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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

„Verzeihung, mein lieber Freund, die Eitelkeit ließ mich diese Frage aussprechen.“

In diesem Augenblicke ward die Klingel an der Saalthür heftig gezogen. Man hörte, daß die Magd öffnete. Gleich darauf trat Elise hastig in das Zimmer.

„Ist mein Mann hier?“ fragte sie, ohne zu grüßen.

Wilhelmine eilte ihr bestürzt entgegen.

„Nein! Mein Gott, was ist geschehen? Sie sind bleich und athemlos –“

Die erschöpfte Elise sank auf einen Stuhl.

„Er ist nicht hier?“ flüsterte sie. „Gut, nun bin ich ruhig. Verzeihung,“ fügte sie laut hinzu, wenn ich störe. „Erlauben Sie mir, daß ich ein wenig ruhe, dann entferne ich mich wieder.“

„Madame,“ sagte Cäsar, „Sie suchen Herrn Rudolphi bei uns – hieraus muß ich schließen, daß Sie einen besondern Grund zu dieser Voraussetzung haben. Ihr Herr Gemahl hat uns ein einziges Mal beehrt.“

„Zu meinem innigsten Bedauern; Bernhard ist ein Sonderling, er empfängt gern Besuche, aber er erwiedert sie nicht. Wenn ich ihn jetzt hier vermuthete, so kommt es daher, daß er mir versprochen hat, mich um sechs Uhr abzuholen, denn Sie müssen wissen, daß ich meiner lieben Wilhelmine diesen Nachmittag einen Besuch zugedacht hatte – leider ward ich daran verhindert, und ich bin sehr rasch gegangen, um ihm zuvorzukommen.“ Wilhelmine sah Elisen mit fragenden Blicken an. Cäsar betrachtete seine Frau mit dem Ausdrucke des Argwohns. „Meine Frau war ausgegangen,“ dachte er, „und Elise sucht ihren Mann – was ist das?“

Da ward abermals sehr heftig die Glocke gezogen.

„Wohin?“ rief Cäsar seiner Frau zu, die sich entfernen wollte.

„Ich will nachsehen, –“

„Bleibe, mein Kind, ich selbst werde öffnen!“

Der junge Mann verließ rasch das Zimmer.

„Elise, was beginnen Sie?“ flüsterte Wilhelmine.

„Denken Sie an unsere Verabredung, liebe Freundin.“

„Sagen Sie mir nur ein Wort der Aufklärung!“

„Mein Mann hat eine kleine Züchtigung verdient. Still, er kommt!“ Cäsar öffnete die Thür, und ließ Bernhard Rudolphi eintreten, der wild und verstört aussah.

„Hier ist Madame Rudolphi!“ sagte Cäsar mit bebender Stimme.

„Ich komme, Dich abzuholen,“ stammelte Bernhard, zu seiner Frau gewendet.

„Und ich bin bereit, Dir zu folgen,“ antwortete Elise artig, ihren Platz verlassend.

Dann küßte sie die Freundin, grüßte Cäsar und hing sich an den Arm ihres Mannes, der, ohne zu grüßen, das Zimmer verließ. Die beiden zurückbleibenden Gatten sahen sich erstaunt an.

„Begreifst Du das, Wilhelmine?“

„Nein, Cäsar. Und doch – ich vermuthe etwas.“

„Nun?“

„Rudolphi hat seine Frau in Verdacht, daß sie uns nicht meinetwegen besucht.“

„Weswegen denn?“

„Deinetwegen. Er glaubt, sie sei lieber in Deiner Gesellschaft, als in der seinigen.“

„Der arme Mann!“ rief Cäsar lachend. „Man muß ihm diesen Wahn nehmen.“

„Hast Du gesehen, was für eine traurige Rolle er spielte? Die Eifersucht treibt ihn, seine Frau und sich selbst zu blamiren. Die arme Elise! Es ist ein Glück, daß dieser Auftritt bei uns stattgefunden hat, die wir genau wissen, wie großes Unrecht Elisen geschieht.“

Cäsar gedachte seines eigenen Argwohns und des Schrittes, den er bei Rudolphi gethan. Eine Art Schamgefühl regte sich in ihm und röthete sein Gesicht. Wenn er gewußt hätte, daß auch ihm diese Lection galt! Er führte seine Frau zu dem Piano, und spielte mit ihr, bis die Magd ankündigte, daß das Abendessen aufgetragen sei. Wilhelmine hütete sich wohl, von dem eifersüchtigen Ehemanne zu sprechen, obgleich sie mit Schmerz des stürmischen Abends gedachte, der ihrer armen Freundin ohne Zweifel bevorstand.




VII.

