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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

„O gewiß! Der Advokat versicherte mich, daß es ein sehr triftiger Grund sei.“

„Nun?“ fragte der Gatte, indem er aufstand, beide Hände auf den Rücken legte und neben seiner Frau herging.

„Eine unbesiegbare Abneigung, die mir das Leben verbittert!“ antwortete ruhig Elise.

„Gegen mich?“

„Gegen Sie, mein Herr!“

„O, das muß wohl sein, da Sie mich so rücksichtslos behandeln konnten. So darf man wohl auch annehmen, daß sich Herr von Beck scheiden läßt?“ fragte Bernhard mit zitternder Stimme.

„Wilhelmine erwartet, daß sie von Ihnen darum befragt werde.“

„Von mir?“

„Diese Erwartung ist sehr natürlich.“

„Ah, Madame, Sie spielen eine reizende Komödie mit mir!“ rief Bernhard mit einem verzweiflungsvollen Lachen. „Sie wissen, auf welchem Fuße ich mit jener Dame stehe. Präsumiren Sie nicht etwa auch, daß ich Frau von Beck nach der Scheidung heirathen werde?“

„Frau von Beck, mein Herr, ist eine eben so falsche Freundin, als Sie ein gleisnerischer Ehemann sind. Ich präsumire Alles. Während Sie die zarte Schönheit in meiner Gegenwart maltraitiren, hat sie sich vielleicht im Stillen Ihrer Zärtlichkeiten zu erfreuen. Sie verbieten mir den Umgang mit der Freundin, weil er Ihnen lästig ist. Sie fragen mich: Frau, was hast Du mit meiner Ehre gemacht? Ich antworte Ihnen: mein Herr, Sie sind ein vortrefflicher Schauspieler! Sie spielen den Othello mit derselben Virtuosität wie den Jago. Sie sehen, Herr Rudolphi, daß ich Sie durchschaue. Darum stellen Sie Ihr Spiel ein, und beantragen Sie die Scheidung.“

„Elise, glaubst Du das wirklich?“

„Fest und unerschütterlich. Ihre Liebe war Maske, wie jetzt Ihre Eifersucht Maske ist. Zu dieser Erkenntniß bin ich gelangt, seit ich Sie beobachtet habe. Wir kennen nun unsere gegenseitige Stellung und wollen uns ferner nicht mehr täuschen. Sie sind nicht mehr mein Mann, ich bin nicht mehr Ihre Frau. Sobald die Scheidung ausgesprochen ist, reise ich ab. Ich würde sofort Ihr Haus verlassen, wenn ich nicht bis zu dem letzten Augenblicke meine Ehre wahren wollte.“

Bernhard blieb stehen und betrachtete einige Augenblicke seine Frau, die sich ruhig in den Sopha gesetzt und das Buch ergriffen hatte. Ihm schien, als ob sie heute schöner war, als sonst. Aber welche Seele barg diese reizende Hülle? Sie bürdete ihm ruhig und sicher Dinge auf, an die er im Leben nicht gedacht hatte. Die Eifersucht regte sich wieder.

„Elise,“ fragte er, „in welcher Absicht warst Du bei Beck’s?“

„Um mich zu überzeugen, daß Sie dort waren. Sie kamen, und ich muß gestehen, daß Sie für den Augenblick meinen Verdacht vortrefflich abgeleitet haben. Außerdem danke ich Ihnen für die Zartheit, mit der Sie mich einer peinlichen Situation entrissen.“

„Mein Gott, das ist zu arg!“ rief Bernhard, vor Zorn erbleichend.

Elise zuckte lächelnd mit den Achseln.

„Liefern Sie den Beweis, daß ich mich getäuscht habe,“ antwortete sie dann.

„Madame, mit Ihnen zu rechten, die Sie neunundneunzig Arten besitzen, „Ja“ zu sagen und eben soviel Variationen des „Nein“ – ist eine Aufgabe, der ich mich nicht gewachsen glaube. Bleiben Sie bei Ihrem Entschlusse, ich werde bei dem meinigen bleiben.“ Er verneigte sich und verließ hastig das Zimmer.

Elise rief das Kammermädchen, ließ sich auskleiden, und ging zu Bett. Bernhard blieb noch lange auf, er beschäftigte sich mit der Frage: „wenn du dich täuschtest, wie sich Elise täuscht? Sie sieht dieselben Dinge, die du siehst. „Das Weib ist schön,“ rief er aus; „wäre sie doch auch so gut und treu!“

Er nahm sich vor, den Senator aufzusuchen. Von ihm hoffte er so viel Aufklärung über Cäsar von Beck zu erhalten, daß er danach das Verhältniß seiner Frau zu Wilhelminen beurtheilen konnte. Der Gedanke, die Eifersucht hat Elisen zu Wilhelminen getrieben, schmeichelte ihm. Eine Stunde später war er so ruhig, daß er sich zu Bett legen konnte. Aber ein böser Traum plagte ihn – ihm träumte, Elise habe die Scheidung wirklich beantragt, und bleibe unerschütterlich in ihrem Entschlusse. Verdrießlich stand er am nächsten Morgen auf. Schon um neun Uhr ließ er sein Pferd satteln und unternahm einen Spazierritt, von dem er spät zurückkehren wollte.

