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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Während Lorenz den Kutscher bezahlte, stieg der Senator die Treppe hinan.

„Sie hat gelogen, um mir einen Possen zu spielen!“ murmelte er vor sich hin. „Ihr Haß muß groß sein, daß sie sich einer Lüge bedient. Ein Mann würde das nicht gethan haben. O die Frauen!“




VI.

Cäsar von Beck hatte unglücklich gespielt, er war völlig ohne Geld. Zwei Wucherer, bei denen er angefragt, hatten ihm den Kredit verweigert, und ein Dritter drohete ihm mit der Schuldklage. Der Verzweiflung nahe, war er gegen vier Uhr Nachmittags in seine Wohnung zurückgekehrt. Kaum hatte er sein Zimmer betreten, als Wilhelmine erschien; sie hatte Toilette zum Ausgehen gemacht.

„Cäsar, ich will mir neue Musikalien aus der Leihanstalt holen; diesen Abend bleiben wir zu Hause und unterhalten uns am Piano.“

„Gehst Du allein?“ fragte Cäsar, indem er seine Gattin besorgt ansah.

„Die Magd begleitet mich. Bevor es dämmert, werde ich zurückgekehrt sein.“ .

Der junge Mann fühlte das Bedürfniß, allein zu sein. Er küßte Wilhelminen, und führte sie die Treppe hinab. Von der Magd gefolgt, verließ sie das Haus. Cäsar befand sich allein in der Wohnung. Es hinderte ihn Nichts, seine traurige Lage zu überdenken. Den Rest des baaren Vermögens hatte der Aufenthalt im Bade gekostet, ihm blieb nur noch das väterliche Haus in O., das vielleicht einen Werth von acht Tausend Thalern hatte.

Er faßte den Entschluß, einem Advokaten jener Stadt Auftrag zu geben, das Haus zu verkaufen und so rasch als möglich Geld zu senden.

„Es ist unmöglich, mir dieses Grundstück zu erhalten,“ murmelte er vor sich hin. „Ich habe an Wilhelminens Mutter geschrieben und ihr den Zustand des armen Wesens geschildert – die herzlose Frau antwortet nicht einmal. Soll ich mich an meinen Onkel wenden? Nein, er ist ein Hagestolz, der mich verlacht und verhöhnt, der die Frauen nicht leiden kann, weil er ihnen alles Unglück zuschreibt, das die Männer betrifft. Er darf nicht wissen, daß ich verheirathet bin, dann bleibe ich sein natürlicher Erbe. Bis zu seinem Tode muß die Summe ausreichen, die ich aus dem Verkaufe des Hauses löse. Es handelt sich jetzt darum, die augenblickliche Verlegenheit zu beseitigen. Aber wie? Wenn es mir nicht gelingt, bis morgen Geld anzuschaffen, erfährt Wilhelmine meine zerrütteten Finanzverhältnisse, sie wird sich grämen und dadurch die Krankheit beschleunigen, die ich bisher mit der größten Aufopferung bekämpft habe. Das muß ich verhindern, es wäre sonst all’ mein Bemühen vergebens gewesen. Wilhelmine, mein lieber Engel, ich werde Dich mir so lange als möglich zu erhalten suchen! Stirbst Du, so sterbe ich mit Dir – ohne Dich hat das Leben keinen Reiz für mich!“

Er öffnete den Secretair und schickte sich zum Schreiben an. Da ward draußen die Glocke gezogen.

„Sollte meine Frau schon zurückkehren?“

Cäsar schloß den Secretair wieder, ging hinaus und öffnete die Thür. Die Frau des Hausmanns trat ein.

„Ist Frau von Beck zu sprechen?“

Cäsar sah, daß die Frau einen Brief in der Hand hielt.

„Warum?“

„Es ist ein Brief angekommen, den ich ihr eigenhändig überliefern soll.“

„Wer brachte ihn?“

„Eine Dame.“

„Geben Sie mir den Brief, meine Frau wird ihn erhalten.“

Cäsar bemächtigte sich ohne Umstände des Briefes.

„Verlassen Sie sich darauf,“ sagte er, „meine Frau wird ihn erhalten.“

Die Botin entfernte sich, indem sie dachten das ist ein wunderlicher Mann; wie er zitterte, wie seine Augen glüheten – wahrscheinlich plagt ihn die Eifersucht. Nun, ich kann nicht dafür, daß der Brief in seine Hände gerathen ist.

Cäsar schloß die Thür und eilte in das Zimmer zurück.

