastopf.“ Dies geschah. In dem Augenblick, wo sich das klare Wasser darüber schloß, kehrten alle seine herrlichen Farben wieder, so voll und schön wie vorher. „Lege es zu den andern Gegenständen, und wir werden uns zur Zeit damit unterhalten,“ befahl Herr D. der kleinen A. „Nun, Kinder, wo könnt Ihr Saphire finden, welche so schön wie diese glänzen?“ auf einen Bündel dunkler Seegewächse deutend, welche aussahen, wie Bäume in Aladin’s Garten mit Edelsteinen behangen.

„Was ist dies, Herr D.?“ fragte Fräulein C. „Sind dies lebende Geschöpfe?“

„Nein, mein Fräulein, dies ist nur eine Wirkung des Lichtes an den Blättern des Seegrases. Das ist der Chrondus crispus und der Effect der Erscheinung ist nicht so vorübergehend, als bei den andern Seegewächsen; denn seht,“ sagte er, indem er sich über den Rand des Teiches lehnte, seinen Arm entblößte und ein Gebund der schönen flimmernden Edelsteine aus dem Wasser zog. Unsere Saphire blieben beinahe so schön wie vorher, und behielten ihren schönen metallischen Glanz wie im Wasser, bis das Gras ziemlich ganz abgestorben war.

Nachdem wir die verschiedensten Sachen zu unsern Studien gesammelt hatten und bemerkten, daß die Fluth langsam gegen uns herangekrochen kam, verließen wir diesen schönen Platz, und uns in kleine Gruppen theilend, fingen wir an, die Löcher und Felsen zu untersuchen. Steine wurden umgewandt, um zu sehen, ob ein Geschöpf Schutz unter denselben gesucht; Andere schlugen fleißig Stücken von den Felsen mit ihren Korallen, in der Hoffnung, einige von den delicaten Pflanzenthieren darunter zu finden, um dieselben mit Muße prüfen zu können, bis Herr D. die ganze Gesellschaft wieder zusammenrief, um in das Boot bis zur nächsten Bucht zu fahren. Drei von uns – von denen ich eine war – entdeckten, daß wir abgesondert waren. Wir hatten jedoch Muth genug, durch das Wasser zu waden und uns der Hauptgesellschaft im Boot anzuschließen. Da Salzwasser selten oder niemals erkältet, hatten wir unseres Naßwerdens wegen nichts zu befürchten.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 403. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_403.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)