Cäsar von Beck hatte einen schweren Tag; er wußte nicht, wo er Geld auftreiben sollte. Obgleich er das letzte Mal unglücklich gespielt hatte, so würde er doch seine heimliche Reise wieder angetreten haben, wenn die dazu erforderliche Summe in seinen Händen gewesen wäre. Als Wilhelmine zum Frühstück erschien, sah sie ungewöhnlich bleich aus. Cäsar zitterte, als er ihre Hand ergriff, sie brannte in Fieberhitze. Eingedenk der Ermahnungen des Arztes, sprach er seine Besorgnisse nicht aus; aber eine Centnerlast lag ihm auf dem Herzen. Wilhelmine war krank, und er hatte kein Geld. An wen sollte er sich wenden?

Er dachte an Rudolphi – aber war nicht Elise die Freundin Wilhelminens? Konnte sie nicht von jener Seite her seine drückende Lage erfahren? Er dachte an die Schmucksachen seiner Frau – was aber sollte er ihr sagen, wenn sie die Juwelen, mit denen sie sich so gern schmückte, vermißte? Der Besuch eines Advokaten machte das Maaß der Bedrängniß voll.

„Herr K. hat Ihnen einen Wechsel zum Incasso übergeben?“ fragte Cäsar.

„Ja, Herr von Beck.“

„Ist es Ihnen möglich, mir acht Tage Frist zu gewähren?“

„Leider nein. Ich habe die strenge Ordre, Sie morgen früh verhaften zu lassen, wenn Sie heute den Wechsel nicht einlösen.“

„Das ist hart!“ antwortete Cäsar erbleichend. „Ich werde mit Herrn K. sprechen.“

„Er hat das Papier einem Dritten cedirt.“

„Wem?“

„Herrn Bernhard Rudolphi.“

„Ihm!“ murmelte der junge Mann. „Dann freilich kann ich mich nur durch Zahlung vor dem Schuldgefängnisse retten.“

„Ich bitte Sie, bis diesen Nachmittag vier Uhr das Geschäft zu ordnen.“

Der Advokat entfernte sich. Cäsar sank bestürzt auf einen Sessel.

„Ich ahne den Grund!“ dachte er. „Rudolphi will sich dafür rächen, daß ich ihn ersucht habe, den Umgang seiner Frau mit Wilhelminen zu unterbrechen. Oder wenn er, was noch schlimmer wäre, mich entfernen wollte, um – –“

Er legte beide Hände vor das Gesicht; der Gedanke, der sich ihm aufdrängte, machte ihn schaudern.

„Ich verkaufe meine Möbel, wir reisen heute noch ab!“

Cäsar sprang auf und ergriff Hut und Stock. Plötzlich blieb er wieder stehen.

„Aber Wilhelmine kann nicht reisen, sie ist krank!“ murmelte er. „Soll ich ihr Leben auf das Spiel setzen? Die Luft ist rauh und kalt, die arme Frau darf das Zimmer nicht verlassen. O mein Gott, ich befinde mich in einer furchtbaren Lage. Hier die kranke Wilhelmine, dort Mangel – selbst Schuldarrest! Wo soll ich Hülfe suchen? Drei- bis vierhundert Thaler entreißen mich der Verlegenheit, der Schmach, dem Verderben!“

Der arme Mann ward ein Raub der Angst und Verzweiflung; er hätte nicht mehr vor dem ihm angedrohten Tode zittern können, als er jetzt vor dem Verluste seiner Frau zitterte, denn alle seine Gedanken flossen in den einen zusammen: Wilhelmine steht auf dem Spiele. Er fühlte das Bedürfniß, eine dritte Person in sein Geheimniß einzuweihen; wo aber sollte er Jemanden finden, dem er vertrauen konnte? Geld, Geld war die Losung, ohne Geld gab es kein Rettungsmittel. In einem qualvollen Zustande verließ er das Haus. Das Wetter war kalt, der erste Schnee fiel. Die rauhe Luft that seinem glühenden Kopfe wohl. Düstern Blicks durcheilte er die Straßen. Da sah er an einer Thür ein Schild mit der Aufschrift „Dr. Nataß.“ Er blieb stehen und überlegte, ob von diesem Manne, der Wilhelminen Eröffnungen seitens der Mutter zu machen hatte, keine Hülfe zu erlangen sei.

(Schluß folgt.)
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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 400. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_400.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)