Schweigend durchschritten die beiden Gatten die Straßen; sie, die gewohnt waren, in eleganter Equipage zu fahren, achteten jetzt des Kothes nicht, der ihre Füße durchnäßte. Der eifersüchtige Ehemann hatte alle Rücksichten vergessen, die er einer Frau schuldig ist; er dachte an Nichts, als den furchtbaren Groll auszulassen, der seine Brust zu zersprengen drohete. Elise zitterte vor Aufregung und Frost; Bernhard gewahrte es nicht. Man kam zu Hause an. Elise betrat ihr Zimmer – Bernhard das seinige. Eine Stunde verfloß. Da trat Bernhard in das Zimmer seiner Frau. Elise, im Schlafrocke von gelber Seide, lag ruhig auf dem Sopha und las in einem Buche. Als sie ihren Mann erblickte, erhob sie sich und legte das Buch auf den neben ihr stehenden Tisch. Bernhard war erstaunt über diese Ruhe; er hatte eine in Thränen aufgelöste Frau erwartet, und nun fand er ein schmerzlich lächelndes Gesicht, Züge, die einen leichten Hohn auszudrücken schienen.

„Elise,“ begann er mit erregter Stimme, „ich hatte mir vorgenommen, Dir meinen Entschluß schriftlich mitzutheilen; ich ziehe es aber vor, ihn Dir mündlich anzukündigen, um zu sehen, wie Du ihn aufnimmst.“

„Du hast einen Entschluß gefaßt?“ fragte anscheinend verwundert die junge Frau.

„Und zwar einen unumstößlichen.“

„Darf man wissen, in welcher Angelegenheit?“

„In der wichtigsten meines Lebens.“

„So sei meiner innigsten Theilnahme gewiß,“ antwortete Elise, indem sie den schönen runden Arm auf die Lehne des Sopha’s legte, und ihren Mann aufmerksam ansah.

Bernhard zitterte bei diesem Blicke des himmlischen Wesens, in dem Alles lag: das unergründliche Weib, die Seele Eva’s, die Fülle des Bösen und die Schätze des Guten, Verrath und Treue, Liebe und Verachtung. Ein Dichter hätte eine Prinzessin Eboli in Don Karlos und eine Zerline in Don Juan aus ihr machen können. Der eifersüchtige Gemahl verlor den Gleichmuth, mit dem sich zu waffnen er eine Stunde gebraucht hatte; er sah sich gezwungen, auf Umwegen das Ziel zu erreichen.

„Elise, wir sind nun drei Jahre verheirathet,“ begann er. „Vor einem Jahre ward ich in die traurige Nothwendigkeit versetzt, Dir zu sagen: Elise, ich habe Dir meine Ehre vertraut. Heute zwingst Du mich zu der Frage: Frau, was hast Du mit meiner Ehre gemacht? Antworte mir, wenn Du kannst, antworte mir!“

Die Züge der schönen Frau veränderten sich nicht.

„Ehe ich antworte,“ sagte sie ruhig, „erlaube ich mir eine Frage. Bernhard, was hast Du mit der Ehre Deiner Frau gemacht?“

„Madame!“ fuhr der junge Mann auf.

„Mein Herr, wer hat mir diesen Nachmittag den Bedienten nachgeschickt? Wer läßt mich durch die Domestiken beobachten? Heißt das nicht meine Ehre mit Füßen treten?“

„Sie haben mein Vertrauen verscherzt, und so lange Sie meine Frau sind, habe ich ein Recht, über Sie zu wachen.“

Elise’s schönes Gesicht verzog sich zu einem bittern Lächeln.

„Ich habe nie Ihr Vertrauen besessen!“ antwortete sie.

„Sie konnten es erwerben.“

„Brechen wir ab!“ sagte sie kurz. „Theilen Sie mir den Entschluß mit, von dem Sie vorhin sprachen. Ich bin gefaßt, Alles zu hören.“

Dann erhob sie sich, und ging langsam im Zimmer auf und ab.

„Madame, nach dem, was heute geschehen, ist es unmöglich, daß wir länger zusammen leben. Ich werde morgen die Scheidung beantragen. Das ist mein Entschluß.“

„Diese Mühe können Sie sich ersparen, mein Herr!“ sagte Elise, ohne ihren Gang zu unterbrechen.

„Wie? Warum?“

„Weil ich bereits diesen Nachmittag einen Sachwalter angenommen habe. Machen Sie keine Schwierigkeiten, so wird der Prozeß in wenig Wochen beendet sein.“

Erstaunt schwieg Bernhard einige Augenblicke. Dann fragte er mit einem gewaltsam erkünstelten Lächeln: „Darf man wissen, welchen Grund zur Scheidung Sie angegeben haben?“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 399. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_399.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)