Hier betrachtete er den Brief von allen Seiten; er war mit einem punktirten Petschaft ohne Namen gesiegelt und hatte die Adresse: „Frau von Beck, hier – eigenhändig zu erbrechen.“

„Was ist das? Ein Brief an meine Frau? Eigenhändig zu erbrechen? Dies ist ein Beweis, daß ich den Inhalt nicht kennen lernen soll. Die Adresse ist offenbar von der Hand eines Mannes geschrieben. Mein Gott, wenn Rudolphi dem Vertrauen nicht entspräche, das ich in ihn gesetzt! Wilhelmine ist schön, sie erregt Interesse, wo sie erscheint – ich kenne ihr Ehrgefühl – der Annäherungsversuch eines Mannes würde sie tief verletzen – oder wenn ein Unberufener ihr Mittheilungen über mich machte, die ihr die Augen über unsere wahre Lage öffnen könnten – es ist nöthig, daß ich den Inhalt des Briefes kennen lerne, ehe sie ihn lies’t. Verzeihe mir, Wilhelmine, mich leitet nicht Mißtrauen, sondern nur die Sorge für Deine Gesundheit, für die Ruhe Deiner Seele!“

Hastig und zitternd erbrach er den Brief. Dann trat er an das Fenster und las:

„Madame!

„Verfügen Sie sich morgen, Nachmittags 4 Uhr, zu dem Doctor Nataß, der Ihnen Eröffnungen seitens Ihrer Mutter zu machen hat. Erscheinen Sie in Person, denn das, was Ihnen der Doctor mitzutheilen beauftragt ist, darf außer Ihnen Niemand wissen. Uebrigens vertrauen Sie dem würdigen Manne, der in alle Ihre Geheimnisse eingeweiht ist. Er allein ist das Organ, durch das Sie mit Ihrer Mutter verhandeln können.

Entsprechen Sie dieser Aufforderung nicht, so haben Sie sich selbst die Schuld beizumessen, wenn eine Aussöhnung nicht zu Stande kommt. Vorläufig verschweigen Sie dem Herrn von Beck den annähernden Schritt Ihrer Mutter, da man Gründe hat, ihn erst zur geeigneten Zeit davon in Kenntniß zu setzen.“

Die Unterschrift fehlte.

„Die Wirkung meines Briefes an Madame Bertram in Braunschweig!“ murmelte Cäsar. „Man hat also Gründe, mich vorläufig von den Verhandlungen auszuschließen. Aber warum? Zu welchem Zwecke? Warum antwortet die Mutter nicht mir, der ich an sie geschrieben habe? Mir wird Alles klar,“ rief er aus, nachdem er eine Minute rasch auf- und abgegangen war – „damals wollte man mir Wilhelminen nicht geben, jetzt will man sie mir entreißen. Ah, Madame Bertram, Ihre Bemühungen werden fruchtlos bleiben! Es wird Ihnen nicht gelingen, die Liebe meines herrlichen Weibes zu erschüttern. Jetzt bereue ich, den Brief geschrieben zu haben; es wäre besser gewesen, wenn man unsern Aufenthalt nicht erfahren hätte. Für die kurze Zeit, die meine Wilhelmine noch zu leben hat, soll sie vor allen Anfechtungen gesichert bleiben. Und Sie, Herr Doctor Nataß, mögen warten bis in alle Ewigkeit!“

Cäsar warf den Brief in den Ofen. Dann schrieb er an seinen Advokaten, und gab ihm Auftrag, das Haus zu verkaufen. Kaum hatte er den Secretair geschlossen, als Wilhelmine wieder zurückkam; sie brachte ein großes Packet neuer Musikalien mit. Nachdem sie eine reizende Haustoilette gemacht, führte sie den Gatten zu dem Piano. Cäsar war Virtuos auf diesem Instrumente.

„Willst Du singen?“ fragte er.

„Nur eine Scene aus Bellini’s Nachtwandlerin – hier ist der Klavierauszug. Du weißt, Cäsar, daß die Amine meine Lieblingsparthie war, und daß ich sie deshalb vor allen hoch schätze, weil ich Dir darin gefallen habe.“

„Aber nur mit halber Stimme!“

Der Gatte spielte, die Gattin sang. Cäsar war erstaunt über die Stimme seiner Frau, die an Kraft, Fülle und Wohlklang gewonnen zu haben schien. Und wie geläufig, korrekt und rein sang sie die Coloraturen! Die Töne perlten rund und klar über die schönen Lippen. Das Cantabile trug sie mit einer Empfindung vor, die den Klavierspieler entzückte – er vergaß, seine Besorgniß über die Anstrengung auszusprecheu. Wilhelmine sang die ganze erste Scene zu Ende.

„Wie habe ich gesungen?“ fragte sie lächelnd.

„Zum Entzücken!“

„Glaubst Du, daß ich mich vor dem großen Publikum hören lassen kann?“

„Um Gotteswillen, fasse diesen Gedanken nicht! Wilhelmine, wie kommst Du darauf?“ fragte Cäsar erschreckt, denn er fürchtete, daß sie seine Lage ahnte.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 398. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_398.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)